Heft 3/2018 - Artscribe


Burak Delier – Barmag: A Magazine That Takes Itself for a Bar

16. März 2018 bis 7. April 2018
Lokal / Istanbul

Text: Süreyyya Evren


Istanbul. Das neue Projekt des in Istanbul ansässigen Künstlers Bural Delier trägt den Titel Barmag: A Magazine That Takes Itself for a Bar. Man könnte es aber auch „eine Ausstellung, die sich für ein Magazin nimmt, das sich für eine Bar nimmt“, nennen. Die Ausstellung1 fand nämlich nicht in einem Kunstraum, sondern in einer örtlichen Bar mit dem Namen Lokal statt, die erst kürzlich von einem ehemaligen Universitätsangehörigen und einem Exjournalisten gegründet worden war. Ersterer verlor seine Arbeit an der Uni, nur weil er eine Petition gegen den Angriff auf KurdInnen unterschrieben hatte, der andere wurde, nachdem er mehrmals zensuriert und gemobbt worden war, unter dem Vorwand gefeuert, er sei Mitglied einer Gewerkschaft.
Das Lokal ist also – wenn auch indirekt – Ausdruck des politischen Drucks auf die Universitäten und Medien in der Türkei. Da zahlreiche engagierte Gelehrte und JournalistInnen unter den aktuellen politischen Umständen plötzlich arbeitslos wurden, mussten sie sich nicht selten Brotjobs suchen, um zu überleben. Und zu diesen Jobs gehört natürlich auch, ein Restaurant oder eine Bar zu eröffnen. Delier, der nicht nur den Ort, sondern auch die beiden Geschäftsführer des Lokals ausfindig machte, träumte eigentlich von einem Magazin, in dem alternative Lehrformen sowie die aktuellen politischen Entwicklungen diskutiert werden sollten. Also beschloss er, den Traum (des Magazins) mit der Realität (des Brotjobs in der Bar) zu verbinden.
Bald schon gab es ein ganzes Freiwilligenteam, das für das Magazin Interviews mit gekündigten Universitätsangehörigen führte, im Zuge derer neue alternative Bildungsinstitutionen oder das Thema des Überlebens im Lehrberuf im Allgemeinen zur Sprache kamen. Als Delier immer mehr Zeit im Lokal verbrachte, fiel ihm erst eine seiner ganz offensichtlichen Eigenschaften auf. Eine Bar ist ja immer ein dunkler, im besten Fall schummriger Ort, an dem man daher nicht gut lesen kann. Da kam ihm der Gedanke, LED-Lichter und Bücher in den Ecken und an den Seitenwänden der Bar einzurichten. Auch die erste Ausgabe des Magazins wurde später dort präsentiert. Das Lokal befindet sich in einer winzigen Wohnung im dritten Stock eines abgewohnten Gebäudes in Beyoğlu nahe der berühmten Istiklal-Straße. Nach und nach begann es, nun (wenigstens zeitweise) als unabhängiges Magazin zu funktionieren.
Jetzt gab es eine Ausstellung in Form eines Magazins und ein Magazin in Form einer Bar. Diese Mischung spielt im Übrigen auch auf die älteste Forderung der Avantgarde an, nämlich die Kunst mit dem Leben zu verbinden. Und sie versuchte darüber hinaus, diese Forderung mit dem aktuellen Alltagsleben in der Türkei kurzzuschließen, das nicht weniger ist als der Ausdruck einer soziopolitischen Krise.
Delier selbst arbeitet an der Universität von Sakarya 150 Kilometer östlich von Istanbul. Für ihn bedeutet das Unterrichten bereits, einen Brotjob anstatt seiner Kunst zu machen. Nun aber begann er, mit Menschen zu arbeiten, für die das Unterrichten an der Uni eine Leidenschaft und die Arbeit in der Bar bloß Pflicht war. Das Projekt Barmag (Zeitschriftenredaktion: Taylan Kesenbilici, Emre Tansu Keten, Eylem Akçay, Burak Delier) wurde daher als Widerstand gegen den politischen Druck gewertet, den die Betreiber auf ihrem Leben und ihrer Arbeit lasten spürten. Die neue Arbeit mit den Idealen zu verbinden hatte daher eine direkte Auswirkung auf alle, die am Magazin mitarbeiteten. Sie setzten eine Website auf, führten Interviews, konzipierten Veranstaltungen, von denen einige (wie die Radiosendung Bankpank2) realisiert werden konnten, und gaben eine wohldurchdachte Zeitschrift heraus. Diese ragte im wahrsten Sinne des Wortes über ihre Seiten hinaus, da das ganze Lokal zu ihrem Inhalt wurde.
Die erste Ausgabe widmete sich direkt dem Ausnahmezustand in der Türkei, wobei es natürlich nicht einfach war, die zum Teil schwierigen Artikel an der Wand bei LED-Licht zu lesen. Aber es war immerhin ein Anfang und man schöpfte neue Hoffnung. Ja, die Teilnehmenden bekamen das Gefühl, einen Teil ihrer Freiheit zurückzuerlangen. Und das ausgerechnet in einer düsteren, versifften Rockbar, in der ihr Alltag zu Material oder künstlerischem Medium wurde. KünstlerInnen arbeiteten gemeinsam mit Gästen, die meist mehr als nur Gäste waren, daran, ihre Zwangslage umzugestalten.
Die erste Ausgabe des Magazins erschien auch gedruckt. Auf der Tafel an der Bar fand sich daher bald das Menü: „Bier + Erdnüsse + Magazin ... 20 Lira“. Delier spielte sich nicht als Hauptperson auf, und so beteiligten sich immer mehr Menschen freudig an diesem Projekt, wenngleich es auch von einer gewissen Melancholie überschattet wurde – aber das lag ja vielleicht an der schummrigen Atmosphäre.
Wie ging das Projekt zu Ende? Indem es noch flexibler wurde! Der dritte Partner entschied sich nämlich, das Lokal nach der Ausstellung zu verkaufen, ohne dass die beiden anderen auch nur mitreden konnten. Das daraufhin neu gegründete Magazinkollektiv schloss sich mit anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammen (derzeit erwägt es, sich auch mit Kooperativen in Beşiktaş und Kadıköy zu vereinigen). Die zweite Ausgabe des Barmag hat wahrscheinlich „Alternative Wirtschaftsordnungen“ zum Thema und könnte gut und gerne „Coopmag“ heißen. Das Chaos hinsichtlich der Form ermöglicht erst die Umgehung der Zensur seines Inhalts.

 

 

1 Delier möchte sein Projekt nicht als Ausstellung bezeichnen, da er mehr will, als etwas auszustellen, nämlich in seinen Worten „einen Raum verwandeln“ (E-Mail vom Künstler am 9. Mai 2018).
2 Bankpank war ein Radioprogramm von Kıvanç Sert und Ümit Üret. Die beiden machten in der Bar eine offene Sendung über Zensur und wie man diese in diversen historischen Kontexten wie zum Beispiel während des Stalinismus überlisten hatte können. Offenes Radio hieß auch, dass das anwesende Publikum sich während des Streams mittels der Tonanlage der Bar an der Sendung beteiligen konnte.