Heft 1/2019 - Netzteil


Ist der „Block“ der Nachfolger des Buchs?

Über Blockchain und Literatur

Alessandro Ludovico


Trotz ihrer technischen Komplexität ist die Blockchain seit Kurzem eine der meistdiskutierten neuen Technologien. Das Versprechen, das „neue heiße Eisen“ zu sein, gründet sich darauf, dass die Blockchain das grundlegende Verfahren aller Kryptowährungen ist, unter anderem auch der berühmten Bitcoin. Man kann die Blockchain nicht so leicht anschaulich beschreiben, weil ihre zentralen technischen Aspekte so kompliziert sind. Aber im Wesentlichen erlaubt sie es, digitale Information verteilt zu übertragen, ohne sie dabei einfach zu „kopieren“. Das bedeutet, dass jede Informationseinheit technisch betrachtet stets nur einen einzigen Urheber haben kann bzw. auf diesen zurückführbar ist. Sie wird über das Netz verteilt, behält dabei aber trotzdem „für immer“ ihre ursprüngliche Form, wodurch ihre Echtheit verlässlich erhalten bleibt. Und Letzteres ist bekanntlich der größte Schwachpunkt der bisherigen Medieninfrastruktur.
Die Hoffnung, digitale Information so verlässlich zu machen, dass dies dem Standard der Realwelt entspricht, hat enorme Konsequenzen, insbesondere ökonomisch gesehen. Doch wie jede Technologie, die sich global ausbreitet, hat auch die Blockchain einen Januskopf. Einerseits gewährleistet sie strukturell die Integrität und damit die Echtheit von Information über die Zeit, andererseits wird genau dadurch, dass sie total verfolgbar wird, eine direkte und umfassende Kontrolle ermöglicht. In manchen Bereichen mag das ethisch erwünscht sein, in anderen eher nicht. So könnten bestimmte Aspekte des Privaten durch die Blockchain vollkommen ausgehebelt werden. Und selbst wenn sie ein wichtiger technischer Fortschritt ist, weil sie erstmals vollkommen verlässliche und nicht manipulierbare Finanztransaktionen erlaubt, bleibt dennoch unklar, ob etwa die Künste von derlei Verfahren profitieren oder nicht vielmehr beschädigt werden.
Viele solcher Fragen werden in dem von Ruth Catlow, Marc Garrett, Nathan Jones und Sam Skinner herausgegebenen Standardwerk Artists Re:Thinking the Blockchain umfänglich diskutiert. Besonders Garrett und Catlow – beide gehören zu den GründerInnen bzw. LeiterInnen der beiden Londoner Kunsträume Furtherfield Gallery und Furtherfield Commons – haben in den letzten zehn Jahren viele Kenntnisse über die Beziehung zwischen der Blockchain und den Künsten erworben. So enthält das Buch beispielsweise ein Experiment namens FinBook, das die im Buch publizierten Aufsätze zu einem Anlageportfolio macht. Die LeserInnen werden dazu ermutigt, die einzelnen Kapitel mittels eines QR-Codes zu bewerten, wodurch diese zu „Assets“ werden. Zugleich weisen ihnen auch FinBots genannte Programme Werte zu, wodurch sie letztlich zu einem „Spekulationsportfolio“ gebündelt werden. Dieses Verfahren demonstriert zum einen die Atomisierung von Inhalten, die unter anderem dazu führt, dass aus Teilprodukten, wie hier den einzelnen Kapiteln, noch einmal extra Profit geschöpft werden kann. Zum anderen irritiert dabei, dass das Veröffentlichen von Texten zu einem reinen Wettbewerb wird, dessen Kriterien bis zur Länge der einzelnen Kapitel reicht.
Die Experimente mit der Blockchain in der Textherstellung und -veröffentlichung zielen bisweilen eher auf ihre Grundkonzeption als auf die tatsächliche Technik. Diesem Ansatz folgt Ami Clarke, Kuratorin und Künstlerin, die mit großem Engagement die Diskussion über die Beziehung zwischen Blockchain und Kunst voranzutreiben versucht. So reagierte sie beispielsweise auf das Buch The Blank Swan des französisch-libanesischen Finanziers und Philosophen Elie Ayache. Dieser greift im vierten Kapitel namens „Writing and the Market“ seinerseits auf die Geschichte „Pierre Menard, Autor des Quijote“ zurück, worin Jorge Luis Borges von einem Schriftsteller erzählt, der mehrere Jahrhunderte nach Cervantes den Don Quijote