Heft 3/2018 - Artscribe


GROENTOPIA

29. April 2018 bis 28. Oktober 2018
Verbeke Foundation / Kemzeke, Belgien

Text: Sylvia Szely


Kemzeke. In den paar Stunden, die ich in der Verbeke Foundation verbringe, sehe ich Geert Verbeke mehrmals: Er eilt geschäftig hin und her; er verweist einen Besucher an den informell angeordneten Büchertischen, die quasi den Museumsshop konstituieren, auf Kataloge – dabei fahren seine Hände erklärend über die Buchdeckel, die sorgfältig in durchsichtigem Plastik verpackt sind, um nicht zu verschmutzen; später rast er an mir vorbei, einen Stapel Getränkekisten vor sich herschiebend. Verbeke ist hands-on und allgegenwärtig: eine Art Kunstzuarbeiter, der sich mit seinem Körper und seinem ganzen Sein ins Zeug wirft. Ursprünglich war er Transportunternehmer – bis er eines Tages jemandem half, eine Skulptur aus Cortenstahl zu transportieren. So begann die Sammelleidenschaft, die er mit seiner Frau Carla Verbeke-Lens teilt und die er selbst auch schon mal als Krankheit bezeichnet hat1. 2007 – er hatte inzwischen sein Transportunternehmen verkauft und die Lagerhallen so adaptiert, dass es möglich wurde, dort Kunst auszustellen – machte er seine Privatsammlung der Öffentlichkeit zugänglich. Damit öffnete ungefähr eine halbe Stunde außerhalb Antwerpens eine der größten Privatkunstsammlungen Europas seine Tore.
Die Sommerausstellung 2018 nennt sich GROENTOPIA („groen“ = Flämisch „grün“). Die Foundation ist – dank der kürzlich installierten 4.000 Sonnenkollektoren auf ihrem Dach – das erste Museum der Welt, das seinen Energieverbrauch vollständig autark bestreiten kann. Anlass genug, Werke von 21 KünstlerInnen rund um das Thema Energie zur Diskussion zu stellen. Das Schweizer Künstlerduo Christina Hemauer & Roman Keller, das sich völlig dem Thema Ökologie verschrieben hat, ist gleich mit mehreren Arbeiten vertreten. Hemauer & Keller bedienen sich verschiedener Medien und Herangehensweisen, aber ihre gelungensten Auseinandersetzungen sind historische Erkundungen, die ganz von ihrem Gegenstand leben. In dem Dokumentarfilm A Road Not Taken (2010) und der Installation No1 Sun Engine (2008–09; in der Ausstellung ist die Dokumentation derselben zu sehen) exhumieren und analysieren sie Geschichten des Scheiterns bzw. der verpassten Chancen. No1 Sun Engine rekonstruiert das erste Solarkraftwerk der Welt, das 1913 in Maadi bei Kairo eröffnet wurde. Die Anlage funktionierte bestens und war sehr kosteneffizient, dennoch wurde sie mit Beginn des Ersten Weltkriegs ein Jahr später eingestellt: Der Krieg forcierte den Siegeszug des Erdöls. Ist es in No1 Sun Engine ein ökonomisches Motiv, so haben wir es in A Road Not Taken mit einem handfesten politischen Statement zu tun: 1979 ließ Jimmy Carter Sonnenkollektoren auf dem Dach des Weißen Hauses installieren, die von seinem Nachfolger Ronald Reagan 1986 postwendend wieder abmontiert wurden – ein symbolischer Akt, Hemauer & Keller zufolge. Wie aktuell diese Episode 2018 ist, konnten die KünstlerInnen nicht vorhersehen: Acht Jahre nach Fertigstellung des Films sind wir wieder mit einem amerikanischen Präsidenten konfrontiert, der konsequent die Errungenschaften seines Vorgängers abbaut – in der Klimapolitik ebenso wie in anderen Bereichen.
Einer der Ausgangspunkte von GROENTOPIA ist die Frage: Welche Opfer sind wir bereit zu bringen, um den Klimawandel unter Kontrolle zu bekommen? Mit dieser wachstumsskeptischen und kapitalismuskritischen Annäherung landet man fast automatisch bei Gustav Metzger, der wohl einer der Ersten war, der das Thema Ökologie für den künstlerischen Diskurs reklamierte. Er ist mit A Project for Stockholm 1–15 June 1972, Phase 1 (1972–2015) vertreten, einem Model seiner Aktion Mobbile, bei der Autoauspuffgase in einen Plexiglaswürfel eingeleitet werden; in dem Würfel befindet sich eine Pflanze, die stirbt. Heute wirkt Metzgers Idee fast plakativ; die Tatsache, dass er Variationen dieser Aktion bereits in den Sechzigerjahren ersann (Jahre bevor der Club of Rome seine Studie über die Grenzen des Wachstums veröffentlichte), ist allerdings mehr als bemerkenswert. Offenbar war das Motiv des „Vergasens“ Teil von Metzgers Unbewusstem. Auch seine Kapitalismuskritik war eng verknüpft mit der Erinnerung an den Holocaust, bei dem er den Großteil seiner Familie verloren hatte. Technologie zu verweigern war für Metzger eine Methode, sich dem Dreieck Fortschritt – Kapitalismus – Faschismus entgegenzustellen.
GROENTOPIA zeigt auch philosophische Auseinandersetzungen mit dem Thema Energie. Die Arbeiten des Belgiers Steven Tevels und des Holländers Martin uit den Bogaard deklinieren das physikalische Gesetz, wonach Energie überall ist: Tevels verwandelt die Energie seiner Erdäpfel in Sound, indem er sie an Lautsprecher oder etwa ein Klavier koppelt. Martin uit den Bogaard zeigt, dass auch tote Materie noch Energie produziert: Die Spannung, die er aus verwesenden Körperteilen oder Mensch- bzw. Tierembryonen gewinnt, speist einen Computer, der dann Geräusche oder optische Effekte erzeugt.
Martin uit den Bogaard ist ein Vertreter der Bio-Art, die ihrerseits wiederum ein Sammlungsschwerpunkt der Verbekes ist. Sein Werk fügt sich nahtlos in GROENTOPIA und ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass ein Besuch der Foundation eine Art viszerale Totalerfahrung ist. Wenn man an der Galerie mit toten Tieren und Leichenteilen in Glasquadern vorbeigeht, ist man fasziniert und zugleich wird es einem auch unheimlich: Das Licht ist schwach, der Geruch speziell. Wer die Verbeke Foundation besucht, bewegt sich in einem organischen Gefüge, das sich ständig verändert, das lebt. Es ist ein wenig, als wäre man in einem Film von David Cronenberg gelandet: Das Innen ist das Außen – und umgekehrt. Der Raum veräußerlicht die Passion des Ehepaars Verbeke-Lens, ist aber auch davon geprägt, dass die Natur einen ehemaligen Schauplatz der Industrie zurückerobert. Das klingt klischeehaft und fast romantisch – ist es aber nicht: Die Natur wird vorbehaltlos sich selbst überlassen und verwandelt sich in eine Art Urwald, durch den man sich durchschlagen muss, um zu den Installationen auf dem Außengelände zu gelangen – zu CasAnus etwa, einem mit allen Bequemlichkeiten ausgestatteten Polyesterdarm für zwei Personen von Joep van Lieshout, in dem man übernachten kann.

 

 

1 We Live Art: Geert Verbeke – Verzamelen is een ziekte; www.arttube.nl/videos/we-live-art-geert-verbeke.