Hans-Christian Dany schreibt aus dem Urlaub – „von dem, was er tun soll“, so die Kurzbiografie auf der Umschlaginnenseite seines neuen Buchs. MA-1. Mode und Uniform nach dem Cover zu beurteilen ist legitim, denn radical chic ist sein Inhalt. Dass dieser Schick auf bestimmten, teils verunklärten Traditionen beruht, ist seine zentrale These. Es macht daher auch Sinn, dass die Klappentexte eines früheren und dieses Buchs eine Klammer bilden – mit zwei kleinen, aber feinen Unterschieden: „Ein heiter ätzender Spaziergang durch das Innere [...] einer von Selbstoptimierung besessenen Gesellschaft“, subsumierte Morgen werde ich Idiot. Kybernetik und Kontrollgesellschaft (2013). „Ein heiterer Spaziergang an den Rändern der Geschichte der Bomberjacke“, heißt es zu MA-1.
Dass bei der stets spürbaren Leidenschaft für den Gegenstand – die Bomberjacke MA-1 der US-amerikanischen Militäruniform- und später Modemarke Alpha Industries – dem „heiteren Spaziergang“ das „ätzend“ abhandenkam, mag an der wachsenden Ambivalenz in Danys Kritikbegriff liegen: „Ich mag Mode. Was sollte ich anderes tun, als die Widersprüche der Gegenwart zu lieben?“, gesteht das Zitat im Klappentext, während die Selbstoptimierungsgesellschaft noch einen ätzenderen Antagonismus zu erfordern schien. Dass Dany zudem den Kurs seines Spaziergangs ändert, vom Inneren eines kollektiven Subjekts an die Ränder einer Objektbeziehung, scheint durch noch dezidiertere autobiografische Züge begründet: „Die endlosen Nachmittage auf dem Spielplatz fielen mir schwer, ich fürchtete, bald so auszusehen wie die wenigen Männer, die mir dort begegneten.“ Bereits hier wird das Radikale, besonders der Mode, als Spagat zwischen Ver- und Entwurzelung demaskiert. Der väterliche Spaziergang stützt sich jedoch auch stark auf die in Morgen werde ich Idiot erläuterten Verschiebungen innerhalb subjektiver Handlungsmacht vom liberalen Individualismus hin zu technoiden Systemen. Der Widerstand der Bomber, um Danys Fazit vorwegzunehmen, artikuliert sich exakt entlang dieser Fluchtlinie vom Innen ins Außen: Mode sei „eine relativ geschlossene Ordnung, die auf Impulse von außen reagieren kann, sie aber meist in Bezugnahmen auf ihre innere Ordnung umwandelt. Darum kann Mode entkernt und ohne Inhalt wirken, aber im gleichen Moment von einer äußeren Realität geprägt sein.“
Und so spaziert nicht nur Dany, genüsslich und getrieben zugleich, entlang der Kleiderstangen, auf denen sich die zur Mode gemauserte Uniform heute präsentiert (von Alpha und Lonsdale bis zu Balenciaga/Vetements). Sondern es „spaziert“ auch die Funktionsjacke über die Körper ihrer militärischen Benutzer (die ersten Bomberpiloten), ihrer paramilitärischen Träger (die Black Panther, der schwarze Block) und schließlich die zivilen TrägerInnen aus dem gesamten gesellschaftlichen Spektrum, die Mode als Zeichen sozialer Mobilität nutzen (vorbereitet durch die Erfindung des Anzugs in den Midashänden des Dandys). In die Parade des randständigen Wissens reihen sich Kanonika wie Karl Marx’ Postulat des Fetischcharakters der Ware oder Roland Barthes’ Die Sprache der Mode – welche jedoch die Mode als Katalysator des Begehrens auf ihre Zeichenhaftigkeit im Stadium der Kommodifizierung verengten, so Dany.
Dementgegen positioniert der Autor den paradoxen Doppelcharakter der Mode: eine Matrix aus Militär und Subkultur, Couture und Kunst. Im Detail: Der Essenz des Militarismus, dem Krieg, bescheinigt er eine zunehmende Entgrenzung bzw. wachsende Asymmetrie von TäterInnen und Opfern (während Bomberpiloten vor dem Krieg in computerisierten Büros geschützt werden, wird die Zivilbevölkerung im endlosen Ausnahmezustand zur Zielscheibe). In der Essenz der Mode, der warenförmigen Selbstinszenierung, mimt die Bevölkerung die Zielgruppe (target group). Die Subkultur greife dies auf und wende es zur Certeau’schen Taktik: Mittels Persiflage lockert der subkulturelle „Dress“ den militärischen Drill einerseits, andererseits zurrt er die Militanz durch Übererfüllung zur Verbindlichkeit fest (so befolgt ein Skinhead streng vordefinierte Codes, statt modischer Entscheidungsfreiheit zu frönen). Das Scharnier dieser Sphären, die Uniform, sei vor allem durch den Genuss der Unterwerfung definiert – Hörigkeit und Zugehörigkeit gehen Hand in Hand; Entpersönlichung statt Verantwortung bleibt das Erbe der Jacke des Bombers. Hier nun sei die Kunst gefragt, vor allem das Readymade und seine Subversion individueller künstlerischer Sichtbarkeit, eine Sublimierung der modernen Heldenfigur und deren Reiz durch Entzug. Im Halbschatten der Projektionen wuchert eine Gegenrealität, die „die herrschende Manipulierung der Wirklichkeit verzerrt“ (detournement); Performanz zum Zweck der Negation der „Bewertungsgesellschaft“.
Der Spaziergang drosselt sein Tempo. Im Anschluss an sein Buch Schneller als die Sonne. Aus dem rasenden Stillstand in eine unbekannte Zukunft (2015) attestiert Dany der gegenwärtigen Gesellschaft schließlich einen strukturellen Entwicklungsmangel. Was sich als Fortschritt ausgebe, seien vor allem endlose Rezyklierungsschleifen. Die Mode tritt als hauptsächliche Trägerin des Attributs „rasend“ in Erscheinung: im rasenden Rekurs auf verwertbare Erinnerung sowie als Beschleunigerin von Aktualität und ihrer augenblicklichen Vergänglichkeit – dem Trend im Zeitalter digitalen Konsums. Es bleibt: eben der Spaziergang. Der Modus des Urlaubs, also der der Lohnarbeit enthobenen Freizeit oder der die Lohnarbeit ersetzenden freien Arbeitszeit und ihrer Kleidungen. Das Defilieren von gelebter, gefundener, gesuchter und erkannter Geschichte.