Frankfurt am Main. Die Versuchsanordnung klingt kompliziert. Von der Reise mit einer Zeitkapsel ist im Begleitheft die Rede und von asymmetrischer Biegung der Raumzeit. Kurz zusammengefasst: Die Künstler der Frankfurter Ausstellung There Will Come Soft Rains begeben sich in das Jahr 2318, wo sie auf eine Welt ohne Menschen treffen. Den Titel ihrer Schau haben die Kuratoren Stefan Vicedom und Bernard Vienat dem gleichnamigen Gedicht von Sara Teasdale aus dem Jahr 1918 entliehen. Was haben die Zeitreisenden also mitgebracht aus der nonhumanen Welt der Zukunft?
In erster Linie sind die gezeigten elf Positionen ganz und gar gegenwärtig, und bei Weitem nicht alle Werke sind zum ersten Mal zu sehen. Das kuratorische Narrativ scheint am besten im Medium Film zu funktionieren, auch wenn sich die Ausstellung nicht darauf beschränkt. Vielleicht ist das so, weil die Filmgeschichte so reich ist an potenziellen Referenzen, an Zukunftsvisionen – ob fantastisch oder dystopisch, kommerziell oder künstlerisch anspruchsvoll.
Uriel Orlow nähert sich in seinem 2010 produzierten Video Remnants of The Future dem Leben in einer unvollendeten Wohnsiedlung in Gjumri, der zweitgrößten Stadt Armeniens. Das Bauprojekt begann 1988 und sollte Opfer des schweren Erdbebens in Spitak mit Wohnraum versorgen. 1991 brach jedoch die Sowjetunion zusammen, und die Siedlung konnte nicht fertiggestellt werden. Seitdem verfallen die Rohbauten, in der Umgebung wohnen nur noch wenige Menschen. Der Film zeigt, wie sie die Gebäude nutzen. Ungelenk und plump wirken die unfertigen Plattenbauten vor dem Hintergrund einer majestätischen Berglandschaft. Rudimentär erscheinen die Lebenspraktiken der von Orlow porträtierten Menschen. Sie haben sich in den Trümmern einer großen Utopie eingerichtet – in einem quasi unmöglichen, weil nicht vorgesehenen Alltag nach dem Untergang eines auf Jahrhunderte angelegten Imperiums.
Zwischen unverhohlener Schadenfreude und pubertärer „Das wollte ich schon immer mal machen“-Attitüde schwankt Flooded McDonald’s, ein 2009 entstandener Film des dänischen Künstlerkollektivs Superflex. Rasmus Nielsen, Jakob Fenger und Bjørnstjerne Christiansen haben ein 1:1-Modell eines McDonald’s-Schnellrestaurants nachgebaut, dieses in einem Glaskasten in einem Swimmingpool in Bangkok platziert und langsam geflutet. Das Geschehen wurde durch das Glas hindurch gefilmt. Auf 21 Minuten gedehnt wird der kontinuierliche Untergang des menschenleeren Fast-Food-Restaurants geradezu zelebriert. Der Film bebildert, so scheint es, einen Konsenstraum jedes aufgeklärten Amerikahassers.
Ein stetig anschwellendes Brummen, das an den Nachhall einer großen Explosion denken lässt, empfängt die BesucherInnen von Julian Charrières Rauminstallation. Sein 2016 entstandener, 24-minütiger Film Iroojrilik erzählt von einer Expedition zum Bikini-Atoll im Pazifischen Ozean. Die Inselkette wurde in den 1940er- und 1950er-Jahren vom US-Militär für Kernwaffentests genutzt und ist bis heute unbewohnt. Ein spektakulärer Sonnenuntergang am Meereshorizont, eine von Pflanzen umwucherter Betonbunkerruine, Tauchfahrten zum Meeresgrund: Charrières Landschaftserkundungen muten fast romantisch an, auch wenn die alles durchdringende Klangkulisse beständig an die atomare Zerstörung erinnert. Charrière zeigt eine Natur, die mit allen Mitteln gegen die Überreste menschlicher Hybris ankämpft. So kommt er dem Kerngedanken der Ausstellung am nächsten. Zur Installation gehört auch die Arbeit Pacific Fiction – Study for a Monument. Charrière hat Kokosnüsse vom Bikini-Atoll in Blei gehüllt und zu Pyramiden angeordnet. Unweigerlich lassen die Objekte Kanonenkugeln und die (auch deutsche) Kolonialgeschichte der Inselkette assoziieren.
Während die Ausstellung über eine Welt ohne Menschen spekuliert, widmet sich das Begleitprogramm von There Will Come Soft Rains dem ökologischen und sozialen Antlitz der Gegenwart. Neben Künstlergesprächen stehen Vorträge zur Mobilität der Zukunft und den Folgen des Klimawandels auf die globalen Fluchtbewegungen auf dem Programm. An zwei Abenden zeigen die Dramaturgin Tamara Antonijevic und die Künstlerin Filippa Pettersson die Performance 7am. In einer von Neonröhren und fluoreszierenden Stiften beleuchteten, angedeuteten Bürokulisse agieren drei PerformerInnen (Nicolina Eklund, Carlos Franke und Chiara Marcassa). Während eine Filterkaffeemaschine vor sich hin köchelt und ein Tintenstrahldrucker mehrere Blätter ausspuckt, schauen die PerformerInnen (unabhängig voneinander) mal gänzlich unbeteiligt in die Ferne, um dann unvermittelt prüfend-streng ins Publikum zu blicken. Sie gefrieren immer wieder in puppen- oder roboterhaft wirkenden Posen und vollführen im Laufe der Performance eine zwischen Dada und Yoga changierende Choreografie. Zuweilen wird das Geschehen von meditativer (Fahrstuhl-)Musik begleitet. Dann erzählt eine vom Band eingespielte weibliche Stimme von einer fiktiven Begegnung, ein Chor aus Flüsterstimmen zählt kaum vernehmbar Beobachtungen auf. Das halbhypnotisierte Agieren der PerformerInnen wirkt wie ein Platzhalter für irgendetwas, es ist faszinierend sinnentleert. Alles Dialogische bleibt im Ansatz stecken, ein Gegenüber ist nicht auszumachen. Wir lernen daraus: Um die posthumane Hölle zu finden, muss man weder in entlegene Weltregionen noch in die Zukunft reisen. Sie spielt sich hier und jetzt ab, und wir sind mittendrin.