Bregenz. Zum Auftakt laut hallendes Niesen und der Anblick eines roh zusammengenagelten Bretterverschlags. Die kuriose Hütte im Erdgeschoss des KUB beherbergt fünf Screens mit verschiedenen Sequenzen einer filmischen Erzählung. Zugleich der Nachbau der Requisite am Drehort übernimmt sie eine Stellvertreterfunktion. Mika Rottenberg hat darin die Geschichte der Seven Sutherland Sisters nachgebildet, inhaltlich angereichert und überzeichnet.1 Mit Cheese wurde ein Titel gewählt, der nicht nur das Endprodukt der dargestellten Vorgänge vorwegnimmt, sondern auch „spricht“, indem er geradewegs eine sowohl im privaten Erinnerungsbild wie in der konsumfördernden Werbung gängige marketingtechnische Praxis spiegelt. Es ist nicht nur Käse, der hier in einer höchst aufwendigen und nach normalen Maßstäben nicht recht nachvollziehbaren Prozedur entsteht, es sind auch viele versteckte Nebenstränge, die sich bei längerem Verweilen ausrollen und auf Parallelen in anderen Werken vorbereiten.
Mika Rottenberg – 1976 in Argentinien geboren, aufgewachsen in Israel und seit ihren letzten Studienjahren um die Jahrtausendwende ansässig in New York – hat längst in der internationalen Szene reüssiert. Sie ist in großen Sammlungen vertreten und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Im KUB zeigt sie ihre erste Personale in Österreich. Bekannte Arbeiten der vergangenen zehn Jahre sind hier großräumig auf vier Etagen verteilt. Selbstvermarktung, Körpereinsatz und Warenökonomie bilden die Pfeiler eines Gespanns aus skurrilen Erzählungen, die hinsichtlich ihres Unterhaltungswerts beste Quoten liefern – man möchte meinen: ganz im Zeichen des Kapitalismus, der hier gemeinhin als Thema unterstellt wird.
Die eingangs erwähnten Geräusche stammen aus einem Video gegenüber der Hütte. Männer in Anzügen mit rot lackierten Zehennägeln und grotesk geformten Nasen niesen Kaninchen, Koteletts und fallweise Glühbirnen: Sneeze als Pendant zu Cheese. – Überhaupt die Werktitel: Bowls Balls Souls Holes, NoNoseKnows, Tsss Tsss Tsss … In ihrer verspielten Reimbeflissenheit und Onomatopoesie dienen sie als sprachliche Verstärker für die variantenreichen Schallereignisse. Neben menschlich produzierten Lauten wie Niesen, Trampeln oder Schmatzen spielen gerade die dinglich erzeugten Geräusche – das Knarzen, Klirren, Klicken und Klacken, Quietschen, Rattern, Brodeln, Blubbern, Zischen – tragende Rollen für die Verdichtung der Atmosphäre. Sie entspringen komplizierten Anordnungen aus Seilzügen, Pedalen und Schiebern – seltsame Pappapparaturen, die, händisch betrieben und in ihrer Umständlichkeit keinesfalls zeitgemäß, das Surreale im Realen wirksam vor Augen führen. Deutlicher kann die Unverhältnismäßigkeit von Produktwert und Arbeitsaufwand kaum gezeigt werden.
Fantasie und Wirklichkeit überlappen sich. NoNoseKnows beispielsweise beinhaltet die Produktion und Auslese von Süßwasserperlen in dokumentarisch anmutenden Aufnahmen an Originalschauplätzen in China. Damit verschnitten ist das bizarre Schauspiel einer Frau in einem kulissenhaften Lagerraum, die mit wachsender Pinocchio-Nase Nudelteller niest, nachdem sie sich allergischen Reizen aussetzt. Durch einen Seilzug ist sie mit der „Doku“-Sequenz verbunden. Riesenhaft wabernde, bald platzende Seifenblasen in labyrinthischen Korridoren bilden ein weiteres surreales Glied in der narrativen Kette.
Analog zu den unterschiedlichen Ebenen der Videos werden die Installationen im musealen Realraum miteinander verschränkt. Deckenprojektionen der Zertrümmerung bunter Glühbirnen (Untitled Ceiling Projections) verweisen auf entsprechende Szenen in Cosmic Generator einen Stock höher. Auch die Wassertropfen in Frying Pans paraphrasieren Elemente aus den Videos (z.B. Study #4 und Bowls Balls Souls Holes). Kleinere Mixed-Media-Installationen – Lips, Ponytail und Finger – an den Stirnseiten der Stiegenaufgänge fungieren buchstäblich als Treppenwitz und fassen vignettenhaft einzelne Themen nochmals zusammen.
Als Inspirationsquellen dienen Rottenberg sogenannte Talents, fellineske Charaktere mit besonderen Eigenschaften oder Nicht-Orte wie Großmärkte und Spielhallen. Oft sind es einfache Reize, die etwas auslösen. „Eine Bewegung, ein Geräusch, ein Gefühl. [...] Meine Arbeiten haben eine innere Logik. Es ist eine lange Reise dorthin.“2 Das Ergebnis ist ein sehr persönlicher, schelmischer, oft auch leichtfertig wirkender Schlagabtausch mit den zur Normalität geronnenen Auswüchsen von Industrie, Kommerz und Konsum.
NoNoseKnows und Cosmic Generator verlieren im institutionell verankerten Rahmen des etablierten Ausstellungshauses manches, was im Environment noch grundlegender Bestandteil der Rezeption war. Relational zur Kubatur des KUB sind die Perlensäcke und Plastikschalen, die Gitter mit Lichterketten und aufblasbaren Schlangen nunmehr großzügig an den Wänden verteilt und verweilen funktionslos als Zitate einer Vorform der Arbeit. Das geräuschvolle Bewegtbild wird zentral, die beengenden Sweatshop-Szenarien lösen sich auf.
Entsprechend verflüchtigt sich das Moment des körperlichen Unbehagens. Aus der Distanz entdeckt man plötzlich die realen Menschen am Rand: Auch das Aufsichtspersonal verbringt seine Zeit in klimatisierten Räumen ohne Tageslicht – und erinnert damit frappant an Rottenbergs Arbeiterinnen oder die Shop-Assistants in Cosmic Generator, die, versunken im Ennui, Teil ihrer bunten Plastikumgebung geworden sind (und solchermaßen eingefroren im pittoresk-bunten Videostill als KUB-Edition zu wohlfeilen 950 Euro angeboten werden). Dieser Querbezug zum Untertagebau des Kunstbetriebs ist wohl der einzige Effekt in dieser stimmig durchgeplanten Ausstellung, hinter dem keine Absicht steckt, der aber eine fast Brecht’sche Verfremdung auslöst: der blinde Fleck, der – einmal entdeckt – umso greller hervorleuchtet.
1 Cheese #2, 2008, Mehrkanal-Videoinstallation. Zum historischen Vorbild siehe: https://en.wikipedia.org/wiki/Seven_Sutherland_Sisters (Stand 20.5.2018).
2 Mika Rottenberg im Interview mit Barbara Gärtner, in: AD-Magazin, April 2018, S. 104.