Basel. Eine Möglichkeit, sich der Ausstellung War Games zu nähern, ist, sich durch eine Reihe vorhangartiger Folien durchzuarbeiten. Martha Roslers Installation Reading Hannah Arendt (Politically, for an American in the 21st Century) wurde 2006 in Berlin in der Ausstellung Hannah Arendt Denkraum gezeigt. In Basel handelt es sich hierbei um keinen geschlossenen Raum, sondern um eine seitlich geöffnete Passage, die den Blick in die darunterliegende Eingangshalle freigibt. Auf den Folien sind Auszüge aus Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, dem 1951 auf Englisch erschienenen Hauptwerk der Denkerin und politischen Philosophin, zu lesen. Für Arendt waren die Schrecken des faschistischen Deutschlands und, nach ihrer Emigration, die amerikanische Vietnampolitik Ausdruck eines entwirklichten Bodens der Realität. Die vormals gemeinsam geteilte Welt hatte sich in splitterhafte, konkurrierende Wirklichkeiten aufgelöst.
Deutlich wird diese Kluft in Hito Steyerls Videoinstallation The Tower (2015), die zuletzt bei der 9. Berlin Biennale zu sehen war, oder in Roslers Fotomontage Brunch à la loft (1987/88), in der sie in das Bild einer New Yorker Loftszenerie die Kehrseiten der Gentrifizierung – die Zerstörung von leistbarem Wohnraum – einspeist. In Berlin war Steyerls Arbeit von einer Art Plattform aus im Tiefgeschoss der Akademie der Künste am Pariser Platz zu sehen, während in Basel die gemeinsame Sitzfläche durch einzelne Sessel mit zugehörigen Hockern, die an von Rosler oft zitiertes modernistisches Interieur erinnern, ersetzt wurde.
Rosler hat sich in jüngsten Arbeiten, etwa in Theater of Drones (2013/18), zeitgenössischen Apparaten der Bild- und Wissensproduktion zugewandt. Die großformatigen Folien waren erstmals als öffentlich angebrachte Banner im amerikanischen Charlottesville, Virgina, zu sehen und zeigen ihre militärischen sowie zivilen Einsatzgebiete und Steuermechanismen. Rosler geht es nicht nur um das Problem eines panoptischen öffentlichen Raums, auch die zunehmende Privatisierung von Überwachung und Krieg spricht sie an. Zentral bleibt, wie in ihrer ikonischen Arbeit The Bowery in two inadequate descriptive systems (1974–75), das Spannungsverhältnis von Bild und Text. In der Arbeit In the Place of the Public: Airport Series (seit 1983) kombiniert sie Fotografien von Flughäfen, deren Erscheinungsbild und räumliche Logik sich graduell in beliebige Nicht-Orte verwandelt haben, mit Wort- und Textfragmenten, die eine ebenso globale, entleerte Sprache sprechen.
Rosler setzt in ihren Fotomontagen den Vietnamkrieg mit zeitgenössischer Werbung in Kontrast und verweist auf die Bedingungen des „Wohnzimmerkriegs“, in dem Bilder aus dem Krieg in den amerikanischen Wohnstuben abrufbar wurden. Während diese noch nicht live übertragen werden konnten, markieren für Hito Steyerl die Bilder des Irakkriegs, die von Handykameras direkt an Nachrichtensender übermittelt werden konnten, einen weiteren Einschnitt im Verhältnis von Krieg und Medien.1 Rosler hat sich in House Beautiful: Bringing the War Home, New Series (2004–08), einem Update der Werkserie zum Vietnamkrieg, mit den Interventionen der USA im Irak und in Afghanistan im frühen Millennium beschäftigt. Bereits in der früheren Serie zeigte Rosler, dass die Kriegsführung der USA nicht bloß im krassen Widerspruch zum Alltag in der westlichen Welt steht, sondern vielmehr, dass sie die Bedingung für diesen ist. In einer Arbeit aus der Serie, der Fotomontage Photo Op, ist im Hintergrund eines zeitgenössischen Interieurs eine verwackelte Aufnahme eines Panzers und mehrerer Soldaten, die als Schlagschatten eines orange-gelblichen Feuers erscheinen, zu sehen. Die Farbtöne wiederholen sich in einem Blumenstrauß, der im Werbebild auf einem Tisch platziert ist. Das übersättigte und körnige Bild zeigt kaum etwas, es besticht durch seine Ungenauigkeit, während das Interieur samt Bouquet in der Qualität eines Hochglanzmagazins wiedergegeben ist. 15 Jahre später erscheinen die „poor images“ des Irakkriegs – Bilder, die ihre Authentizität aus der Potenz ihrer Unsicherheit und Unschärfe gewinnen – als Zeugen einer Geschichte, an deren vorläufigen Höhepunkt heute Assemblagetechniken von Drohnen- und Satellitenaufnahmen stehen.
Ein zentraler Bestandteil von War Games sind pädagogische Formate. Roslers „Informationslounge“ im Obergeschoss besteht aus einem quadratischen Büchertisch und Videoarbeiten, die von einer Serie von C-Prints, die Einblick in Roslers Bibliothek geben, gerahmt werden. Auch Steyerl ist mit zwei Installationen, deren Ausgangsbasis Lecture Performances der Künstlerin bilden, vertreten. In Is the Museum a Battlefield? (2013) zeigt sie, dass das Museum kein Ort der Kontemplation ist, sondern ein in Machtverhältnisse eingebetteter Apparat, der an die gesellschaftlichen Verhältnisse angeschlossen ist. In ihrer Erzählung, die sie mit einer Reihe von „Dokumenten“ und „Beweisen“ untermauert, zeigt Steyerl in institutionskritischer Manier auf, dass selbst Kunstinstitutionen keine Position außerhalb des militärisch-medialen Komplexes einnehmen. Die Metaphern des Kriegs und des Schlachtfelds materialisieren sich in der Ausstellung in Form von Sandsäcken, die als Sitzgelegenheit dienen. In Duty Free Art (2015), einer Installation mit Zwei-Kanal-Video und einer mit Sand gefüllten Box, auf die Kartenmaterial projiziert wird, zeigt Steyerl die geopolitischen Verstrickungen von Institutionen wie dem Louvre oder dem British Museum auf.
Als umfangreiche Werkschau zweier Generationen spannt War Games einen Bogen, der bis zu Steyerls immersiven Videoinstallationen, etwa Hell Yeah We Fuck Die (2016), reicht. Ein auf den länglichen, geknickten Raum des Obergeschosses angepasstes „Parcours-Trainingsmodul“ samt Leuchtkästen, die den Titel der Arbeit wiedergeben, bietet die Struktur für eine mehrkanalige Videoarbeit, welche diese Form der subkulturellen „Stadterkundung“ in der Geschichte militärischer Trainingstechniken verortet. Eventuell angelehnt an den Titel von Harun Farockis Kriegszyklus Serious Games gibt War Games Hinweise auf das komplexe Verhältnis von Alltag, Bild und Krieg, das sich – wenn man Rosler und Steyerl folgt – in den noch so entlegensten Bereichen des Alltags wiederfindet.