Frankfurt. Wer die jüngere Kunstgeschichte nach mythischen Figuren durchstöbert, stößt schnell auf Cady Noland. Der Mythos um die US-amerikanische Künstlerin hat dabei weniger mit ihrem Werk zu tun als mit ihrer Biografie. Bei ihren Arbeiten handelt es sich meist um skulpturale Anordnungen, Ensembles und Installationen von Ephemera aus dem US-amerikanischen Alltag wie Bierdosen, Einkaufswägen, Metallgestänge und -gitter, großformatig auf beschnittene oder durchlöcherte Aluminiumplatten gedruckte Zeitungsfotos aber auch Waffen, Handschellen, Baseballschläger, Prothesen etc. – nicht zu vergessen die immer wieder eingesetzte Nationalflagge. Nolands Oozewald (1989) – basierend auf dem berühmten Bild des Kennedy-Attentäters Lee Harvey Oswald in dem Moment, in dem er selbst erschossen wird, das nunmehr als Siebdruck auf eine gleichsam von überdimensionierten Schüssen durchbohrte Metallplatte reproduziert ist und, frei im Raum aufgestellt, das Star Spangled Banner anstelle des Mundes trägt – ist eine Ikone der Kunst der 1990er-Jahre. Legendär gewordenen sind Nolands Installationen, etwa ihre gewissermaßen selbstkuratierte Ausstellung als ‚Insert’ zur Documenta 9 in Kassel (1992): Bei diesem vielleicht wichtigsten Auftritt Nolands waren in einer Tiefgarage Unfallautos kombiniert mit einem düsteren Bild-Text-Ensemble; dieses basierte auf einem seither oft zitierten Essay der Künstlerin, Towards a Metalanguage of Evil. Dazu waren Arbeiten befreundeter New Yorker Kollegen gruppiert, deren Ästhetik ebenfalls von einer Art Post-Pop noir geprägt war. So signifikant ihre Skulpturen, so stilbildend diese Installationen gewesen sein mochten, war es aber vor allem ihr (Teil-)Rückzug aus dem Kunstbetrieb Ende der 1990er-Jahre. Ihre Weigerung seither neue Arbeiten zu veröffentlichen oder aktiv auszustellen, begründet ihren Nimbus.
Ihr Werk bis dahin war ein geglückter Brückenschlag, erstens, weil es Noland gelungen war, das seit den 1960er-Jahren – etwa mit Edward Kienholz, Claes Oldenburg und Andy Warhol – ikonisch gewordene Reservoir des, vorrangig weißen, American vernacular formal und thematisch zeitgemäß nochmals zuzuspitzen. Zweitens war es ihr gelungen sich von der allzu slick gemachten Objektkunst der späten 1980er-Jahre, die teils doppelbödig ‚affirmative’, teils hypertrophe Werk- und Warenästhetik eines Ashley Bickerton, Jeff Koons oder Haim Steinbach abzusetzen. In ihren Arbeiten behielt sie jedoch einen Hang zu formaler Strenge und Stilisierung bei. Damit konnte sie, drittens, auf Abstand halten zu den diskursiv und situationsspezifisch entwickelten, meist politisch, Community-bezogen oder institutionskritisch motivierten Installationen einer jüngeren Generation von Künstlern, etwa Peter Fend, Andrea Fraser oder Renée Green. Diese schloss nicht zuletzt unter dem Eindruck der Kunstmarktkrise Ende der 1980er-Jahre an die aus der konzeptuellen (und marktkritischen) Kunst der 1960er-Jahre geläufigen post studio practices – künstlerischen Ansätzen, die den Schutzraum des Studios und damit traditionelle, werkzentrierte Ästhetiken hinter sich ließen. An der Schwelle der 1990er-Jahre bot Nolands Werk in diesem Sinne einen geradezu idealen Kompromiss zwischen der älteren, marktorientierten Objektproduktion und den aktuelleren konzeptuell/kritischen, kommerziell aber schwerer verwertbaren Arbeitsweisen an. Ihre Arbeiten waren gerade so ‚schwierig’, um sich dennoch sehr gut zu verkaufen.
