Heft 3/2018 - Artscribe
Wien. Der seit 2011 bestehende und von den beiden Künstlerinnen Yasmina Haddad und Andrea Lumplecker initiierte und in der Wiener Grüngasse 22 betriebene Raum school verweist seit Beginn in seiner präzisen Programmatik lose auf ein Zitat der indischen Künstlergruppe Raqs Media Collective: „Schule, oder die Idee einer Schule, kann als eine Bedingung des Lernens, als offen für Diskurs und Entdeckung, als etwas gesehen werden, das wir immer mit uns tragen, wohin auch immer wir gehen, was auch immer wir tun.“1
Ein gelungenes Beispiel für diese Vorstellung von Schule als einem von Zeit und Ort unabhängigen Lernen wiederum doch an einem Ort sind die im school eigenen Format Performative Screenings und in der bereits 53. Ausgabe davon, das von Julia Grosse und Yvette Mutumba2 konzipierte Contemporary And Center of Unfinished Business. Dieses Center bestand aus einem, in einer weiteren offen fortlaufenden Serie von school namens Objects for Settings entwickelten, begehbaren und mit einer freien und auf den ersten Blick unorthodoxen Auswahl zum Thema Kolonialismus bestückten Bücherregalstruktur. Die Präsentation wurde mit einem Screening von Dunkles rätselhaftes Österreich3 und einer gemeinsamen Lesung aus den vom Ausstellungspublikum ausgewählten Büchern bzw. für einen kurzen Vortrag daraus für interessant befundenen Stellen eröffnet. Bei Dunkles rätselhaftes Österreich handelt es sich um eine von zwei, vom österreichischen Regisseur Walter Wippersberg (1945–2016) Mitte der 1990er-Jahre gedrehten und traurig aktuellen Mockumentaries, in denen die standardisierte Berichterstattung und der einheitliche Stil in der ethnografischen Analyse ferner Länder, ihrer Menschen und Gebräuche in einer einfachen, aber umso wirkungsvolleren Umkehrung auf Oberösterreich, Salzburg und Tirol angewandt werden und diesmal aus Sicht eines Reporterteams des fiktiven afrikanischen TV-Senders All African Tele Vision erstaunliche Einsichten über Gebaren und Leben der dortigen Bevölkerung liefert. Die von der Kamera eingefangenen und von dem „Forscher“ Kayonga Kagame kommentierten traditionellen Volkstänze, Trink- und Feierverhalten, rigide Gartenzaungestaltung oder Unterschiede im Umgang mit TouristInnen und Ängste vor Fremden geben so nicht nur Aufschluss über selten nachvollziehbares und doch weitverbreitetes Verhalten alpiner Stämme, sondern dekonstruieren nebenbei auch recht simpel, jedoch eindrücklich anhand dieser scheinbar wissenschaftlichen und hier die ÖsterreicherInnen selbst charakterisierenden Unternehmungen die Anmaßung von Vorurteilen.
Mittels dreier von Haddad und Lumplecker im Rahmen von school entwickelten Formate – der Veranstaltungsreihe Performative Screenings, der nicht ausschließlich auf die Räume von school beschränkt einsetzbaren Objects for Settings und des seit 2017 gestarteten The Objective – etablierten Haddad und Lumplecker school als einen der unprätentiösesten wie vielseitigsten theorie- und musikaffinen Ausstellungsräume Wiens. Neben frühen und ersten Präsentationen in Wien von Künstlerinnen wie beispielsweise Tabita Rezaire, Hannah Black, Stanya Kahn oder Kapwani Kiwanga, Ausstellungen von vornehmlich in Wien arbeitenden Künstlern wie Abdul Sharif Baruwa, Franz Zar oder Markus Krottendorfer definierten ebenso gleichwertig DJ-Sets (u.a. G.Rizo, Shit Vicious, Yasmina Haddad), Konzerte (u.a. Thomas Brinkmann, Ewa Justka, [[[ALTAR:THRON]]]) und eben eine Vielzahl von Performances school als einen offenen und niederschwellig zugängigen Raum, der Theoriebildung, Auseinandersetzung und Reflexion stets korrelativ zu politischen Realitäten fördert. Damit school gemäß der Vorstellung ihrer Betreiberinnen funktionieren kann, scheint sich dieser Ort in einem Prozess einer langsamen, aber kontinuierlichen Veränderung zu unterziehen und sich dabei immer wieder neu zusammenzusetzen. school ist hierbei auch ein architektonisches Projekt und reagiert mittels räumlicher Adaptionen (2012 erfolgte der Durchbruch zu unter dem Ausstellungsraum liegenden und seither optional in das Programm einbezogenen Kellerräumen, 2014 erfolgte der Wechsel von dem ursprünglichen Fliesenboden auf violetten Bodenbelag) auf die Frage, wie man funktionsfähige Rahmenbedingungen schaffen kann, seien sie nun räumlicher, gesellschaftlicher oder zeitlich programmatischer Natur.
1 weloveschool.org
2 Julia Grosse und Yvette Mutumba sind Herausgeberinnen von C&, einem Magazin für afrikanische Gegenwartskunst; www.contemporaryand.com.
3 https://m.youtube.com/watch?v=6C72u3v-Y-Y