Basel. E wie Einzel-? Die Ausstellung von Michael E. Smith in der Kunsthalle Basel; sie lässt viel Raum.
E wie exact? Die minutiöse Platzierung innerhalb eines sorgfältig durchdachten Displays; sie schafft viel Raum. E wie Exit? Das großzügige Obergeschoss in der Kunsthalle; bei Smith wird es zum Durchgang.
„Ein Minimalismus weniger wie Judd, mehr wie Lobotomie“, sagt Michael E. Smith (geboren 1977 in Detroit; lebt und arbeitet in Providence, USA). Minimal ist diese Ausstellung allemal. Und gleichzeitig evoziert sie die maximale Entropie. Sie entfaltet sich über sieben ortsspezifische Werke in fünf Räumen, besser gesagt Winkeln, und erzeugt die minimalistische aseptische Atmosphäre der Leere, deren Gegenteil allgegenwärtig ist.
Eröffnet wird dies von einem Paar abgenutzter Sessel, die den rechten Flügel des Treppenhauses besetzen. Die implizierte Konversation der beiden anthropomorphen Objekte Untitled (2018), wie alle Werke, kippt. Das Kennenlernen in einer Lobby, vielleicht, vielleicht eine therapeutische Sitzung? Um die Schieflage rankt sich die Vorstellung des physischen und sozialen Raums, der konkrete Inhalt jedoch bleibt unbesetzt. Gleichzeitig erzeugt das angewinkelte Duo ein schiefes Lächeln um die Mundwinkel, wie zum Beispiel beim Betrachten des infantilen Internet-Videogenres von „Möbel, die die Treppe runterrutschen“. Seinen todernsten Gegenpart findet die schwarzhumorige Seite der Sessel in der Korrespondenz der Roséfarbigkeit ihres Bezugs mit dem Faltenwurf, der die Allegorie der Kunst in Ernst Stückelbergs historischem Fresko Das Erwachen der Kunst in der Renaissance (1877, 309 x 592 cm) umgibt, permanent zu bewundern oberhalb des Treppenabsatzes.
Die Allegorie der Kunst steckt fest zwischen Tür und Angel. Übergeleitet wird dies von einer Arbeit (die einzige aus dem Atelier gesendete), die in der Ecke klemmt. Zwischen Treppenhaus und Oberlichtsaal bezieht sich Smith einmal mehr auf Das Erwachen: Die Flügel der Allegorie der Kunst in der Malerei finden sich als kunstharzbeschichteter Tauben- und Hühnerflügel wieder, beidseitig eingelassen im Winkel einer handelsüblichen Haustür, unfertig verbaut; die verlassene Baustelle des amerikanischen Heims. Der Spion, ein Guckloch in Richtung des Freskos inszeniert den Unfall: die vor der Nase der Kunst zugeschlagene Tür, der feststeckende Fittich, die Entzauberung des Desinteresses.
Nichts Nobles in Sicht. Im Gegenteil: Der Geruch von „white trash“ macht sich breit in unserem Kopf beim Betreten des Hauptraums. Im kalten Oberlicht der leicht getönten Scheiben erscheint ein dickes Bündel krankenhaushafter Kunststoffdecken, das am Hängesystem der Galeriedecke wuchert, als Zeichen sozialer Klassen lesbar. Das minderwertige synthetische Material in schmutzig-weißem Überfluss macht trotz seiner luftigen Höhe die karzinöse Mikrofaser in unseren Kleidern, Wasser, Essen, Blut greifbar. Das metabolisch-ökologische Desaster gibt es auch in Klein, als winzige Streetwear-Hose mit tumorösem Ball in einem Bein; perfide platziert in der Hüfthöhe eines Kindes am Ein-/Ausgang der Ausstellung. Ausweglos die Aussicht des jungen Menschen mit den geschwollenen Gliedmaßen.
„Wahnsinnig komische Ideen“, sagt Elena Filipovic, Direktorin und Kuratorin der Kunsthalle Basel, und bringt damit einiges auf den Punkt. Wie der Laserpointer, der unsere Aufmerksamkeit quer durch den Saal lenkt, in die beiden kleinen angrenzenden Kabinette. Der Durchgang zu ihnen ist verstellt von einem mannshohen Metallbohrer, entweder für Öl oder für Wasser, mit dem Pathos des Walking Man. „Ein robotischer Giacometti“, antwortet Smith. Während die Handlungsmacht des Materials in seiner Ausstellung sich vollends entfaltet: Der rote Laserstrahl trifft zuerst den Bohrstab, der leuchtet auf wie schmelzender Stahl, dann trifft er genau nicht die gegenüberliegende Wand des Kabinetts, sondern punktgenau die beiden gebrauchten und etwas überholten Smartphones, die dort auf Gesichtshöhe installiert sind und aufglühen wie ein Satz heiße Ohren. Das Raster der winzigen Piktogramme für die einzelnen Programme auf dem Bildschirm des Telefonapparats ersetzt Smith mit jeweils einem im Raster perforierten, bildschirmgroßen Löschblatt, das mit dem winzigen Piktogramm einer Erdbeere bedruckt und mit LSD beträufelt wurde – der handelsüblichen „Verpackung“ der vom Schweizer Chemiker Albert Hofmann erfundenen halluzinogenen Droge des häufig verbreiteten Typs „Strawberry“. Die roten und blauen adernhaften Elektrizitätskabel des letzten, überraschenden (und als solches hier nicht gelüfteten) Werks, die aus der aufgerissenen Oberfläche des Gebäudes quellen, schließen den wahnwitzigen Kreis dieser ausgeklügelten Ausstellung.
Aber zurück zur Lobotomie. Es sind die brutalen und gleichzeitig fast zärtlichen Dopplungen in Smiths Behandlung seines Subjekts und Objekts zugleich, der Institution Kunst und der Institution als Irrenhaus, als Krankenbett, als Bettstatt von Beziehung, die hier unbedingt noch zu erwähnen sind. Es ist eine Zwiespältigkeit, die sich nicht erschöpft in den unheimlichen Einschnitten in eine domestische Dystopie à la Gordon Matta-Clark. Sie bannt anschwellende Angstzustände mit dem tragikomischen Witz eines ganz bestimmten, etwas anachronistischen Realismus – plus eine Prise Magie. Eine Ausstellung als Taschenspielertrick, ein Spiel auf und mit der Grenze des Wahrnehmbaren und mit der Stringenz eines Schachspiels, wo Platzierung über Leben und Tod entscheidet. So feiert Michael E. Smith den Teufel im Detail und verwünscht die Zwangsjacke der Disziplin.
Michael E. Smith, Untitled, 2018, Sessel, Maße variabel, Courtesy: Michael E. Smith