Schon in ihrer aktiven Zeit galt die Künstlerin allerdings als öffentlichkeitsscheu. Heute gibt es sogar online bis auf eine einzige Ausnahme keine Fotografie von ihr. Fehlanzeige auch bei Katalogen oder gar Monografien. Viele Werke waren zwar früh in Museums- und wichtigen Privatsammlungen, vor allem in den USA und Europa gelandet, was noch oder wieder kursierende Arbeiten natürlich besonders attraktiv für ‚Flipper’ – also Wiederverkäufer werden ließ. Die Stücke, die in den letzten fünf bis zehn Jahren in Umlauf kamen, gehören daher zu den teuersten auf dem Sekundärmarkt für zeitgenössische Kunst. Und auch deshalb riss das Gespräch über Noland nicht ab. Dazu geht die Legende, es wäre schwer sie für Ausstellungen zu gewinnen, ebenso schwierig sei die Zusammenarbeit mit ihr. Kein Wunder, dass ihre Frankfurter Ausstellung – die erste ‚amtliche’ Retrospektive in zwei Jahrzehnten – von einem gespannten Raunen und jedenfalls hohen Erwartungen begleitet ist. Vor allem stellt sich die Frage, wie es Susanne Pfeffer als neue Direktorin des MMK denn geschafft habe Noland für diese Ausstellung zu gewinnen – und was es letztendlich alles zu sehen gäbe.
Gleich vorweg: Der luftige Parcours über alle Etagen des für Nolands Ausstellung leergeräumten Museums sieht bestechend aus. Und obwohl die Schau als erste wirkliche Retrospektive eine stattliche Zahl von Exponaten seit 1984 auffährt, herrscht der Eindruck des Großzügigen. Das ist keine Selbstverständlichkeit in der teilweise arg kleinteilig und verwinkelt geratenen Architektur des Holleinbaus. Nicht nur, dass die vorrangig skulpturalen und gelegentlich raumbezogen installierten Arbeiten Nolands dadurch exzellent zur Geltung gebracht werden – vielleicht mit dem Risiko des Sterilen; so wird schlicht und ergreifend auch Atmosphäre inszeniert, ein Look kreiert. Das wirkt einerseits äußerst suggestiv. Andererseits wird der architektonische Ort samt seiner institutionellen Funktion einer temporären Ausstellung untergeordnet, der kuratorischen Setzung dienstbar gemacht – mit regelrecht radikalem Effekt. Konkret bedeutet das nämlich, dass für Pfeffers Frankfurter Debüt die Sammlung ins Depot verfrachtet werden musste – bis auf einige handverlesene, dafür aber geradezu aufreizend kokett in den von Noland dominierten Parcours eingestreute Stücke. Das ist nicht nur in Frankfurt eine grandiose Geste. Dort hatte Udo Kittelmann der grande dame einer Kunst, die auf Aneignung, Wiederholung und die Ambivalenz von Autorschaft und Originalität setzt, Elaine Sturtevant, zum 80. Geburtstag die Reverenz erwiesen und ihr das ganze Museum zur Entfaltung einer alternativen, jedoch völlig aus ihrem Werk herzuleitenden Kunstgeschichte überlassen: mit grandiosem Ergebnis. Doch eignet sich dies nicht als Präzedenzfall – auch, weil dem Oeuvre Nolands bei aller Qualität und Eigenheit bei weitem nicht die Tragweite von dem Sturtevants eignet – davon gleich. Diese besondere Geste will unterstreichen, dass Pfeffers Auftakt als Coup gemeint ist. Es wäre schließlich kein rechter Coup, was nicht danach aussieht.
