Heft 2/2018 - Artscribe


Poesie und Performance. Osteuropäische Perspektive

23. Dezember 2017 bis 10. März 2018
Neue Synagoge Žilina / Žilina

Text: Lucia Gavulová


Žilina. Die Konzentration auf die osteuropäische Perspektive im Rahmen eines von der Universität Zürich veranlassten Forschungsprojekts bildete die Diskussionsgrundlage für die Ausstellung Poesie und Performance. Osteuropäische Perspektive der KuratorInnen Tomáš Glanc, Daniel Grúň und Sabine Hängsen in der neologischen Synagoge von Peter Behrens, welche seit Jahren als Kulturveranstaltungsort verwendet wird. Der Veränderung der Wahrnehmung von Poesie stand Sabine Hänsgen, die in den Achtzigerjahren in Moskau an der Filmakademie studierte, am nächsten. Da sie dort zahlreiche konzeptionelle Künstler kannte, entschied sie sich, mithilfe von Video die Kommunikation dieser Künstler außerhalb des institutionalisierten sowjetischen Kulturlebens zu dokumentieren; sie nahm Situationen auf, die aus dem offiziellen Gedächtnis verbannt wurden (einige von ihren Videos aus dieser Zeit wurden in der Ausstellung gezeigt). Aus Russlands Perspektive betrachtet Hänsgen den grundlegenden Moment der Erweiterung von möglichen Herangehensweisen an die Sprache und den Umgang mit ihr (seit den Sechzigerjahren). Die ähnliche gesellschaftspolitische Situation, die in den Ländern Osteuropas herrschte, war demnach verantwortlich dafür, dass in diesen Ländern auch ein vergleichbarer Zustand auf diesem Gebiet bestand, was auch in der Ausstellung präsentiert wurde. Als grundlegend (auch im Rahmen der Ausstellung) zeigt sich jedoch, dass dieser trotz offensichtlicher Parallelen gleichzeitig durchaus unterschiedlich war („similar within the dissimilar“ – Hänsgen). Die KuratorInnen versuchten auch dieses widersprüchliche und gleichzeitig attraktive Moment zu untersuchen und die Forschungsergebnisse dem Publikum näherzubringen.
Im Hinblick auf den bisherigen Stand ihres Forschens und im Kontext der Ausstellung in der Neuen Synagoge in Žilina entschieden sie sich, Kunstwerke von schwerpunktmäßig logisch älteren KünstlerInnen zu präsentieren, die authentisch in den Sechziger- und Siebzigerjahren wirkten. Allerdings wurden gleichzeitig auch Kunstwerke gegenwärtiger KünstlerInnen gezeigt, durch deren Werk auf bestimmte allgemein gültige Parallelen und die Aktualität des Themas auch für die gelebte Gegenwart hingewiesen wurde. Dadurch ist es gelungen, die Ausstellung vor Historisierung und einer überflüssigen Versteinerung zu schützen. Denn die Sprache, als Grundstein der Projektidee, ist lebendig und wandelt sich. In der heutigen Zeit der rasanten technologischen Entwicklung mutiert sie in neue, unerwartete Richtungen. Auf die Fragilität und Materialität der Sprache wiesen in der Ausstellung in dieser Hinsicht Werke von Kinship MOHO (SK), Dávid Koronczi (SK), Pavel Novotný (CZ), Jaromír Typlt (CZ), Andrey Silvestrov (RU), Roman Osminkin (RU), Boris Ondreička (SK), Marianna Mlynárčiková & Nóra Ružičková (SK) oder Pavol Arsenev (RU) hin. Die unterschiedlichen Herangehensweise an die Sprache und an die Arbeit mit ihr brachten in gegenseitiger positiver Symbiose Werke weiterer AutorInnen näher. Mladen Stilinović (HR) interessierte die Sprache als ein Gebiet der Konfrontation von Ideologien. Vlado Martek (HR) arbeitete mit der Visualisierung von Poesie, und mit seiner Vorpoesie betrachtete er Poesie als unvollendet, wobei das Potenzial ihrer Erfüllung dem eigentlichen Dichter und dem Schreibprozess obliegt. Babi Badalov (AZ) ist ein Künstler der mehrsprachigen poetischen Intervention, der die kommunikative Hegemonie der englischen Sprache dekonstruiert und mittels der Sprache den Weg zum Selbstausdruck sucht. Die Texte von Dmitri Prigov (RU) karikierten die sowjetische Macht. Absichtlich bediente er sich der Sprache der Ideologie und Propaganda. Charakteristisch ist seine Figur des Polizisten (der Zyklus Militiaman) als Avatar der sowjetischen Machtstrukturen mit göttlicher Kraft versehen, in die sich Prigov mit einem hohen Maß an Provokation selbst stilisierte – ein Undergrounddichter als Beschützer der staatlichen Macht. Prigovs Freund Lev Rubinstein (RU), mit dem er zusammen an der Spitze der russischen Konzeptkunst stand, benutzte, ähnlich wie Prigov, metalinguistische Methoden. Seine frühen Textserien sind demonstrativ mechanisiert; sie wirken wie sich selbst generierende Programme, jenseits jeglicher konkreter gesellschaftlicher Wirklichkeit. Mikhail Epstein charakterisiert Rubinstein als Meister der Darstellung von Schlichtheit der wertlosen sprachlichen Gebilden: alles Gesagte scheint eine Nachahmung der Sprache jemanden – niemanden – eines anderen zu sein. Wir sind es nicht, die auf diese Weise sprechen, es ist die Art und Weise, wie „sie“ zu „uns“ sprechen. Andere Mutationen/Formen/Gestalten der Arbeit mit der Sprache wurden in der Ausstellung zum Beispiel in den Werken von Ľubomír Ďurček (SK) reflektiert, der sich mit den kontextuellen Bedeutungen ausgewählter Wörter beschäftigt, sowie beim Monogrammist T.D (SK), in deren Werken das Wort unter anderem die Stellung eines materiellen Bildes oder eines 3D-Objekts annimmt. Konzeptionell war die Ausstellung in sechs thematische Bereiche gegliedert: Performance des Schreibens – Lesens, Audiogesten, Eingriffe in den öffentlichen Raum, Kinemato/grafische Poesie, Körperliche Poesie/Poesie des Körpers und Sprachspiele. Werke weiterer (sowie der erwähnten) AutorInnen nahmen Bezug auf die inhaltlichen Möglichkeiten eines jeden von den oben genannten Bereichen.
Den KuratorInnen ist es gelungen, einen solch utopischen, „nicht existierenden Ort“ im Laufe der Ausstellung in der Neuen Synagoge in Žilina zu schaffen, von dem sie am Anfang wahrscheinlich nicht mal geträumt hatten.