Karlsruhe. Im Sommer 2018 zeigte der Badische Kunstverein anlässlich seines 200-jährigen Jubiläums und im Rahmen der 24. Europäischen Kulturtage die erste umfassende Retrospektive des polnischen Künstlerduos KwieKulik in Deutschland und markierte damit einen Fokus des Kunstvereinprogramms: die Förderung und Vermittlung von Kunst aus ostmitteleuropäischen Ländern.
Zofia Kulik (*1947) und Przemysław Kwiek (*1945) lernten sich während ihres Bildhauerstudiums in den 1970er-Jahren an der Akademie der schönen Künste in Warschau kennen. Sie wurden ein Paar und lebten und arbeiteten jahrelang sehr eng zusammen. Der einleitende Raum der Ausstellung KwieKulik. SHE and HE im Badischen Kunstverein widmete sich den ersten künstlerischen Versuchen von Kulik und Kwiek, noch bevor sie sich trafen, sowie ihren Erfahrungen, die sie von 1967 bis 1973 während ihres Studiums im Atelier von Jerzy Jarnuszkiewicz und in den Kursen Oskar Hansens machten. Schon früh nutzten Kulik und Kwiek in ähnlicher Art und Weise neben der Zeichentechnik die Fotografie, um künstlerische Prozesse abzubilden und zu erforschen. Hansen hatte die Theorie der „Offenen Form“ entwickelt, welche durch KwieKulik und andere Kunstschaffende in experimentellen kollektiven Aktionen weitergedacht wurde. Die spontanen interaktiven Spiele mit einer Ruf-Antwort-Struktur wurden filmisch und fotografisch dokumentiert, was sich am Eingang des zweiten Karlsruher Ausstellungsraums, dem Herzstück der Ausstellung, nacherfahren ließ, wo einzelne Aktionen auf Monitoren abgespielt wurden.
Mit einem sorgsamen Blick für die Besonderheiten der jeweiligen Medien ermöglichten die Vitrinen in der Mitte dieses zweiten Raums einen Einblick in den reichen Materialfundus des KwieKulik-Archivs, gerahmt durch umliegende Monitore mit Filmen von und mit KwieKulik. Während der 1970er- und 1980er-Jahre formten Kulik und Kwiek das Künstlerduo KwieKulik. 1971 gründeten sie das Atelier für Aktionen, Dokumentation und Verbreitung (PDDIU) in ihrer Atelierwohnung in Warschau. Hier begannen sie, ein Archiv aufzubauen, das vornehmlich Dokumentationen prozessorientierter und ephemerer Kunst beinhaltete mit dem Ziel, diese Kunst zu bewahren. Das Atelier stellte einen einzigartigen Treffpunkt und eine Plattform des Austauschs für KünstlerInnen aus ganz Ostmitteleuropa dar und ist daher eine nicht zu unterschätzende Quelle für die Erforschung der Neoavantgarde in diesem Zeitraum.
Die anschließenden Räume im Badischen Kunstverein befassten sich mit den ökonomischen Grundlagen des Künstlerduos. Um ihre Arbeit zu finanzieren, fertigten Kulik und Kwiek regelmäßig Auftragsarbeiten für die staatlichen Werkstätten für bildende Kunst in Warschau sowie für private AuftraggeberInnen an. In der Ausstellung findet sich auch das Gipsmodell einer Vase für einen privaten Auftraggeber, welche später massenproduziert und in Geschäften verkauft wurde. Kulik und Kwiek produzierten sowohl ihre eigenen Kunstwerke als auch die Auftragsarbeiten zu Hause in ihrer Küche, die gleichzeitig als Dunkelkammer und als Vestibül zum PDDIU diente. Die prekären Lebens- und Arbeitsumstände führten jedoch auch zu einer Verschmelzung von Kunst und Leben, die sich äußerst produktiv auf Arbeiten wie Aktivitäten mit Dobromierz auswirkte, eine fotografische Serie mit ihrem wenige Monate alten Sohn, die 1972 bis 1974 entstand. Ursprünglich in Form von Farbdias und mittels Schwarz-Weiß-Fotografie dokumentiert wurde die Arbeit in Karlsruhe in einer großformatigen digitalen Drei-Kanal-Projektion gezeigt, welche zugleich an Aufführungspraktiken wie die „unterbrochene Projektion“ KwieKuliks mit unterschiedlichen Publika in den 1970er-Jahren erinnerte.
Im überleitenden Flur zum letzten Raum der Ausstellung wurden Arbeiten präsentiert, die sich an der Grenze zwischen Kunst und Protest bewegten. Auf ein 1974 gegen KwieKulik verhängtes Reiseverbot reagierte das Künstlerduo 1978 auf der Gesamtpolnischen Biennale Junger Künstler in Sopot mit der Aktion Denkmal ohne Reisepass. Das Narrativ der Ausstellung zeigte, wie sich Kulik und Kwiek im Laufe ihrer langjährigen Zusammenarbeit von subtilen Kommentaren zur politischen Situation immer mehr hin zu Aktionen bewegten, die explizit als politischer Protest konzipiert waren, was unmittelbare Sanktionen durch staatliche Behörden nach sich zog und in einen zähen Kampf des Künstlerduos mit den kommunistischen Machthabern mündete.
Die letzte Station in der Ausstellung zeigte innovative Ansätze Kuliks und Kwieks, bis heute mit dem Archiv zu arbeiten und es lebendig zu halten. Zwei neuere filmische Arbeiten, Cultivating the archive (2017) und Two Approaches to the Archive (2017), zeigten Kulik und Kwiek bei unterschiedlichen Arbeiten in ihren Räumlichkeiten und eröffneten eine Perspektive hin zu einer möglichen Zukunft des KwieKulik-Archivs. Die Wandtexte im Badischen Kunstverein orientierten sich an dem Werkverzeichnis der 2012 wegweisenden Publikation der Arbeiten KwieKuliks1 und kontextualisierten die ausgestellten Werke. Da diese informativen Kurztexte eine tiefere Analyse der Arbeiten KwieKuliks jedoch nicht ersetzen, sollte die Ausstellung als ein Appell aufgefasst werden, die noch immer zu wenig beachteten künstlerischen Strategien der ostmitteleuropäischen Neoavantgarde sowie ihre transnationale Vernetzung künftig noch zahlreicher in Ausstellungsprojekte einzubeziehen und wissenschaftlich breiter zu erforschen.