Zum entsprechenden Look gehört auch, dass neben der Sammlung alles Vermittelnde aus dem Blickfeld verbannt ist. Zu viel Hintergrund stört ebenso wie zu viel Wissen, soll ein Coup erfolgreich sein. Demnach gibt es bis auf die wandfüllende Sponsoren- und Unterstützerliste keine weiteren Wandtexte, keine programmatischen Instruktionen oder erläuternden Informationen. Die Tafeln mit den Werkbezeichnungen sind so dezent wie möglich gehalten und räumlich weit entfernt von den Arbeiten, die sie bezeichnen. Nichts, heißt das, soll den Blick auf die Kunst verstellen, von der ästhetischen Erfahrung (oder dem Erfahren von Ästhetik) ablenken, den Kunstgenuss an und für sich trüben. Für diejenigen, der wirklich wollen, gibt es Information allerdings gratis: als Heftchen zum Mitnehmen oder, in der modernen, vom physischen Museumsbesuch entkoppelten Variante, als Download. Dort werden in Auswahl einige ausgestellte Arbeiten Nolands exemplarisch beschrieben, nicht jedoch kontextualisiert. Das fällt umso mehr auf, da die wenigen, in den Parcours eingestreuten Stücke anderer Künstler aus der Sammlung gänzlich unerwähnt und selbst dann unkommentiert bleiben, wenn sie regelrecht auf atmosphärische Tuchfühlung bzw. in inhaltlichen Zusammenhang mit den Arbeiten der Ausstellung gebracht werden. Freilich: die Zusammenhänge stellen sich in der Regel als solche formaler oder familiärer Nähe heraus: wenn Bill Bollingers „Pipe“ (1968) oder Andy Warhols „White Desaster II (White Burning Car II)“ (1963) auf die für Noland typischen metallenen Gestänge, Käfige und Zäune oder Bild/Text-Tableaus stoßen. Solche bloßer Ähnlichkeit geschuldete Verbindungen mögen suggestiv sein, doch bleiben sie merkwürdig unbefriedigend und werfen Fragen auf, die mutwillig unbeantwortet bleiben. Wo hier mehr oder weniger ungestaltetes Metall auf Metall trifft, ist es dort die künstlerische Bearbeitung massenmedialer Repräsentationen des Katastrophischen, von Unfall und Gewalt im Bild. Dass es das mit Wissen um die Kunstgeschichte der Moderne wiederholt gegeben hat, ist keine besondere Erkenntnis, mit der sich etwas anfangen ließe. Entsprechend mögen es Ähnlichkeiten des Materials, der Form sein, die womöglich die Anwesenheit einer neu angekauften Beuys-Vitrine, sein „Boxkampf für direkte Demokratie“ (1972), rechtfertigen. Doch wie verhält sie sich thematisch, historisch zur Umgebung? Von Steven Parrino, einem Mitstreiter schon bei Nolands Documenta-Autritt und späterem Kommentator ihrer „Metalanguage“ ist gleich eine ganze Auswahl von Arbeiten zu sehen, so, dass sie fast eine Ausstellung in der Ausstellung werden und jedenfalls die Bandbreite dieses malerischen Oeuvres repräsentieren. Doch auch ihr muss es für alle die Besucher, die gezwungen sind auf Sicht fahren, ohne interpretatorischen Mehrwert jenseits des ästhetischen Erlebens abgehen. innerhalb der Retrospektive für jeden Besucher, der auf Sicht fahren muss. Vielleicht mag sich mancher bei der allerdings eleganten Dreierkombination eines zum Raum hin aufgefalteten Gemäldes von Parrino – sein Bent Painting (1991) – zusammen mit Touch (1963), einem Großformat von Kenneth Noland, dem Vater der Künstlerin, vor deren architektonisch als Raumtrenner installierten Zaun denken, es möge sich hier um eine family affair handeln. Gewissheit darüber können nur Insider oder beharrliche Spurensucher bekommen – und das bei vergleichsweise bescheidenem Zugewinn an Wissen.