wortgleich noch einmal schreibt. Clarke nahm dies zum Anlass, um einen Vergleich zwischen Schreiben und Derivathandel zu ziehen. So schrieb sie ihrerseits Ayaches besagtes Kapitel Wort für Wort ab und veröffentlichte es unter dem Titel „Ami Clarke: Author of The Blank Swan“. Mit dieser Schreibperformance, die sich nicht nur auf Borges, sondern auch auf zahlreiche KonzeptkünstlerInnen beruft, die sich die Kunst anderer „aneigneten“, bekräftigt Clarke leise, aber bestimmt die alles entscheidende Funktion der Blockchain: nämlich den „Zeitstempel“, demzufolge ihr Inhalt unveränderlich in Stein gemeißelt wird. Damit deutet sie an, dass alles Schreiben in der Zukunft genau nach diesem Prinzip ablaufen könnte.
Die Journalismusplattform Civil, die auf der Kryptowährung Ethereum basiert, implementiert bereits solche Blockchain-Schreibmethoden. Mit einer eigenen Währung namens CVL finanziert sie Artikel, deren Profite dann in die Plattform reinvestiert werden. Die Artikel werden dabei in eine Blockchain codiert, damit ihre Integrität gewährt bleibt. Wie auf der Plattform festgehalten wird, reagiere sie mit solchen, auf Kryptowährungen basierenden Mikrozahlungen auf die Vertrauenskrise, die von der Welle an Falschmeldungen in den sozialen Medien ausgelöst wurde.
Dies führt wieder zum Aspekt des Vertrauens im Blockchain-Diskurs. Oberstes Ziel ist nämlich eine Infrastruktur, über die man sicher kommunizieren kann, was im Internet eine Seltenheit ist. In dieser Hinsicht kann man die Blockchain mit Plattformen zur Veröffentlichung geheimer Dokumente wie beispielsweise Wikileaks in Verbindung bringen. Diesen glauben wir ja in erster Linie, weil wir ihren Infrastrukturen vertrauen und nicht selbst jedes einzelne Dokument auf seine Echtheit hin überprüfen müssen.
Schließlich gibt es auch Blockchain-Experimente, worin kühne Thesen aufgestellt werden. So propagiert das Studio PWR einen eigens eingerichteten „Txtblock“ damit, dass „der Block (der Blockchain) der Nachfolger des Buchs sei“. Erklärt wird dies damit, dass der Block-Identifier „direkt mit der Information zusammenhängt, die er bezeichnet“ – und somit einzigartig ist. Da man ihn im Nachhinein nicht verändern kann, böte er sich für AutorInnen an, die ihre Texte „für die Ewigkeit“ verfassen wollen. Als reine Textinformation ohne Typografie basiert der „Txtblock“ ebenfalls auf der Ethereum-Plattform und steht, so wie die meisten Blockchain-Kunstprojekte, für eine Dezentralisierung, die sich gegen die heutigen Online-Giganten wendet, die mit einem immer dichteren Netz in unseren privaten Daten fischen.
Die Blockchain kommt in unserer Zeit also gerade recht. Trotz ihrer hohen technischen Komplexität verspricht sie eine Dezentralisierung durch eine jederzeit verfügbare Infrastruktur, die durch ihren Aufbau Ressourcen spart. Sie reagiert auf die Probleme unserer Zeit, auch weil sie zeigt, dass jede Hoffnung, durch Technik Gleichheit zu schaffen, ihren Preis hat. Denn letztlich müssen wir uns fragen: Ist es nicht unser Vertrauen, das wir hier an die Maschine delegieren? Müssen Texte online wirklich derart stark fixiert werden? Oder verschleudern wir bloß Ressourcen, weil wir kein Vertrauen mehr haben? Und brauchen wir überhaupt eine neue Technologie bzw. eine neue Infrastruktur für etwas, das bislang durch den Buchdruck, Standard-ISBN- bzw. ISSN-Nummern sowie rechtlich verantwortliche Verlage weithin fehlerlos lief? Diese Fragen bleiben einstweilen offen.

 

Übersetzt von Thomas Raab

 

Ruth Catlow/Marc Garrett/Nathan Jones/Sam Skinner (Hg.), Artists Re:Thinking the Blockchain. Liverpool University Press 2017.
Ami Clarke; https://www.amiclarke.com/author-of-the-blank-swan-2.
Civil; https://civil.co/.
Rasmus Svensson/Hanna Nilsson (PWR), The Block is the Successor to the Book: A publishing proposal (17. November 2015); http://rhizome.org/editorial/2015/nov/17/the-block-is-the-successor-to-the-book-a-publishing-proposal/.