Posen. Von Mai bis in den Juni war Posen erfüllt von revolutionärer Leidenschaft. Wer die Städtische Galerie Arsenal betrat, fand auf dem Boden Matratzen und rundherum verstreut einige bunte Kissen vor. Der an die Galerie anschließende Raum war ähnlich provisorisch ausgestattet, etwas weniger gemütlich und von der gleichen einladenden Energie eines nicht hierarchischen sozialen Umfelds erfüllt. Hier und da dienten aufeinander gestapelte Paletten als Tische und Sitze, um die BesucherInnen zwischen Agitationsmitteln wie handgefertigten Plakaten und auffälligen Flugblättern, die einen von allen Seiten umgaben, zusammenzubringen. Durch den radikalen Verzicht auf die Autorität einer mit dem neoliberalen Kapitalismus verbundenen Ästhetik lud der Ort nicht nur dazu ein, das Erbe des revolutionären Jahres 1968 an seinem 50. Jahrestag zu feiern, sondern auch über die vom Kapitalismus und Populismus herrührenden Formen der Entfremdung im heutigen Polen nachzudenken und diese hinter sich zu lassen.
Historisch betrachtet erinnerte mich diese einfache und schlichte Installation einer revolutionären Infrastruktur, die den unterprivilegierten Raum materialisiert, an die Ausstellung If you lived there (1989) von Martha Rosler in der Dia Art Foundation, deren Anliegen es war, Obdachlose sichtbarer zu machen. Verlagern wir den Begriff der „Obdachlosigkeit“ angesichts der kulturellen und politischen Situation in Polen 2018 in einen anderen Kontext, lässt er sich metaphorisch auf die DemonstrantInnen mit Behinderungen anwenden, die während der Ausstellung über einen Monat lang das Parlament belagerten. Vor dem Hintergrund dieser Art von Selbstvertretung erhält die Tatsache, dass die Galerie Arsenal mit ihrer eigenen Machtposition spielte, um anderen Raum zu geben, eine ganz neue Bedeutung.
Workshops of Revolution wurde kuratiert von Zofia Nierodzińska mit der Absicht, die gesammelte Öffentlichkeit einzuladen, sich an dem konzeptuellen Rahmen zu beteiligen, den sie für das gesamte Spektrum an Veranstaltungen entwickelt hatte. Die Veranstaltungen wurden organisiert von der Galerie Arsenal und Estrada Poznańska sowie dem politischen Theater des Achten Tages. Das Programm beinhaltete Workshops mit internationalen Kollektiven, Ausstellungen, Lesezirkel, Vorführungen sozialkritischer Filme, Begegnungen mit KünstlerInnen und Konzerte. Sie alle regten zum Nachdenken darüber an, warum gerade Polen heute revolutionäre Geschichten braucht, ein Land, in dem moderate Umwälzungen durch den ruhmlosen März 68 vorweggenommen und von Formen des Widerstands gegen das kommunistische Regime eingerahmt wurden. Bis zu einem gewissen Grad basierte der Versuch, die Geschichte in der Gegenwart umzugestalten, auf einer kritischen Dialektik der Diskurse von Entkolonialisierung und Wiederherstellung – einer hilfreichen Methode, um die postkapitalistischen Formen des Wohlbefindens über die Perspektive des Einzelnen hinaus zu erweitern.
In den Workshops mit dem internationalen Kollektiv Ultra-red wurden die TeilnehmerInnen für die Schaffung politischen Bewusstseins durch Klang sensibilisiert, was die visuelle Hegemonie des Kapitalismus aufbrach. Das katalanische postindustrielle Ökokollektiv GynePunk wies Mädchen und Frauen in die gynäkologische Selbsthilfe ein. Anhand von Hackingstrategien zeigten sie, wie sich der weibliche Körper aus dem unterdrückend dominanten medizinischen Diskurs befreien lässt, der vor allem im lokalen Kontext stark ideologisiert und reaktionär daherkommt, seitdem die rechte Regierung an der Macht ist. Alternative Gynäkologie war auch das Thema der Workshops der Feministischen Gesundheitsrecherchegruppe, die auf kritische Weise an die in den 70er-Jahren in Westberlin initiierten Traditionen feministischer Selbstuntersuchungen anknüpfte. Auf einer breiteren Basis wiederum erfolgte die Heilung durch das Kollektiv The Army of Love, das die Vorstellung positiver Gefühle und das ungerechte System der Verteilung von Freude infrage stellt, indem es eine egalitäre Vision und Praxis des Schenkens von Liebe bietet.
In der Sektion Revolutionäre Lesungen diskutierten die TeilnehmerInnen über die revolutionären Kerntexte, um deren Botschaft mithilfe der RedakteurInnen des lokalen linken Kulturmagazins Czas Kultury in einen zeitgenössischen Kontext zu bringen. Die Ausstellung Polnischer Mai des Theater des Achten Tages stellt dem Film Abschied von gestern (1966) des legendären deutschen Filmemachers und Schriftstellers Alexander Kluge die visuelle Collage Triptychon aus übrig gebliebenen Filmbildern des Arabischen Frühlings gegenüber, ausgewählt von der polnisch-ägyptischen Künstlerin und Aktivistin Jasmina Metwaly. Die beiden Sichtweisen regten zum Nachdenken darüber an, dass es in Polen nie eine richtige Revolution gegeben hatte und welche bürgerlichen und sozialen emanzipatorischen Implikationen dies mit sich brachte. An dieser Stelle scheint mir ein Verweis auf Reflections Unheard: Black Women in Civil Rights (2012) angebracht, ein Dokumentarfilm über die Befreiungsbewegung Schwarzer Frauen von der extravaganten Nevline Nnaji. Die Diskussion mit Karin Griffith, unterstützt von Andrea Caroline Keppler, beide Kuratorinnen aus Berlin, warf Fragen der alternativen Geschichtsschreibung und der Kritik an patrilinearen Erzählweisen auf.
Workshops of Revolution war zwangsläufig ein weniger revisionistisches als utopisches Projekt. Der Anspruch auf öffentliches Glück in diesem unglücklichen Land, das angesichts der drohenden autoritären Gefahr darum kämpft, die Regeln der Demokratie neu zu formulieren, macht Hoffnung. Auch wenn diese Hoffnung in gewisser Hinsicht naiv erscheinen mag, zeigt der Transfer von Kollektiven und KünstlerInnen, die mutig unterschiedliche Weltbilder in den jeweiligen alternativen Lebensstilen verkörpern, das Potenzial zur Überwindung der großen sozialen Krise, die als langfristige Folge der wirtschaftlichen Krise im Jahr 2008 gilt. Auf der anderen Seite offenbarte das Publikum in Posen, wie schwierig es ist, außerhalb des Zentrums von Warschau progressive Veranstaltungen zu organisieren. Die Alternative verleitete uns dazu, energisch zu handeln, und doch war es manchmal schwer, die Energie zu bewahren, die eine Revolution in Reichweite freisetzt.
Übersetzt von Anja Schulte