Noch bevor sie 1976 an der School of the Art Institute of Chicago die bis heute bedeutende Distributions- und Rechercheplattform Video Data Bank gründeten, hatten die Künstlerinnen Lyn Blumenthal und Kate Horsfield mit ihrer Interviewserie On Art and Artists (1974–88; fortgesetzt von VDB) begonnen, die eine Vielzahl von Videodokumenten versammelt. Die Gespräche mit Künstlerinnen wie Agnes Martin, Ree Morton oder Alice Neel sowie Kuratorinnen wie Lucy Lippard oder Marcia Tucker oder einer Galeristin wie Betty Parsons folgten dezidiert einer feministischen Agenda; später wurde der Kreis erweitert, sodass auch männliche Gesprächspartner Berücksichtigung fanden. 1984 führte Lyn Blumenthal mit dem befreundeten Kunsthistoriker, Kritiker und Theoretiker Craig Owens in seiner Wohnung in New York eines dieser Videointerviews, dessen Transkription nun in Buchform vorliegt. Craig Owens (1950–90) erlangte Bekanntheit und Bedeutung als Autor, als redaktioneller Mitarbeiter für die Magazine October und später Art of America sowie für sein theoretisches Engagement, das er auch als Lehrender an Institutionen wie der Yale University oder dem Whitney Independent Study Program vermittelte. Texte wie „The Allegorical Impulse: Toward a Theory of Postmodernism“ (1980), „The Discourse of Others: Feminists and Postmodernism“ (1983) oder „From Work to Frame, or, Is There Life After ‚The Death of the Author‘?“ (1985) belegen, welche Brisanz sein intellektuelles Werk hatte, das bis heute nichts an Relevanz eingebüßt hat. Diese und weitere seiner Texte wurden 1992 posthum unter dem Titel Beyond Recognition. Representation, Power, and Culture publiziert – das Buch gilt als sein theoretisches Vermächtnis.
Als nachgereichtes Vademecum könnte man nun Portrait of a Young Critic (2018) bezeichnen. Im Interview ist Owens’ gesprochene Sprache von einer Klarheit und Pointiertheit, die auf unprätentiöse Weise sein Denken zugänglich macht. Im Sinne einer intellektuellen Biografie erfahren wir einiges über seine Prägung, angefangen mit seiner Kindheit in Pennsylvania und seiner frühen Begeisterung für Architektur und Theater, dem er sich auch auf dem College widmen sollte, wo er eine Theatergruppe ins Leben rief. 1971 zog er nach New York, wo er Yvonne Rainer und in Folge Robert Wilson und Vito Acconci kennen- und durch die Kunstkritik schätzen lernte. Wenig später beschloss er, am Graduate Center in New York zu studieren und belegte dort History of Criticism und Critical Theory. Zunächst kam er dort zu dem ernüchternden Befund: „I just found all of the standard art-historical material intellectually bankrupt at that time.“ Wichtige Ausnahmen stellten Leo Steinberg und später Rosalind Krauss dar; sie war es, die Owens in den Zirkel der Zeitschrift October aufnehmen sollte: „She was the first person I had encountered who brought a certain kind of intellectual apparatus to bear on the visual arts. She seemed aware of the traditions of scholarship in other fields and understood their applicability to visual arts production, as if she saw a cultural history rather than the history of individual disciplines.“ Eine weitere einflussreiche Person war sein Kommilitone Douglas Crimp, der ihn nicht zuletzt mit der sogenannten Pictures Generation bekannt machte. In diesem Umfeld erfolgte eine Politisierung, die sich auch auf die eigene Tätigkeit übertrug: „There was a task to be performed. We had a purpose. We wanted to make the case for the relevance and importance of this new critical activity.“ Auch was das Schreiben sowie das Selbstverständnis als Kritiker anbelangt, sah Owens die Notwendigkeit einer kritischen Befragung: „what interests me is the critic’s relationship to how the work of art is represented within his or her text. If one is willing to take this dynamic into account, one can begin to see in one’s own work a rather uneasy relationship to the object. It’s a relationship that is entangled with a certain kind of appropriation and reduction of the work, which bestows on it meanings that simply reflect the subjectivity of the critic.“
Als konkretes Beispiel einer Umsetzung solcher Überlegungen nennt Owens die Einladung an einen Künstler oder eine weibliche Autorin, Ausstellungsbesprechungen zu verfassen – und lässt dabei nicht unerwähnt, mit welchen Widerständen man sich aufgrund einer solchen redaktionellen Entscheidung damals konfrontiert sah. Auch was seine eigene Textproduktion anbelangt, erweist sich Owens als durchaus in der Lage, Kritik zu üben und auch frühere Ansichten zu relativieren; zudem reflektiert er seine Ansprüche an das Schreiben (im Hinblick etwa auf den Umgang mit Sprache oder das Erschließen von – ebenso disziplinübergreifenden – Kontexten) oder auch die marginalisierte wiewohl privilegierte, weil finanziell unabhängige Nischenposition, aus der heraus er einige Zeit lang agieren konnte. Mit dem Wechsel von October zu Art in America änderten sich für Owens die Rahmenbedingungen seiner editorischen Tätigkeit: Die nun wesentlich auflagenstärkere Zeitschrift brachte für ihn eine neue Sichtbarkeit mit sich, durch die Anzeigenverkäufe sah er aber auch eine indirekte Verflechtung mit dem Kunstmarkt. Sein kritischer Impetus blieb davon jedenfalls ungebremst, wenn es am Ende des Interviews, gleichsam als prägnante Formel seines Credos heißt: „We have to begin to investigate the status of art and culture and the political and economic interests that it serves.“