Berlin. Depot nennt Anna Zett ihre Videoinstallation, und der Titel bezieht sich sowohl auf Filmdokumente einer Mülldeponie in der DDR, auf der vermutlich auch Giftmüll aus der BRD sorglos abgelagert wurde, als auch auf das Archiv, in dem die Künstlerin diese und andere Dokumente entdeckte, um sie als Bestandteil einer Rauminstallation in den Räumen von District Berlin zu verwenden. Auf einem zweiten Screen sieht man, wie sie auf einer weitläufigen Kieshalde Parolen auf die grauen Oberflächen sprayt, die sie gleich danach mit ein paar Schritten über die Abhänge, die den Kies in Bewegung setzen, wie auf einem Wunderblock wieder auslöscht, um dann eine neue Parole zu schreiben. Abgesehen von den thematisch zugespitzten Statements, die auf diese Weise nacheinander auftauchen und verschwinden, ist auch die Performance selbst eine passende Metapher für das Projekt wild recuperations insgesamt. Dessen Plan ist es nämlich, mit dem Archiv der DDR-Opposition im Format der Kunst zu arbeiten, und dabei nicht nur Vergessenes wieder ans Licht zu holen, sondern es auch in einer Weise zu reflektieren und zu gestalten, die ihm gerecht wird.
Das Archiv Grauzone, gegründet von Samirah Kenawi, im Gebäudekomplex der ehemaligen Stasi-Zentrale ist der zweite Ausstellungsort und sammelt insbesondere Dokumente der Frauenbewegung in der DDR. Anhand einer Grafik von Bärbel Bohley und deren Schriftzug „Manchmal ist Kunst abwesend! (Nov. 89)“ wird in eine Situation des Umbruchs eingeführt, in der eine Reihe engagierter Frauen die Wende, etwa durch ihre Teilnahme am Runden Tisch, später dann auch bei der Besetzung der Stasi-Zentrale, maßgeblich mitgetragen und geprägt haben. Bohley war bildende Künstlerin, wurde aber bald geheimpolizeilich überwacht und widmete sich dann ganz der politischen Arbeit – ihre Wohnung war in der „heißen“ Phase die Zentrale der Opposition. Die Kuratorinnen Suza Husse und Elske Rosenfeld wollen aber auch – genauso wie Bohley selbst – diese Form der Aktivität als integrales Moment von Kunst begreifen und luden deshalb weitere Künstlerinnen ein, jene historischen Ereignisse und die politischen Ausdrucksformen, die sich in ihnen reichlich finden lassen, zu reaktivieren.
Eine Zusammenstellung von Tondokumenten zu einer Audioarbeit bringt beispielsweise aussagekräftige Interviews mit BürgerInnen, die in regimekritischer Absicht geführt worden sind, eine Reihe ausgewählter Fotodokumente wurde in Form von Postern neu gedruckt, die man mitnehmen kann, wie auch eine Menge weiterer Erläuterungen, Quellenverweise und den kompletten Reprint einer Zeitschrift, die Bärbel Bohley zum 40. Jahrestag der DDR eigenhändig produziert und verteilt hatte.
Und dass Musik eine große Rolle in der Opposition spielte, daran erinnert nicht nur Henrike Naumann mit der Präsentation des Plattencovers DDR von unten, einer Schallplatte, die 1984 aus der Zusammenarbeit von MusikerInnen aus dem DDR-Underground und Westberliner Musikproduzenten entstanden ist. Punk vom Feinsten sozusagen, und ähnlich aggressive Musik wurde beispielsweise auch den Filmaufnahmen von jener oben erwähnten Giftmülldeponie unterlegt, womit die radikale Absage an vorbildlich-opferbereites Handeln nicht deutlicher gemacht werden könnte.
Der feministische Aspekt tritt vor allem im Fokus auf Handlungskonzepte zutage, die sich durch subtile Fragen ebenso wie durch subversive Kritik an Privilegien und Machtansprüchen auszeichnen. Um das herauszuarbeiten, unterzieht Elske Rosenfeld in einem Zwei-Kanal-Video Aufnahmen einer entscheidenden Sitzung des Runden Tischs einer minutiösen Analyse, in der sie den Habitus der Mehrheit der anwesenden Männer mit dem zweier maßgeblicher Frauen, Ingrid Köppe und Ulrike Poppe, vergleicht, indem sie verschiedene Schnitttechniken (Zeitlupe, Wiederholungen, Ausschnittvergrößerungen) nutzt. Eine breitere Darstellung erfahren auch Dokumente, die sich der zahlreichen Aktivitäten lesbischer Gruppen und ihrer kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen widmen. Einige von ihnen wurden durch die Stasi als Terrorpotenzial eingestuft, ließen sich jedoch nicht davon abhalten, für die Rechte Homosexueller zu kämpfen. Wie Kenawi auf einer der begleitenden Diskussionsveranstaltungen erläuterte, gab es in der DDR zwar nicht die Möglichkeit, über die Medien politischen Druck auszuüben, aber wenn eine Gruppe wegen dissidenter Positionen derart in den Fokus des Machtapparats geriet, konnte das auch bedeuten, dass die politische Staatsführung aufmerksam wurde und etwa die Rechte von Minderheiten stärkte.
Verschiedene Erfahrungen, verschiedene Motive und verschiedene KünstlerInnen, die in diesem Projekt eine Rolle spielen, ergeben also zusammen eine Mehrzahl von narrativen Strängen und praktischen Perspektiven und sind nicht leicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Denn trotz des klaren historischen Bezugspunkts der Frauenbewegung als Teil der Opposition in der DDR sind doch die Felder, in denen die verschiedenen Akteurinnen engagiert waren, keinesfalls auf eine partikulare Interessenvertretung zu reduzieren. Was generell für den Widerstand des damaligen Neuen Forums gilt, gilt natürlich auch besonders für die beteiligten Frauen: dass sie nach der Wende schnell durch westliche Machtpolitiker ersetzt wurden. Dem Schock über dieses Verschwinden aus der öffentlichen Wahrnehmung wird nun hier in einer attraktiv unsystematischen Form eine Wiederaneignung von Archivmaterial entgegengesetzt, die von dem Begehren nach seinen utopischen Gehalten getrieben ist. So geht es dabei auch weniger um Machtpositionen als um die unterschätzten Besonderheiten einer Kultur des sozialen Engagements, als Basis souveränen Lebens und Fühlens und als freiem Ausdruck des Selbstbewusstseins einer Generation.