Heft 3/2019 - Netzteil


Als die Maschinen zu sehen begannen

Zur Installation MoMA’s Baby von Mladen Bizumic

Franz Thalmair


Selbstreflexion bereitet Flachbettscannern in der Regel Probleme. Liegt etwas Transparentes oder gar ein Spiegel auf der gläsernen Oberfläche, unter der sich die Beleuchtungs- und Abtasteinheit des Geräts hindurchbewegt, führt dies zu visueller Irritation. Denn das vom Scanner ausgehende Licht, das von dem Objekt reflektiert wird und das der bewegliche Sensor des Scanners Zeile für Zeile zu erfassen versucht, blendet die Maschine bei ihrer systematischen Vermessung des Gegenstands. Die Nabelschau will bei diesem Lichtspiel einfach nicht gelingen.
Bei dieser Störung in der Selbstwahrnehmung – dem Moment, wenn der Prozess der Digitalisierung an der Beschaffenheit seiner analogen Vorlage scheitert – setzt Mladen Bizumic mit der Recherche und der gleichnamigen Installation MoMA’s Baby (2019) an. Mit seinem handelsüblichen, jedoch in die Jahre gekommenen und aufgrund von Schimmelpilz nur noch unsauber arbeitenden Fotoscanner HP Scanjet G4050 hat der Künstler eine Serie von linsenbasierten und dementsprechend als fotografisch zu beurteilenden Werken angefertigt. Bei ALBUM (Ikea Cylinder Scan Day), ALBUM (Ikea Cylinder Scan Night) und ALBUM (Chipped Glass Vase) handelt es sich um drei großformatige Fotodrucke, auf denen die von Bizumic gescannten und während des Digitalisierungsvorgangs zusätzlich bewegten Glasgegenstände zwar bei näherem Blick erkennbar sind, die jedoch gleichzeitig ein hohes Maß an Abstraktion aufweisen. In Analogie zum Scanner, der seinen Zweck nicht mehr ordnungsgemäß erfüllt, sind auch die verwendeten Objekte beschädigt. Das Glas der ursprünglich zylindrischen Vasen, ein ikonisches Wohnaccessoire von Ikea, ist zerbrochen. Abgebildet sind neben- oder übereinander positionierte Scherben, deren Reflexion des Scannerlichts sich als irisierender Schein und prismatischer Farbverlauf am Fotopapier manifestiert. Stehen bei ALBUM (Ikea Cylinder Scan Day) das Spiel aus Licht und Gegenlicht und der aus diesem Spiel resultierende Effekt auf den gescannten Objekten im Vordergrund, so zeigt ALBUM (Ikea Cylinder Scan Night) die Glasplatte des Scanners im Detail. Hier bildet sich buchstäblich Staub ab und Pilzsporen, die mit freiem Auge kaum wahrnehmbar sind, kräuseln sich über die Oberfläche des technologischen Geräts. Das Scannen wird zum mikroskopischen Verfahren, das Digitalisat zum Ergebnis aus diesem Prozess.
Wie die Titel der Werke suggerieren, hat Mladen Bizumic eine der beiden Arbeiten bei Tageslicht aufgenommen, die zweite bei Nacht. Da sich der Deckel des Scanners bei dreidimensionalen Objekten im Unterschied zu flachen Dokumenten wie etwa Fotografien nicht vollständig schließen lässt, dringt Licht in das Gehäuse der Apparatur. Dieser zusätzliche Lichteinfall ist ebenso für das Ergebnis aus dem von Bizumic entwickelten, bildgebenden Verfahren konstitutiv wie die Obsoleszenz des technologischen Geräts. Die Intensität des Lichteinfalls hängt wiederum von der Tageszeit ab, an der der Künstler in seinem Atelier arbeitet.
Weil er eine der Entstehungsbedingungen von MoMA’s Baby ist, taucht auch Bizumics Arbeitsplatz als Teil der Installation auf. Drei Fotografien zeigen unterschiedliche Blicke in das Studio des Künstlers. Blicke in jene Räume, in denen nicht nur die Scans der Werkserie ALBUM entstanden sind, sondern die auch alle Instrumentarien und Werkzeuge beinhalten, die der Künstler zur Anfertigung dieser Werkserie verwendet hat. So lässt sich in den Atelierfotos etwa ein Modell der gesamten Installation finden, genauso wie zerbrochenes Glas, Probedrucke und Fotoapparate oder ältere Arbeiten des Künstlers, die zur Entwicklung der endgültigen Ausstellungssituation beigetragen haben. Was bei den gescannten Glasstücken sichtbar wird, die Apparatur des Scanners nämlich und das technologische System, das sich normalerweise hinter dem Werk verbirgt, äußert sich bei der Arbeit STUDIO (A Conversation with Joan Levin Kirsch) als kunsthistorisch aufgeladener Blick ins Atelier sowie gleichzeitig als selbstreflexives Moment in der fotografischen Produktion.
