Heft 2/2019 - Lektüre



Cornelia Sollfrank (Hg.):

Die schönen Kriegerinnen

Technofeministische Praxis im 21. Jahrhundert

Wien (transversal texts) 2018 , S. 75 , EUR 18

Text: Sabine Weier


Unter den Technofeministinnen ist ein Disput entbrannt. Und der ist produktiv: Die Künstlerin Cornelia Sollfrank hat er dazu motiviert, einen Band mit aktuellen technofeministischen Stimmen aus Europa, Südamerika und Kanada herauszugeben. Als Teil der Künstlerinnengruppe Old Boys Network war sie einer jener Köpfe, die 1997 inspiriert durch Donna Haraway – insbesondere von deren legendärem Text „A Cyborg Manifesto“ aus dem Jahr 1985 – den „tech-positiven“ Cyberfeminismus ins Leben riefen. Einst mit 100 „Antithesen“ in eine ephemere Form gegossen, wurde er 2015 zum Gegenstand der Kritik in dem von Helen Hester und Armen Avanessian herausgegebenen Merve-Band dea ex machina, dessen Herzstück das theoretisch dem Akzelerationismus nahe, vom Kollektiv Laboria Cuboniks verfasste Manifest des Xenofeminismus (XF) ist. Hester und Avanessian warfen dem Cyberfeminismus radikalen Individualismus und Relativismus vor, letztlich mangelndes Potenzial zu politisieren.
Die Kuratorin Isabel de Sena wiederum holt in ihrem für Die schönen Kriegerinnen verfassten Essay zum Gegenschlag aus: Der Xenofeminismus universalisiere, abstrahiere, missachte die Situiertheit der Körper der in unterschiedlichen Kontexten kämpfenden Technofeministinnen und spreche aus einer westlich-eurozentrischen, neoliberale Werte reproduzierenden „Wir“-Perspektive. Zumindest eines teilen alle: Ernüchterung. Die zur Anfangszeit des text-/codeorientierten Internets erdachten Utopien einer von Zuschreibungen wie Geschlecht oder Rasse gelösten digitalen Gesellschaft sind in Zeiten von Instagram, YouTube und Co längst nicht mehr haltbar. Das Internet hat die Strukturen der analogen Welt schlicht reproduziert, mitunter verstärkt. Donna Haraways frühe Forderung, die patriarchal, rassistisch, kapitalistisch, militaristisch und kolonial geprägte Technologie (und Wissenschaft) nicht als objektiv und gegeben hinzunehmen, ist heute sehr aktuell. Technofeministischer Widerstand ist notwendig. Doch bleibt der XF bezüglich des „wie“ theoretisch und vage. Da werden Die schönen Kriegerinnen sehr viel konkreter.
So ist es eine Stärke vieler Texte in dem Band, dass sie von Hackspaces bis hin zu feministischen Servern zahlreiche Beispiele anführen. Die Wissenschaftlerin Sophie Toupin unternimmt einen Streifzug durch die umtriebige Kultur des feministischen Hackings der Gegenwart und stellt etwa das gegen sexistische Gewalt auf Twitter gerichtete, vom Gender and Tech Institute (GTI) initiierte Projekt ZeroTrollerance vor, für das ein in Videobotschaften auftretender Coach sexistisch agierende Trolle „umerzieht“ – eines von vielen Projekten, die sich dem massiv verbreiteten und brutalen Online-Mobbing gegen Feministinnen im Netz entgegenstellen. Mit dem Text der Hackerin und Soziologin Spideralex schließt der Technofeminismus an marxistische Feminismen der Vergangenheit an. Im Mittelpunkt steht die Materialität des digitalen Kapitalismus und die damit verbundene Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft und natürlicher Ressourcen im globalen Süden. Die Soziologin „remixt“ in ihrem Beitrag Kommentare postkolonial und technofeministisch arbeitender Frauen und Kollektive aus Lateinamerika – dem Territorium der bemerkenswertesten feministischen Kämpfe der Gegenwart.
Die Künstlerin Femke Snelting kritisiert FLOSS-Communities (Free, Libre and Open Source Software), die in ihren Strukturen noch weniger divers sind als kommerzielle Softwarefirmen, beschreibt Belästigungen sowie das feministische Potenzial von Verhaltenskodizes. Cornelia Sollfrank befragt die Aktivistin hvale vale zu den 17 feministischen Prinzipien des Internets, die eine Gruppe von 52 Aktivistinnen formuliert und die Sollfrank für den Band ins Deutsche übersetzt hat. Schließlich untersucht die Kunsttheoretikerin Christina Grammatikopoulou Genderperformances in Kunst und Aktivismus sowie im Kontinuum von Off- und Online und verweist auf die Verunklarung des Begriffs Feminismus durch seine Popularisierung. Dabei verwischen nicht nur die Grenzen zwischen Feminismus und Konsumkultur, sondern zum Beispiel auch die zwischen feministischem Aktivismus und Noise, dem Stören auf Kommunikationsplattformen, wie sie von rechten Trollen, etwa antifeministischen Männerrechtlern, betrieben werden.
Auch der lesenswerteste Essay des Bands widmet sich miteinander verschmelzenden Bereichen. Yvonne Volkart, wie Sollfrank Mitglied des Old Boys Network und frühe Cyberfeministin, bespricht anhand ausgewählter Kunstwerke von Ursula Biemann oder Pinar Yoldas einen neuen Techno-Öko-Feminismus, der auf Beziehungen zwischen menschlichen und nicht menschlichen Wesen setzt, der industriellen Zerstörung der Natur mit heilendem Handeln begegnen will und gegen die anthropozentrische Hybris arbeitet. Auch hierfür ist die heute 74-jährige Haraway mit ihrer 2016 publizierten spekulativen Vision des „Chthuluzäns“ Vordenkerin. Volkart kritisiert den Xenofeminismus ebenfalls, etwa dessen Parole „Wenn die Natur ungerecht ist, müssen wir die Natur verändern“. Feministische Arbeit am Naturbegriff, so Volkart, impliziere nicht die einseitige Kontrolle der Natur, sondern erfordere vielmehr ein vibrierendes Austarieren queerer Relationen. Akzelerationistische Strategien griffen zu kurz, denn sie seien zu menschlich konzipiert.
Der Technofeminismus, so zeigen die Beiträge des Bands, hat sich in viele Praxen und Denkansätze ausdifferenziert, die auch ohne vordenkende Manifeste aus dem globalen Norden auskommen. Gerade in Zeiten der medialen Popularisierung des Feminismus sind diese Positionen wichtig. Und die politisierende Kraft des Cyberfeminismus der 1990er-Jahre dürfte sich damit durchaus bewiesen haben.