Gegen das anthropozentrische Denken werden zunehmend Einwände laut, in denen Dichotomien wie Natur und Kultur oder nicht menschlich und menschlich porös erscheinen und der Mensch als alleinige Bezugsgröße ausgedient hat. Zugleich sind mit dem menschlichen Einfluss unmittelbar verbundene globale Störungen im Ökosystem der Erde heute alarmierender denn je, und es geht darum, die vom Menschen verursachte Katastrophe einzudämmen. So spricht Donna Haraway vom „Chthulucene“, einem Zeitalter, in dem wir lernen werden, durch die kollaborative Verflechtung von menschlichen und nicht menschlichen Ökologien zu überleben. Ähnlich postuliert Rosi Braidotti ein Zeitalter des Posthumanismus, in das der technologische Fortschritt und Kapitalismus uns katapultiert haben. Sie entwickelt eine Theorie des posthumanen Subjekts: Mit sich selbst nicht identisch, kollektiv und kosmopolitisch ist es vielfältig mit anderen Subjekten vernetzt, wozu Menschen, Tiere und Dinge gleichermaßen zählen. Für Braidotti birgt das Ende des Humanismus eine Utopie, die neue soziale Bindungen und die Gleichberechtigung sämtlicher Spezies im globalen Maßstab eröffnet.
Auch Karen Barads posthumanistische performative Strategie des intra-acting hat als kritische Abkehr vom anthropozentrischen Denken Konjunktur. Erst im Prozess der intra-action entstehen autonome Positionen, Bedeutung fixiert sich nur temporär durch und in der diskursiv-performativen Begegnung: „The neologism ‚intra-action‘ signifies the mutual constitution of entangled agencies. That is, in contrast to the usual ‚interaction‘, which assumes that there are separate individual agencies that precede their interaction, the notion of intra-action recognizes that distinct agencies do not precede, but rather emerge through, their intra-action.“1
Insbesondere Barads Philosophie wird gerne auf aktuelle Ansätze in der Interspezies-Kunst übertragen, bei denen es darum geht, die Beziehung zwischen Mensch, Tier, Umwelt, Technik und Materialität prozessual als Entwicklung neuer Relationen zu denken. Unter Bezug auf Barad konstatiert Regine Rapp einen (sprachlichen) Anti-Repräsentationalismus in der Kunst mit nicht menschlichen Spezies. An dieser Schnittstelle setzte die von ihr und Christian de Lutz kuratierte Ausstellung Nonhuman Networks an, in der ein Pilzmyzel und ein Schleimpilz an der Kunstproduktion beteiligt sind. Die Ausstellung war Ende letzten Jahres bei Art Laboratory Berlin zu sehen und unter dem Projekttitel Nonhuman Agents mit einem breiten Programm aus Workshops, Vorträgen und einer interdisziplinären Konferenz verknüpft.
Saša Spačal, Mirjan Švagelj und Anil Podgornik präsentierten in der Ausstellung eine biotechnologische Kapsel zur Kommunikation zwischen Mensch und Pilzmyzel. Ein Myzel ist ein Geflecht aus den unter der Erde verbreiteten, fadenförmigen Zellen eines Pilzes, das über einen Quadratkilometer groß werden kann. Es steht in engem Kontakt mit dem Wurzelwerk des Walds und formt mit ihm ein großes symbiotisches Netzwerk, das erst seit Kurzem intensiver erforscht wird. Etwas plakativ wird der Prozess der vernetzten Kommunikation im Wald für das digitale Zeitalter als „Internet der Bäume“ übersetzt.
Der Titel der Arbeit, Myconnect, spielt auf „meine Verbindung“ an, beinhaltet aber auch das Wort „Myco“, das auf Griechisch Pilz bedeutet. In der immersiven Kunstinstallation wird das Nervensystem eines Menschen mit einem Myzel über eine Feedbackschleife mittels Herzschlagsensor, Kopfhörern und Vibrationsmotoren verschaltet. Impulse des Herzschlags werden an das Myzel ausgesendet und als moduliertes Signal über Schall-, Licht- und Tastsensorik zurück auf den menschlichen Körper übertragen, der infolge des Reizes auf sein Nervensystem die Rhythmik seines Herzschlags verändert. Bei Myconnect soll auf einer nicht sprachlichen, metaphorischen Ebene die Symbiose zwischen Myzel und Wurzelwerk erlebbar werden. Im übergeordneten Sinne steht hinter der Installation der Wunsch, die Erde als ein komplexes, verkoppeltes System wahrnehmbar zu machen, als ein Ökosystem, in dem der Mensch als eins von vielen Elementen agiert.2
Was in Myconnect als harmonische Symbiose von Mensch, Natur und Technik zelebriert wird, verdeutlicht aber auch die zunehmende Verknüpfung von Natur und Technik, bei der Liaisons von Bio- und Informationstechnologie keine Seltenheit mehr sind. Technologie dient in dieser Installation vor allem der reibungslosen Inszenierung einer ökologischen Vernetzungsutopie. Es könnte aber interessant sein, die Implikationen der technologischen Verbindung zwischen Mensch und Umwelt stärker mitzudenken und beispielsweise auch als ein Übersetzungsmoment zu thematisieren, in dem Differenzen und Störungen auftreten können.
