Heft 3/2018 - Lektüre



Christian Dewald/Petra Löffler/Marc Ries (Hg.):

Kino Arbeit Liebe: Hommage an Elisabeth Büttner

Berlin (Vorwerk 8) 2018 , S. 75 , EUR 24

Text: Alexandra Seibel


Die Illusion der Liebe ist es, nicht zu vergessen, heißt es bei Marguerite Duras. Auch die ständige Arbeit an der Erinnerung hebt das Vergessen nicht auf, schreiben die HerausgeberInnen Christian Dewald, Petra Löffler und Marc Ries in der Einleitung zu ihrem innigen Buch Kino Arbeit Liebe: Hommage an Elisabeth Büttner. Doch selbst wenn das Vergessen nicht aufgehoben werden kann, so trägt die Arbeit an der Erinnerung „das Erinnerte in die Gegenwart und verwandelt es immer wieder in singulären Akten der Vergegenwärtigung“.
Die Liebe zu und die Erinnerung an Elisabeth Büttner, die im Februar 2016 erst 55-jährig verstorben ist, beflügeln einen hingebungsvollen Sammelband, dessen Titel Kino Arbeit Liebe nicht zufällig an eine Veröffentlichung zweier Reden von Jean-Luc Godard angelehnt ist. Für Elisabeth Büttner, herausragende Filmwissenschaftlerin, Autorin und Lehrende, war das Werk Godards wichtiger Bezugspunkt ihres eigenen Denkens, welches das Kino als Erfahrungsinstrument und seine Bilder als politische Erkenntnisobjekte ernst nahm und in engen Bezug zur eigenen Forschungspraxis setzte.
Kino Arbeit Liebe ist nicht einfach nur eine wissenschaftliche Essaysammlung von WeggefährtInnen und KollegInnen. Vielmehr eröffnet es eine Echokammer für Denkbewegungen, die in Elisabeth Büttners Schriften, Vorträgen, Reden, aber auch Fotoarbeiten ihre Inspirationen genommen haben und ihren Niederschlag in unterschiedlichen Textformaten finden – von Filmanalysen, philosophischen Betrachtungen, lyrischen Bildgedichten bis hin zu bewegenden Grabreden.
Manche Texte nehmen direkt Bezug zu den Arbeiten von EB (wie sie im Text aufgerufen wird) bzw. tragen ihre Überlegungen in verwandte Forschungsbereiche hinein. Petra Löffler etwa greift EBs Gedanken zur Widerständigkeit von Found-Footage-Material auf, das biografische Sinnstiftungsversuche unterläuft, und macht sie für ihre Lesart des Avantgardefilms Decodings fruchtbar. Hilde Hoffmann sucht im gegenwärtigen Dokumentarfilm über das Leben von Romas nach Haltungen des Politischen im Sinne von Rancière, ein ebenfalls wichtiger Bezugspunkt in den Arbeiten von EB. Tanja Widmann wiederum nähert sich EBs „Bewegungen des Denkens“ an, indem sie – in Rückgriff auf Agambens Begriff der Geste – deren Sprechen und Schreiben über Filme als „Ineinander von Potenz […] und Akt“ begreift.
Die völlig unterschiedlichen Zugänge der Schreibenden zu dieser „Arbeit an der Erinnerung“ profilieren nicht nur die einzelnen, oft sehr persönlich geprägten Beiträge, sondern lassen auch EB im Spiegel dieser Materialvielfalt in ihrer ganzen temperamentvollen Vielseitigkeit hervortreten.
Im ersten Teil des Buchs kommt EB selbst in fünf bislang unveröffentlichten Texten zu Wort und legt praktisch den intellektuellen Grundstein zu ihrer eigenen Hommage: „Den Anfängen vertrauen, sich mit Dingen auseinandersetzen, die noch keinen Namen haben, geschweige denn eine Grammatik.“ Ihre Überlegungen zu Robert Flaherty beschreiben eine Praxis des frühen Dokumentarfilms, verorten darüber hinaus aber auch eine „Produktivkraft des Sehens“, die sie ganz zentral bei Siegfried Kracauer findet und die auch ihr eigenes Verhältnis zu den Bildern entscheidend prägt. Der Filmemacher Hans Scheugl variiert diesen Gedanken anhand einer Fotoserie, die EB 1985 aus dem Fenster ihrer Berliner Wohnung aufgenommen hat: ein „Sehen als Bewegung“, das die Diktatur der Wahrnehmung unterläuft und Raum für den Möglichkeitssinn schafft. Nicht zufällig erinnert sich Daniela Hölzl in ihren zarten Betrachtungen zu Rilkes Sonett „Und was im Tod uns entfernt“ an diesen Satz von EB: „Alles ist möglich, werde was du sein möchtest!“
Das große Verdienst um die Aufschreibung der österreichischen Filmgeschichte, in zwei profunden Bänden von Elisabeth Büttner gemeinsam mit Christian Dewald niedergelegt, findet sich in dem luziden Text von Marc Ries noch einmal in seiner Einmaligkeit vorgeführt. Ries zeichnet seine und EBs Begeisterung für die Schriften von Gilles Deleuze nach und lässt diese Beschäftigung in einer überraschenden Taxonomie der Bilder und Begriffe gipfeln, die die beiden AutorInnen für das österreichischen (Nachkriegs-)Kino vorgenommen haben.
Rembert Hüser schließlich nimmt den Film Sonnenstrahl von Paul Fejos ins Visier, der in der wissenschaftlichen Arbeit von EB bedeutenden Raum eingenommen hat. Eigentlich, könnte man sagen, lässt sich Hüser von Sonnenstrahl trösten, einem Film, der den Tod „nicht einmal im Ansatz“ zulässt. In einer schönen Volte verbindet er die von EB im Sinne Benjamins ausgeführten Gedanken, wonach das Kino zwischen Gegenwart und Geschichte ungeahnte, schlaglichtartige Relationen herzustellen vermag, mit seiner Relektüre des Films. Der Fluss der Bilder wird in den Überlegungen Hüsers gestoppt und in Einzelbilder arretiert. Aber nicht nur das: Das Einzelbild arbeitet sich zum Bewegtformat des GIF vor, zum Loop, und entlässt das Standbild in eine kurze Eigenbewegung. Dieses „Giftisieren“ wiederum stellt eine Live-Verbindung zu Bildbewegungen her, deren Zeit schon vorüber schien und deren Wiederbelegung nicht nur an die Gegenwart anknüpft, sondern in die Zukunft weist.
Er müsse an EB immer in Form eines GIF denken, bekennt Rembert Hüser, an Wiederholungen bestimmter Gesten, Bewegungen, Lachen. Und weiter: Vielleicht sollte man die herkömmliche Idee des Fotos als Dokument der Vergangenheit hintanstellen und stattdessen in den abgebildeten Gesten Zurufe für noch stattzufindende Begegnungen lesen? Am Ende seines Texts finden sich Porträtfotos von Elisabeth Büttner, eines mit geschlossenen Augen, eines mit offenen, wie ein lächelnder Gruß, aus der Zukunft.