Heft 3/2018 - Artscribe


Horáková + Maurer – TPX-Index

10. März 2018 bis 29. April 2018
Camera Austria / Graz

Text: Veronika Rudorfer


Graz. 2018 – ein hell erleuchteter White Cube, großformatige Schwarz-Weiß-Fotografien hängen an den Wänden. 1996 bis 2000 – nächtliche Dunkelheit, eine Straßenlaterne wirft Licht an die Atelierwand. Unterschiedlicher könnten diese beiden Orte und deren jeweilige Bedingtheiten nicht sein. Verbunden werden sie durch die Kontinuität der künstlerischen Arbeit von Tamara Horáková und Ewald Maurer, die das Wesen des fotografischen Mediums untersucht.
Die in der von Reinhard Braun kuratierten Ausstellung in der Camera Austria gezeigte Serie TPX-Index nimmt ihren Ausgang in den 1990er-Jahren: Horáková + Maurer beziehen 1995 das Wiener Atelier ng40 – eine Chiffre für die Atelieradresse. Nachdem sie es von vorhandenem Mobiliar und Tapeten befreit haben, wird es beinahe leer belassen. Nachts fällt das Licht der Straßenbeleuchtung an die Wände, vorbeifahrende Autos zeichnen fliehende Lichtkonfigurationen an die Decke des Raums. Das alte Fensterglas verzerrt und bricht das von draußen eindringende Licht. ng40 ist ein Ort mit spezifischen Bedingtheiten, die unabhängig von den Bewohnenden vorhanden sind, es ist ein Ort, der aus sich selbst Bilder hervorbringt. Die Prämisse von TPX-Index ist es, Bilder dieser Bilder zu machen. Die Grundbedingungen der Fotografie, also Licht und das Verhältnis eines Referenten zu seiner bildlichen Repräsentation, werden zum Gegenstand der fotografischen Untersuchungen in und um das Atelier. Der Titel der Ausstellung verweist zugleich auf das Material (TPX) und das Wesen (Index) der Bilder.
Für die so entstehenden Metabilder im Sinne W. J. T. Mitchells wählen Horáková + Maurer das Medium des Röntgen-Sofortbildfilms TPX (ein Akronym der Markenbezeichnung Transparent Polaroid X-Ray). Der Schwarz-Weiß-Film ist hochsensibel und damit besonders für die minuten- bis stundenlange Belichtungszeit geeignet, die die Aufnahmen in der Dunkelheit erfordern. Von 1996 bis 2000 entstehen so 112 Diapositive in ng40 sowie im Atelier FF in der Steiermark. Lichtfelder an der Wand, ein Drehschrank von Jean Nouvel, Schnecken und immer wieder auch Monitore werden fotografiert. Bilder in Form von Mise en abîme entstehen, wenn die Monitore ins Bild gesetzt werden, auf denen zuvor gemachte Aufnahmen des Bildinventars zu sehen sind.
Die Ausstellung zeigt 2018 entstandene Digitalprints der Diapositive, aufgrund des großen Formats wellt sich das Barytpapier. In dieser ostentativen Materialität wird auf den Produktionsprozess der Bilder und die vermeintliche Beherrschbarkeit des fotografischen Verfahrens verwiesen. Eine eigene Zeitlichkeit entsteht in der Ausstellung zwischen der Vergangenheit der Referenten und der Gegenwart der Bilder – man begreift hier schlagartig, was Roland Barthes einst als „unlogische Verquickung zwischen dem Hier und Früher“ des fotografischen Mediums formulierte. Die Zeit schreibt sich auch als Zusatz zum jeweiligen Bildtitel ein, wenn Tag der Aufnahme und Belichtungszeit diesem angefügt sind.
Der TPX-Film hält in seinen Eigenschaften Einzug in die Bilder selbst, wenn Markenname oder Emulsionsnummer als Referenten genutzt werden, Staub, Emulsionsfehler oder fotografische Spuren der Entwicklerkassette sichtbar bleiben. Die bewusste Entscheidung gegen Retusche und vermeintliche Perfektionierung des Ergebnisses legt einen Bildwerdungsprozess offen, der in seinen technischen Parametern zwar exakt bestimm- und dokumentierbar ist, seine Resultate aber Momente des Zufalls und der Imperfektion miteinschließen. Durch die sichtbaren Spuren der analogen Prozesse und die Offenlegung des Akts des Bildermachens wird Fotografie als Repräsentation hier verneint und vielmehr an die Grenzen der Bindung von Referent und Index geführt. Nicht aber abstrakte Bilder sind in der Ausstellung zu sehen, sondern Bilder einer maximalen Reduktion von Information. Indem selbst Querformate hochkant gehängt sind, verringert sich jede Lesbarkeit der Bilder zusätzlich, es sind Bilder, die bewusst auf Distanz zu den Betrachtenden gehen.
Textliche Information wird der Ausstellung in Form der Serie POLAROID A646 6187 von 2018 hinzugefügt. Die volle Raumhöhe ausnutzend finden sich über einzelnen Prints Silbergelatineabzüge positioniert. Als „Stück für 7 Personen“ sind hier in sieben Sprachen Passagen aus der Bedienungsanleitung des TPX-Films zum Bühnenstück montiert – eine vielstimmige Ergänzung zu den fotografischen Bildern.
Als eine feinsinnige Fortführung dieses Nachdenkens über Reproduktion und Repräsentation durch das fotografische Medium kann auch der die Ausstellung begleitende Katalog gelesen werden, der in seiner beinahe normativen Gestaltung die Bildinformationen reduziert und die Werkabbildungen wiederum als Spuren der Kunstwerke offenlegt.
Seit 1984 spüren Tamara Horáková und Ewald Maurer in ihrer künstlerischen Arbeit den Ontologien des fotografischen Mediums nach. Von Verfahren und Material ausgehend entstehen bildliche Analysen über die Indexikalität der Fotografie, eine Suche nach den determinierenden Bedingungen des Bilds. So entstehen Bilder, die nicht nur selbstreferenzielle Metabilder sind, sondern selbstanalytisch (Thierry de Duve) ihre Gemachtheit offenlegen und zugleich verbergen und in tautologischen Bildern Bilder mit sich selbst konfrontieren. Die Ausstellung in der Camera Austria lässt diese Konfrontation eindrücklich offenbar werden.