Genau an solchen Beispielen wäre aber zu debattieren, ob der Look, dem alle anderen kuratorischen Belange untergeordnet sind, über sich selbst hinaus methodisch tragfähig wird. Ob er beispielsweise einem Vermittlungskonzept, einer museologischen Agenda oder sonst einem Programm folgt – im Sinne einer gezielten Befragung der Standards musealer Kunst- und Wissensermittlung etwa anhand der Differenz zwischen Sammlung und Ausstellung, den jeweils inhärenten Konzepten von Temporalität und Historizität, den darauf bezogenen Techniken der Auswahl, Anordnung und Kontextualisiering. Doch hat es den Anschein, der Frankfurter Debattenbeitrag zum Neustart der Institution bestünde in der mutwilligen Vertagung der Debatte. Stattdessen setzt die Ausstellung traditionalistisch auf die Idee der voraussetzungslosen Begegnung mit Kunst – und sie scheint darob der eigenen Suggestion auf den Leim zu gehen. Die aktuelle Ausstellung wäre ohne die bisherige Rezeptionsgeschichte zu Person und Werk und ohne den kunsthistorischen und kommerziellen Kontext, von dem die Rezeption des Werks als Grund für seine aktuelle Attraktivität nicht zu trennen ist, nämlich lange nicht der Coup, zu dem sie faktisch geworden ist.
Geht dieser Coup schlussendlich aufs Konto des künstlerischen Werks und seiner exemplarischen Qualität? Oder nicht doch eher auf das der mysteriösen Aura, die die Künstlerin seit ihrem frühen, freiwilligen Rückzug aus der öffentlichen Arena des Kunstbetriebs (freilich nicht dem Kunstbetrieb tutto quanto) Ende der 1990er-Jahre umgibt? Zumal den cognoscenti des Kunstbetriebs gilt Cady Noland als Mythos, umweht vom Ruch des Schwierigen, geadelt durch den Ruf des Widerständigen, gerade gegenüber den Verlockungen – oder Abseitigkeiten – des Kunstmarkts. Dank des (Teil-)Rückzugs der Künstlerin sind ihre Arbeiten sozusagen eine ‚natürlich’ knappe Ressource. Zugleich ist der Ruf des Widerständigen eine harte Währung auch noch im heutigen Kunstbetrieb. Dass Nolands Mythos heute so attraktiv ist, passt nur zu gut in eine Zeit, in der Kunst nur dann auch ‚als Kunst’ erfolgreich erscheint, wenn sie sich auf dem Kunstmarkt durchgesetzt hat. In anderen Worten: nur kommerziell etablierte Kunst kann überhaupt gut sein. Er passt, wenn sich weite Teile der artistic community – KuratorInnen, KritikerInnen und sogar Institutionen inklusive – der beruhigenden Vorstellung hingeben, nur genug Erfolg zu wollen wäre schon die gesamte Miete für eine Karriere in der Kunst und als Ausweis von Professionalität durchaus in Ordnung, so lange man mit ausreichend innerer Distanz dazu das System durchschaut hat, dem man sich affirmativ verschreibt, nur um davon zu profitieren.
Dem Kunstbetrieb ganz oder teilweise Lebewohl zu sagen, hat spätestens seit Marcel Duchamps Entscheidung fürs Schachspiel (und seine gleichzeitigen, angestrengten Bemühungen, einmal die Rezeption seines Werks zu steuern und auch gleich noch ein ‚unbekanntes Meisterwerk’ zu hinterlassen) eine gewisse Tradition. Auch deshalb könnte man auf die Idee kommen, Noland würde ihren Mythos auch heute noch befeuern. Tatsächlich widmen sich mittlerweile Blogs und Webseiten den Statements, Haftungsausschlusserklärungen, Affidavits und Prozessen, mit denen sie – aus dem off und völlig legitim, was die künstlerische Autorschaft, Mitsprache und zugleich die Privatsphäre betrifft – Exzesse bei der kommerziellen Verwertung ihrer Arbeiten und der dadurch drohenden Verfälschung ihres Werks eindämmen will. Doch geht damit auch die Kontrolle und Manipulation von deren Rezeption und der Diskurs darüber einher. Natürlich kann und soll Noland bei der Konservierung, Präsentation und, im Falle von Installationen zwangsläufigen, Wiederaufführung ihrer Arbeiten mitsprechen. Doch fällt beim Vergleich etwa mit den wenigen historischen Installationsaufnahmen, die von früheren Präsentationen überhaupt noch kursieren, und besonders im Kontrast zur Frankfurter Ausstellung, die fast ausschließlich und im Endeffekt mit der Gefahr regelrechter Redundanz Skulpturen aneinanderreiht, auf, dass es in den von Noland aktiv eingerichteten Ausstellungen seinerzeit deutlich detaillierter und vor allem erzählerischer zugegangen sein muss.
