Heft 3/2019 - Netzteil


Data Science Friction

Der KI-basierte Umweltmanager Asunder (2019) von Tega Brain, Julian Oliver und Bengt Sjölén

Sumugan Sivanesan


Die Frage, wie man dem Klimawandel Herr werden möchte, ist ein polarisierendes Thema. So schlägt etwa die Hightechindustrie vor, Berechnungsmethoden in Bezug auf große Datenmengen zu entwickeln, die ökologischen Parametern den Vorrang geben und so den klimaschädlichen Einfluss des Menschen minimieren. Den Menschen derart „aus dem Bild zu retuschieren“, wie Bradley Cantrell und KollegInnen es nennen, wird gar als objektive, rationale bzw. entpolitisierte Lösung des Umweltproblems angepriesen.
Der KI-basierte „autonome Umweltmanager“ Asunder (2019) stellt nicht diese Annahme einer neutralen Berechnung infrage, sondern auch die ideologische Basis, dass die Umwelt ein System, namentlich ein Ökosystem sei, das überwacht und gesteuert werden könne. Asunder wurde von der Künstlerin und „technischen Exzentrikerin“ Tega Brain (New York), dem Künstler und „kritischen Ingenieur“ Julian Oliver (Berlin) sowie dem Künstler, freien Software- und Hardwaredesigner und Hacker Bengt Sjölén (Stockholm) im Auftrag der Vienna Biennale for Change 2019 entwickelt und ist als Installation erstmals in der Ausstellung Uncanny Values im Wiener MAK zu sehen.
Die Gruppe trainierte ein Machine-Learning-Programm mit Satellitenbildern von ausgewiesenen „Veränderungsregionen“. Dazu zählen Städte wie San Francisco, Wien und Dubai sowie die Arktis oder das Amazonasgebiet, wo bereits eine kritische planetarische Schwelle überschritten wurde. Asunder entwirft in Folge Umweltmanagementpläne für diese Regionen, wobei menschliche Anliegen nicht unbedingt oberste Priorität haben. Das Machine-Learning-System generiert sodann neue Satellitenbilder gemäß dieser Pläne und trifft Vorhersagen, um ihre globalen Auswirkungen über längere Zeiträume hinweg studieren zu können: von Ozeanen bis zu Gletschern, von Trinkwasser bis zu Wäldern.
All das wird in Form eines Videotriptychons präsentiert, bestehend aus den digital aufbereiteten Umweltmodellen und flankiert von Satellitenbildern, die die jüngsten Entwicklungen sowie die von Asunder vorgeschlagenen Eingriffe zeigen. Letztere umfassen begradigte Küstenverläufe, die Verlegung ganzer geografischer Formationen, ja sogar von Städten, was zu gänzlich neuen nationalen Gefügen führt. Die Ergebnisse wirken bisweilen grotesk und würden als Teil eines von Menschen ersonnenen Projekts niemals durchgehen.
Brain, Oliver und Sjölén wenden die gleichen Methoden an wie KlimaforscherInnen und konstruieren damit eine Maschine, die sich fiktive geopolitisch-technische Szenarios „ausdenkt“. Dadurch, dass sie ihren eigens zusammengebauten Minisupercomputer ohne Gehäuse ausstellen, wird unter anderem auf die für die Berechnung von Klimamodellen notwendige hohe Rechenkapazität verwiesen – ein bezeichnender Widerspruch, demzufolge die zum Verständnis der Umwelt benötigte Energie ihrerseits wieder zur Veränderung dieser Umwelt beiträgt.
In einem Essay aus dem Jahr 2018 kritisiert Tega Brain die Motive von Hightechriesen wie Microsoft und Google, die KI in der Klimaforschung und im Umweltmanagement forcieren, nur um davon profitieren zu können. Sie stellt dabei nicht bloß deren Ideologie infrage, laut der die Umwelt ein System sei, was ihre „Innovationen“ pauschal untermauert, sondern überhaupt die Annahme, dass die Wechselwirkung unter verschiedenen Spezies operational darstellbar und somit funktional bzw. optimierbar sei. Und selbst wenn es so wäre, bliebe die Frage offen, für wen optimierbar? Brain postuliert weiter, dass solcherart „numerische Methoden des Umweltmanagement[s] mit ökonomischer Zielsetzung“ etwas wären, was die Ethnografin Anna Tsing 2015 – in Anlehnung an den historischen Zusammenhang von Landwirtschaft und Sklaverei – „Plantagen“ genannt hat. Die Autorin stellt klar, dass Umweltdaten keineswegs objektiv, sondern im Gegenteil von jenen menschlichen Entscheidungen beeinflusst seien, die in die Entwicklung und Implementierung ebenjener Techniken einfließen, mit denen diese Daten gewonnen werden. Kurzum, Umweltdaten seien „zutiefst abhängig von Kultur, Ökonomie, Klasse und ethnischem Hintergrund“. Außerdem sei eine KI, die auf Statistik statt auf wissenschaftlicher Theorie beruhe, anfällig für allerlei Fehler aufseiten ihrer EntwicklerInnen. Die Umwelt durch Computerberechnungen zu managen sei somit keinesfalls neutral und objektiv, sondern im Gegenteil höchst politisch. Die Entwicklung solcher Computersysteme enthebe bloß jene, die sie schaffen, jeglicher Verantwortung.
Die Gewalt, die der Umwelt angetan wird, verstärkt die Ungleichheiten auf der Welt. Wie Rob Nixon 2013 und Françoise Vergès 2017 schreiben, ging sie seit jeher auf Kosten der Schwächsten und wird dies auch unter den gegebenen Umständen weiterhin tun. Pläne wie das Management der Atmosphäre zielen in Wahrheit darauf, das Klima und damit die Lebenschancen von Menschen zu Waren zu machen. Die Entscheidung, wer leben darf und wer sterben muss, oder welche Lebenswelten so gestaltet werden, dass man darin den Klimawandel überleben kann, ist mithin hoch politisch. Letztlich ist also unwahrscheinlich, dass selbst die gigantischsten Datenmengen uns diese Entscheidung werden abnehmen können – noch dazu, wo diese in unserem spätliberalen Zeitalter der Logik wachsender Märkte folgen muss. So beobachtet Brain: „Wird ein Problem bis zum Überdruss ‚erforscht‘, lässt sich der Eindruck nicht vermeiden, dass es zwar bearbeitet, zugleich aber der Status quo einfach aufrechterhalten wird.“
In seinem Buch A Vast Machine (2010) hat Paul Edwards die Entwicklung der Klimaforschung seit ihren Anfängen mit Wetterinformationssystemen, weltweiter Datensammlung, Normierung, Kommunikation und Automatisierung nachgezeichnet. Der nächste Schritt in dieser Entwicklung geht wohl nicht mehr in Richtung Wettervorhersage, sondern Wettersteuerung. In China werden bereits Millionen in sogenannte „Wolkenimpfungen“ zur Herstellung künstlichen Regens investiert (vgl. Josh Ye). Solche Vorstöße lassen vermuten, dass in Zukunft ein unternehmerisch gesteuertes sowie daten- und KI-getriebenes Klima der Motor der Reproduktion des Lebens werden könnte.
Im Sinne der Vienna Biennale, die das Bewusstsein für bereits existierende und neu entstehende Formen der KI zu sensibilisieren versucht, verkörpert Asunder eine umfassende künstlich-intelligente Weltanschauung. Mit ihrem Werk fordern Brain, Oliver und Sjölén, dass (unsere) Maschinen Welten erschaffen sollten, die von uns lernen und nicht umgekehrt.

