Leipzig. Die Taktilität des Kameraauges wirft per se eine Widersprüchlichkeit auf, deren Überbrückung vielleicht das eigentlich Relevante an dieser filmischen Kategorie darstellt. Auch Maya Schweizer hat in älteren Arbeiten (etwa in Le soldat mourrant des Milles) Versuche unternommen, durch eine wackelige, abtastende Handkameraführung und aufeinander geschnittene Nahaufnahmen das distanzierende Moment des Kamerablicks zu hintertreiben.
In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass ihre Ausstellung im Kunstverein Leipzig entlang eindeutiger Grenzen strukturiert ist. Wobei diese Struktur auf die innen und außen definierende Architektur der Kamera zurückgeht, deren einfachste Manifestation noch immer die Camera obscura darstellt. Die großen Fensterfronten des Kunstvereins hat die Künstlerin dafür mit Spiegelfolie abgeklebt. Zwei Kinoprojektoren sind von innen darauf gerichtet, was zu einer Verspiegelung führt, sobald das Tageslicht nachlässt. Da der Hauptraum darüber hinaus leer bleibt, setzt Schweizer über diesen einzigen minimalistischen Eingriff mit dem Titel Regarde eine Blickachse, welche die Warenauslagearchitektur der Fenster umkehrt zu einem beobachtenden Blick nach draußen. Allerdings erfährt diese Axialität eine merkwürdige Uneindeutigkeit durch die Spiegelung, die analog zur Dämmerung fortschreitet.
Dieses ganze Arrangement ist, wie eigentlich immer bei Schweizer, nicht ohne die filmische Arbeit zu denken, auf welche sie sich bezieht, sie rahmt, kommentiert und auch konfiguriert. Besagte Zwei-Kanal-Projektion Regarde par ici … Und dort die Puschkinallee ist – im hinteren Teil des Raumes gezeigt – abgegrenzt mit schwarzem Stoff, wobei die von außen sichtbare Seite mit weißem Stoff ausgekleidet ist. Diese Details müssen, ebenso wie der weiße Teppich, der dem Licht der Projektion erlaubt, räumliche Umrisse zu entwerfen, registriert werden, da Regarde par ici … Und dort die Puschkinallee genau auf der Durchlässigkeit dieser strukturalistischen Trennlinie von hell/dunkel, innen/außen, schwarz/weiß aufsitzt. Doch zur Projektion selbst: Die Aufnahmen sind aus leicht erhöhter Position entstanden, aus einem dunklen Gebäude heraus gefilmt, was an spiegelndem Fensterglas oder den Bildkader definierenden Sichtschlitzen erkennbar ist. Die Kamera registriert offenbar (oder vorgeblich) unselektiert die direkte Umgebung, einen etwas verwahrlosten Park. Naturbeobachtungen wechseln sich ab mit FlaschensammlerInnen, FahrradfahrerInnen, Obdachlosen und Sonnenbadenden. Als Split-Screen laufen die beiden Spuren nebeneinander, allein durch die Struktur und über eine ähnliche Kameraposition aufeinander bezogen. Denn obwohl die Bilder sich wechselseitig subtil kommentieren, sind sie eigentlich nur zweimal offensichtlich aufeinander abgestimmt. Einmal in zwei Nahaufnahmen von Baumkronen, bei denen die Bilder nahezu eines ergeben würden, wäre nicht das linke der beiden durch Glas gefilmt. In dem anderen Fall blendet die rechte Spur ab, während sich links ein Weberknecht grazil über eine bröckelnde Wand bewegt. Auf der Tonspur referiert eine Stimme, welche die Credits Judith Butler zuweist, über den Körper des Prekariats, was innerhalb von Regarde par ici … Und dort die Puschkinallee eine semantische Umlegung der Verletzlichkeit der Spinne auf jene der im Park anzutreffenden gesellschaftlich Schwächsten triggert, dem Ungeziefer des Sozialdarwinismus.
Zur Einordnung dieser Bilder muss angeführt werden, dass Schweizer sie aus einem ehemaligen DDR-Grenzposten im Schlesischen Busch in Berlin aufgenommen hat. Man mag problematisch finden, dass Schweizer Camera obscura und Jeremy Benthams Panopticon kreuzt, die visuelle Architektur eines unterdrückenden Apparats mit seiner ostentativ nicht teilnehmenden Beobachtung aufgreift. Allerdings unterläuft sie ein striktes Gut-Böse-Schema, indem sie auch das Innere des Wachturms abfilmt, während im Voice-over ein ehemaliger Grenzer davon berichtet, dass die Kollegen sich auch untereinander zu beschatten hatten. Überhaupt tritt die Tonspur extrem dominant auf, klingt mal nach Field Recording, mal mischen sich Stör- und Drohnengeräusche hinein, Radiobeiträge, Interviews, aber auch Das Wohltemperierte Klavier von Bach. Ähnlich einem analogen Radio, bei dem man permanent die Sender wechselt. Damit inszeniert sie erneut ein ungefiltertes Eindringen von Information, welches aber in Verbindung mit den Aufnahmen auf etwas anderes abzielt: Sie nimmt die kontrollierende Präsenz einer vormaligen Macht ein und registriert dabei primär deren Abwesenheit. Omnipräsenz und Rückzug des Staats verschränken sich in jeder Einstellung. Zynisch ließe sich sagen, die neoliberal imprägnierte Freiheit, in welche die BürgerInnen der ehemaligen DDR entlassen wurden, ist die des Lebens in Armut. Die hier wirklich fehlende Taktilität ist daher jene der öffentlichen Hand.