Natürlich verliert ein Coup an Wirkung, wenn man ihn erklärt. Seinerseits erklärt das aber, warum das Frankfurter Museum für Moderne Kunst an keiner Stelle auf das einst Aktuelle und heute Historische dieses Werks, das Spezifische der Biografie und die spezielle Rezeptionsgeschichte hinweisen will, gar Licht in den Mythos bringen würde. Die vermittelnde Institution hüllt sich, was Information, Wissen, Background, Rezeptionsgeschichte betrifft, schlicht in Schweigen. Dieses Schweigen ließe sich mit gutem Willen komplizenschaftlich deuten, als stillschweigendes Einverständnis zwischen Institution und Künstlerin. Und dies wiederum könnte Ausdruck großen Respekts bedeuten, wenn sich Kuratorin und Institution ganz in den Dienst eines Werks stellen – im Vertrauen darauf, dass die Arbeiten hinreichend für sich selbst sprächen. Dazu passt, dass der Pressetext dürr, das Kommentarheft nur wenig ausführlicher ausfällt. Wenn ein kunsthistorisch fundierter Werkkatalog – eigentlich auch so ein angestaubter Standard musealer Kunst- und Wissensvermittlung –, womöglich ganz im Sinne Nolands, gar nicht erst geplant ist.
Das heißt nicht, dass die Schau ganz ohne diskursive Messlatte auskommt. Bemerkenswert nur, dass der ins Büchlein ausgelagerte Kommentar zur Schau kein Imperfekt zu kennen scheint und sich beharrlich weigert, die Historizität eines künstlerischen Werks anzuerkennen. Noland, heißt es dort in strikt präsentischem Modus, „legt in ihren Arbeiten jene Gewalt frei, die uns in Szenarien der räumlichen wie ideologischen Grenzziehung tagtäglich begegnen.“ Das ist eine Rhetorik, die taktisch den Zeitpunkt der Produktion der Werke mit dem ihrer Rezeption überdeckt. Ein Manöver, das Überzeitlichkeit behauptet. Die Arbeiten, auf die sich die Behauptung bezieht, datieren gleichwohl allesamt von 1984 bis 1999 – was selbstverständlich nicht zu ihrem Schaden ist. Die paar Ausnahmen auf der Werkliste, von 2005 und 2008, bezeugen keinerlei künstlerische Weiterentwicklung – im Gegenteil. Bei den unbetitelten, in Kunstharz gegossenen Coladosen, Handgranaten und Patronen – Untitled (1986/2018) – wurden Arbeiten nach historischem Vorbild schlichtweg für die Ausstellung nachproduziert – vermutlich aus konservatorischen Erwägungen. Wozu also dieses Beharren auf Aktualität, auf Überzeitlichkeit?