Literatur
Tega Brain, The Environment is Not a System, in: A Peer Review Journal About Research Values, 7/1, 2018; http://www.aprja.net/the-environment-is-not-a-system/.
Bradley Cantrell/Laura J. Martin/Erle C. Ellis, Designing Autonomy: Opportunities for New Wildness in the Anthropocene, in: Trends in Ecology & Evolution, 32/3, 2017, S. 156–166; http://dx.doi.org/10.1016/j.tree.2016.12.004.
Paul N. Edwards, A Vast Machine: Computer Models, Climate Data, and the Politics of Global Warming. The MIT Press 2010.
Rob Nixon, Slow Violence and the Environmentalism of the Poor. Harvard University Press 2013.
Anna Lowenhaupt Tsing, The Mushroom at the End of the World: On the Possibility of Life in Capitalist Ruins. Princeton University Press 2015.
Françoise Vergès, Racial Capitalocene: Is the Anthropocene racial?, Verso Blog, 30. August 2017; https://www.versobooks.com/blogs/3376-racial-capitalocene.
Josh Ye, China showers 1.15 billion yuan on rainmaking project for parched northwest, in: South China Morning Post, 24. Januar 2017; https://www.scmp.com/news/china/policies-politics/article/2064729/china-showers-y115b-rainmaking-project-parched.

 

Übersetzt von Thomas Raab