Birgit Schneider nahm sich bei der Nonhuman Agents-Konferenz der medientheoretischen Perspektive an und stellte drei Projekte vor, die mithilfe von Virtual Reality die Wahrnehmung von Tieren erfahrbar machen wollen. In the eye of an animal (2015) verspricht Empathie – etwa für eine Eule –, deren Sehfeld mittels Computersimulation in 360°-Videos oder über VR-Brillen gezeigt wird. Schneider fragte sich, ob die Oculus-Rift-Werkzeuge nicht nur eine intelligente Form der Propaganda für den technologischen Fortschritt sind, bei der die Menschen den Umgang mit der neuen Technologie trainieren. Letztlich entsteht eine Verbindung zur medientechnologischen Wahrnehmung und nicht zum Tier, das in dieser Anordnung gar nicht direkt vorkommt.
Ähnlich wie bei Myconnect geht es im Werk von Heather Barnett um eine Präsenz des lebenden Organismus. Sie zeigt den gelben Schleimpilz Physarum polycephalum live in einer speziell konstruierten Petrischale, in der ein Straßenmodell der näheren Umgebung des Ausstellungsorts platziert ist. Bei der Suche nach ausgelegten Haferflocken breitet sich der Organismus netzwerkartig aus und kartografiert die von ihm gewählten Wege. Das Modell spielt auf ein beeindruckendes Experiment an, bei dem japanische Wissenschaftler 2010 nachweisen konnten, dass die Vernetzungsfähigkeit von Physarum polycephalum äußerst effizient ist. Ohne großen Aufwand erschuf die Kreatur ein Netzwerk, das der ausgefeilten Struktur des Tokioer Bahnnetzes entsprach.
Zur Veranschaulichung des Verhaltens des größten einzelligen Organismus nutzt Barnett parallel Medientechnologien. Per Zeitraffer macht sie die netzwerkartige, räumliche Verbreitung sichtbar. Ihre Art Aufklärungsfilm dient im nächsten Schritt der Übertragung des nicht menschlichen Verhaltens auf WorkshopteilnehmerInnen. Barnett greift die Fortbewegungsmethode des Organismus auf, um in kollektiven Experimenten metaphorische Nachahmungen durchzuführen. Der Pilz soll nicht wie in der Wissenschaft zur Lösung komplexer Netzwerkprobleme dienen oder als Behelf der Bioinformatik eingesetzt werden, vielmehr geht es darum, sich selbst durch die Imitation im Austausch mit der Umgebung anders wahrzunehmen. TänzerInnen duplizieren seine räumlich-vernetzenden Bewegungen auf einem Industriegelände, und Barnett untersucht das Phänomen des „polycephalism“, der „many-headedness“ des Pilzes, in kollektiven Performances, bei denen sich die TeilnehmerInnen auf nicht sprachliche Praktiken der Kommunikation und Kooperation einlassen. Die so initiierte Schwarmintelligenz könnte allerdings auch Potenzial in sich tragen, das nicht nur die anthropozentrische Dominanz infrage stellt, sondern zukünftig als Vorbild für autonome Roboterschwärme dient, denen der Schleimpilz das Navigieren beibringt.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang Subaquatic/Aquatocene sound scape (2016) von Robertina Šebjanič, ein Projekt, das die Künstlerin bei der Nonhuman Agents-Konferenz vorstellte. Hier gelingt es, mit einfachen Mitteln ein Verständnis für ökologische Zusammenhänge zu schärfen, aber auch Missstände aufzuzeigen. Šebjanič sammelt Unterwasser-Soundaufnahmen an verschiedenen Orten der Welt, dabei wird hörbar, wie die Ozeane zunehmend von einer Unterwasser-Geräuschverschmutzung heimgesucht werden, die neben den vielfältigen Sounds der Meeresbewohner eine starke Geräuschkulisse ausmacht.
Nonhuman Networks, 29. September bis. 26. November 2017, Konferenz Nonhuman Agents in Art, Culture and Theory, 24.–26. November 2017, Art Laboratory Berlin.
[1] Karen Barad, Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning. Durham 2007, S. 33.
[2] Vgl. Saša Spačal, Connections Continuum: A Life, in: Theresa Schubert/Adrew Adamatzky (Hg.), Experiencing the Unconventional: Science in Art. Singapur 2015, S. 176.