Zur Logik des Coups würde passen – und blieb in der überwiegend positiv ausgefallenen kritischen Rezeption der Schau selten unerwähnt –, dass ein sehr weißer, sehr männlicher und allerdings sehr privilegierter Amerikaner seit zwei Jahren bei seiner keineswegs nur aus den sprichwörtlichen ‚Abgehängten’ bestehenden Klientel damit punktet, eine Mauer zwischen den USA und Mexiko bauen zu wollen, als materielles Zeichen einer – gleichwohl aggressiven – Abschottungspolitik gegenüber dem Rest der Welt. Bewiese das nicht die drängende Aktualität eines Werks, von dem man aber auch sagen könnte, dass es die aktuelle Situation thematisch antizipiert und in eine belastbare ästhetische Form gebracht zu haben scheint?
Tatsächlich entwickelt die Logik des Coups im Verbund mit dem dramaturgisch sorgfältig inszenierten Look einen fatalen Effekt für die Arbeiten. Die ideale Inszenierung, die voraussetzungslose Begegnung mit den Werken führen dazu, das diese, wenn so überpointiert zur Schau gestellt, sich gegenseitig nivellieren. Der Parcours führt von einer Etage zur nächsten, vom Saal ins Kabinett, von Zaun zum Gatter. Keine Frage, viele dieser Arbeiten sind gelungen, präzise und – oft – im besten Sinne gealtert. Wenn in diesem Parcours aber nochmals ein größerer Haufen mit wenigen auf einem kleineren mit vielen Bierdosen folgt, nach dem dritten Pranger ein vierter und auch noch ein fünfter folgt, mal mit, mal ohne Star Spangled Banner? In dieser Art exemplarisch und ausschließlich vorgestellt wird Cady Noland, die großartige und erratische Ausstellungskünstlerin von einst, plötzlich zu einer formal treffsicheren, thematisch aber eher limitierten Bildhauerin, die, wie sich zeigt, durchaus pragmatisch in Produktlinien arbeitet, oft variiert und zudem – ein paar Kämmerchen gibt es ja auch noch – ein bisschen Flachware im Sortiment hat. Zwar etablierte sie ein bis heute sichtlich solides und nach wie vor suggestives formales Vokabular. In bester postmoderner Manier amalgamieren ihre Arbeiten einfache Dinge, die referenziell werden, und komplizierte Referenzen, die dadurch buchstäblich ‚handfest’, ‚greifbar’ werden als Superzeichen der proklamierten ‚Metasprache des Bösen’ und zugleich das einprägsame Trademark Nolands. Sie schießt sich früh auf ein ergiebiges Thema ein: die testosteroninduzierte Aggression und, weil eben strukturell, umso unheimlicheren Gewalt einer von weißen Männern dominierten US-amerikanischen Gesellschaft und ihrer Gebrechen. Der amerikanische Albtraum, manifest geworden im Sport, Militär, im Polizei- und Strafwesen mit seinen muscle cars, Waffen, Massenmedien, Verschwörungstheorien, Western-Trash, mit seiner von Bier und Barbecue genährten, hinter Zäunen verschanzten und irgendwie ‚kranken’, durch Prothesen zu stützenden Alltagskultur haben aber auch andere Kolleginnen und Kollegen Nolands gerade an den Wende der 1980er- auf die 1990er-Jahre künstlerisch erfolgreich und nachhaltig bearbeitet, nicht nur in der Kunst: Matthew Barney etwa oder Kathryn Bigelow, Larry Clark, David Lynch, Mike Kelley, Paul McCarthy, Richard Prince, Laurie Simmons und andere mehr. Nicht jedes Werk muss dabei in Gänze überzeugen. Jedes verdiente es, auf seine aktuelle Relevanz abgeklopft zu werden. Was war aber nochmals der Grund, Nolands künstlerisches Werk als singulär und derart exemplarisch ins Rampenlicht zu rücken, dass sogar die Sammlung weichen musste?
