Volker Demuth mangelt es, das muss man ihm lassen, nicht gerade an Aspiration. Denn er möchte, überspitzt formuliert, mit Der nächste Mensch doch glatt als Wiedergänger Friedrich Nietzsches in Erscheinung treten. Und das nicht nur, weil er mit dem Titel auf Nietzsches „letzten Menschen“, einen Begriff, der aufgrund seiner ursprünglichen Unterdeterminiertheit große Karriere in der Kulturkritik des 20. Jahrhunderts gemacht hat und dort meistens einfach denjenigen Menschentypus meint, den jemand zu verachten müssen glaubt, alludiert und antwortet. Nein, er will das Ganze – ebenso wie Nietzsche seinen „Zarathustra“ – auch als Erweckungsschrift verstanden wissen, mit der er uns – nachgerade in der Pose eines Propheten – eben vom nächsten Menschen kündet, den man sich als Synthese aus Mensch und Maschine, das heißt als superhumanen Cyborg vorzustellen habe und dessen Heraufkunft, übrigens noch im Laufe dieses Säkulums, unbedingt zu begrüßen sei.
Um uns dieses Mischwesen, in das wir uns alle selbst einmal verwandeln sollen, trotz unserer monströsen Bedenken als Ideal vor Augen stellen zu können, bedient sich Demuth der rhetorischen Figur des letzten Menschen; der hier aber gar nicht so sehr als Antithese vorgeführt wird, die – wie bei Nietzsche – überwunden werden müsse, sondern als etwas, das durchaus nach einer Fortsetzung verlangt, nämlich als Konsumist: als jemand, der sich sein Glück erkauft, weil er es – im doppelten Wortsinn – verdient zu haben glaubt. Unseligerweise stößt der letzte Mensch mit diesem Verhalten aber zusehends an ökonomische und ökologische Grenzen. Denn er bemerkt einerseits, dass sein Glück trotz aller Anstrengungen nicht (h)ausgemacht ist und die immer ungerechter werdende Verteilung des Wohlstands auch ihn eines Tages arm aussehen lassen kann. Andererseits zeichnet sich ab, dass die Natur all dem kapitalen Wirtschaften nicht mehr länger standhält und der Biosphäre langsam die Luft ausgeht. So überkommt ihn also die Angst, dass sein kleines, persönliches Glück tatsächlich nur ein kurzes gewesen sein könnte, eine Angst, die durch allgegenwärtigen Terror und epidemische Krankheiten noch weiter gesteigert wird. Und da ihn davon auch gerade in Blüte stehende neoreligiöse und -nationale Bewegungen nicht zu heilen vermögen, beginnen in dieser für ihn so dunklen Stunde plötzlich „die Zukunftsbilder der Lebenswissenschaft zu leuchten [...] und die Fortschrittserwartungen magnetisch auf sich zu ziehen“.
Man verstehe das recht: In dem historischen Moment, in welchem dem letzten Menschen aufgeht, dass er, und darüber dürfte wirklich weitgehend Einigkeit herrschen, gerade im Begriffe ist, sich durch die Zerstörung seiner natürlichen Umwelt zu Tode zu konsumieren, soll er ausgerechnet darauf verfallen, sich – superhumanus ex machina! – zum Cyborg aufzurüsten. Und das eigentlich nur, um genauso weiterwirtschaften zu dürfen wie zuvor. Denn an die ideologischen Grundsätze wird hier überhaupt nicht gerührt, wird der Kapitalismus, gleichwohl der uns ja erst in diese kritische Lage gebracht hat, doch kurzerhand als alternativlos ausgewiesen. Wir bemerken also: Demuth enttäuscht leider, zumindest in seiner leicht mechanischen zeitgeschichtlichen Herleitung des transhumanistischen Bedürfnisses, nicht nur als Gegenwartsdiagnostiker, sondern auch, und da muss man gar nicht erst den Vergleich mit Nietzsche bemühen, als Visionär. Und das nicht nur im Großen – der nächste Mensch als bloße Extrapolation des Heute, als einfache Fortsetzung der Gegenwart mit hoch- bzw. humantechnologischen Mitteln, ohne deren systemische Verrücktheit auch nur im Geringsten abschütteln zu wollen –, sondern auch im Kleinen, Konkreten: Der nächste Mensch mag zwar mithilfe von Prothesen, Implantaten etc. seine fleischliche Hinfälligkeit allmählich aufschieben oder überwinden, er mag irgendwann sogar – mit welchem dramaturgischen Kniff gerade die Netflix-Serie Altered Carbon operiert – sein Bewusstsein auszulagern lernen. Aber auch diese Dinge und Tools müssen alle erst einmal hergestellt werden, was bei einer explosionsartig zunehmenden Weltbevölkerung (wir werden schließlich alle unendlich lange leben, während wir uns auch noch fortpflanzen) zu einer ungeheuer beschleunigten materiellen Vernutzung des Planeten führen wird.
Könnte es also sein, dass die von Demuth angepriesene Ausflucht in die Technik das Naturproblem gar nicht behebt, sondern im Gegenteil nur noch verschärft? Dazu aber kein Wort von ihm. Allzu bedeckt hält er sich bedauerlicherweise auch dort, wo es darum ginge, seine Beschreibungen der aktuellen Entwicklungen und Errungenschaften im Bereich der Technowissenschaften, den viele vermutlich doch als eher hermetisch empfinden, mit prägnanten Beispielen zu unterfüttern, was es den LeserInnen beträchtlich erleichtert würde, die von ihm gewiesene Richtung nachvollziehen zu können. So aber, das heißt oftmals zu einer Sache des Glaubens statt des Wissens geworden, suggeriert der Text durchaus eine gewisse Zwangsläufigkeit und Unausweichlichkeit des weiteren historischen Verlaufs, die einem Propheten des Posthumanismus zwar ohne Weiteres gefallen mögen, die aber leider keinen Raum dafür lassen, in Phänomenen wie dem um sich greifenden Gesundheits-, Fitness- und Ernährungsregime etwas anderes als einen Vorboten einer technisch perfektionierten Selbstoptimierung zu sehen. Nicht jeder Freak muss nämlich gleich zum Cyborg mutieren wollen.