Der Untertitel dieser Arbeiten A Conversation with Joan Levin Kirsch verweist auf eine weitere visuelle Ebene auf den Fotos, die von einer Recherche Bizumics getragen wird. In die Atelierfotos eingearbeitet sind Auszüge aus einem Interview, das der Künstler mit der Ehepartnerin von Russell Kirsch geführt hat. Russell Kirsch, ehemaliger Ingenieur am US-amerikanischen National Bureau of Standards, hat 1957 den ersten digitalen Bildscanner entwickelt und legte damit den Grundstock für weitere Technologien wie Satellitenbilder, den allerorts verfügbaren Barcode und nicht zuletzt die digitale Fotografie. Des Weiteren in die Bilder der Arbeitsräume integriert sind Reproduktionen des ersten Scans der Technologiegeschichte. Dabei handelt es sich um ein digitalisiertes Foto von Walden Kirsch, dem damals nur wenige Monate alten Sohn von Joan und Russell.
Dass Joan Levin Kirsch eine bedeutende Rolle in den technologischen Entwicklungen ihres Ehepartners Russel Kirsch spielte, ist der visuellen Expertise der Kunsthistorikerin geschuldet, die unter anderem am Museum of Modern Art in New York und am Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington D.C. tätig war. Ausgehend von Stilfragen und anhand des Werks von Richard Diebenkorn, ein dem Abstrakten Expressionismus nahestehender US-amerikanischer Maler, entwickelte das Paar gemeinsam Kompositionsregeln, die heute im algorithmischen Denken allgegenwärtig sind. „Russell ging in unterschiedliche Museen und sagte: ‚Sieh dir an, was du mit Algorithmen machen kannst.‘ Die Museen waren aber nicht interessiert. Er war seiner Zeit weit voraus“, so die heute als Künstlerin aktive Joan Levin Kirsch, die in der Zusammenarbeit mit ihrem Mann versuchte, Technologie innerhalb des Kunstschaffens und der Kultur zu verankern: „Heute wissen wir, dass eine Menge Künstler Algorithmen für ihre Bilder verwenden. Es steht außer Frage, dass Computer den Geschmack und die Vorlieben der Menschen beeinflusst haben. Dafür zeichnet nicht Russell verantwortlich. Das ist einfach passiert. Ob es einem gefällt oder nicht, es ist definitiv wichtig als Kunstphänomen. Als die Ölfarbe entwickelt wurden, was für eine Revolution! Änderungen im Material ändern die Kunst.“1
Mit MoMA’s Baby setzt Mladen Bizumic seine (visuellen) Recherchen über die Bedingungen der Fotografie, über das Fotografische in Zeiten gegenseitiger Durchdringung digitaler und analoger Verhältnisse fort, die er in dem 2018 publizierten Buch Photo Boom Photo Bust an der Firmengeschichte von Kodak festgemacht hat. „Wie Luft und Wassertrinken wird das Digitale nur durch seine Abwesenheit und nicht durch seine Anwesenheit bemerkt werden“, stellte Nicholas Negroponte, Professor am Massachusetts Institute of Technology, bereits vor mehr als 20 Jahren fest: „Computer, wie wir sie heute kennen, werden a) langweilig sein und b) in Dingen verschwinden, die zuallererst etwas anderes sind: smarte Fingernägel, selbstreinigende Hemden, fahrerlose Autos, therapeutische Barbiepuppen […] Computer werden ein umfassender, aber unsichtbarer Teil unseres Alltags sein: Wir werden in ihnen leben, sie tragen, sie sogar essen. […] Begreift es doch – die digitale Revolution ist vorüber.“2
Bizumic setzt mit MoMA’s Baby beim Postdigitalen an, bei jenem Zustand im analog-digitalen Raum, in dem die Wechselwirkung und die Mischung der Erscheinungsformen im Vordergrund stehen. Dass er dabei immer wieder auf historische Momente zurückgreift, um seinen Blick auf das Jetzt zu richten, legt nahe, dass das Moment der Selbstreflexion, das Flachbettscannern Probleme bereitet, im Fall Bizumics die treibende Kraft ist.

 

 

[1] Aus Mladen Bizumics unveröffentlichtem Gespräch mit Joan Levin Kirsch für das Projekt MoMA’s Baby (2019).
[2] Nicholas Negroponte, Beyond Digital, in: Wired, 12. Januar 1998; http://www.wired.com/1998/12/negroponte-55.

Die Installation MoMA’s Baby ist Teil der Ausstellung Uncanny Values – Künstliche Intelligenz & Du, MAK Wien, 29. Mai bis 6. Oktober 2019; http://www.viennabiennale.org/