Tatsächlich liefern die frühesten gezeigten Arbeiten einen interessanten Maßstab innerhalb der Schau. Model with Entropy von 1984 etwa basiert auf einem einfachen Bauplan: ein Baseballschläger dient als Halterung für locker daran geschraubte Sportutensilien, unter anderem ein schlaffer Basketball und ein sportsoziologisches Buch. Dass und wie gut die Arbeit heute funktioniert, hat nicht nur mit der Sinnigkeit der Objekte zueinander sondern auch mit der Patina jedes Dings an und für sich zu tun: den Spuren des Gebrauchs, die die eingesetzten Dinge gewissermaßen personalisieren und an die soziale Wirklichkeit rückbinden. Diese Rückbindung kennzeichnete wie gesagt auch Nolands historische, von den wenigen noch kursierenden Dokumentationsfotos leider nur sehr eingeschränkt nachzuempfindende Installationen, in denen oft, was mittlerweile als isoliertes Requisit, reduziert auf die Werk- und Warenform kursiert, in Kombination, Überlagerung, als situationsspezifisch aufgehäufte und zum Narrativ verwobene mess auftauchte. Diese zu einem multisensorischen Environment zu einem brüchigen Bühnenstück gefügten Elemente mussten den Ausstellungsort transformiert, den Besuch zum Erlebnis gesteigert haben.
Umso trauriger mutet Saloon Stairs, Blank with Extra Wood (1990) an, eine Kulisse wie aus einem Filmset eines Westerns. Die maßstabsgetreue Balustrade mit ein paar gebrochenen Geländerpfosten, wie man sie eben in Saloons fände, steht jetzt isoliert, an eine Wand gerückt, als braunes, großes prop, dem die Story, der Gebrauch, der Sinn abhanden gekommen ist. Vor achtundzwanzig Jahren, als eines von vielen Element in einer Ausstellung bei Luhring Augustine Hetzler in Santa Monica war, was heute ‚Skulptur’ ist, sinnstiftendes Element einer vielteiligen, hochgradig theatralen und seltsam unheimlichen Inszenierung, bevölkert unter anderem von großen Cut-outs von Cowboys, einer Blockhüttenfassade, allerhand Wand- und Bodenobjekten, blinkenden Neonzeichen, einer zwischen zwei Galerieräumen installierten Saloon-Schwingtür und anderem mehr.
„Was sich nicht als Geschichte zu erkennen gibt, kann nicht verhandelt werden.“ verkündet das Cover zur Publikation der legendären Köln Show, einer 1990 von verschiedenen Kölner Galerien gemeinschaftlich initiierten, sagen wir, ‚Talentshow’. In diesem Rahmen trat Cady Noland erstmals in Deutschland in Erscheinung und ist Beginn einer intensiven Rezeption ihres Werks, deren bisherigen Höhepunkt – mit zweifelhaftem Effekt auf das Werk – die Frankfurter Schau markiert.
Mit ihrem Coup trennt Susanne Pfeffer die Kunst Cady Nolands erfolgreich von ihrer Geschichte – ausgerechnet im Museum. Das ist zweifach problematisch. Formal betrachtet, mag Nolands Arbeit gut gealtert sein. Thematisch passt es jetzt aber viel zu gut in das gerade auch in Deutschland herrschende Meinungsklima, in dem allzu oft ein vager, anti-amerikanischer Reflex – von besagtem Mann als Herr im Weißen Haus hinreichend gefüttert – die politisch und kulturell umso dringender zu leistende Analyse beeinflusst. Das ist das eine. Zum anderen ist es aus museumsprogrammatischer, institutionspolitischer Sicht ein heikles Statement, dass, damit dieser Coup gelingen konnte, die Sammlung und mit ihr Genealogien, Narrative, ganze Genres und Konzepte weichen musste, durch die Praxis des Kuratorischen ersetzt wurde. Dies nicht als Ergebnis einer kritischen Revision der Institution und ihrer Organe, sondern um Aufmerksamkeit zu generieren – und zugleich ästhetisches Erleben so zu restaurieren, dass es sich gegen Kritik, Diskurs und Geschichte immunisiert in Stellung bringen lässt. Ein Glück, dass der Coup selbst seiner Geschichtlichkeit nicht enthoben ist. Er steht zur Verhandlung frei.