Heft 3/2019


Freedom Africa

Editorial


„Freedom is a road seldom travelled by the multitude“, bemerkte der afroamerikanische Schriftsteller und Aktivist Frederick Douglass einmal. Die Freiheit ist ein Weg, der von der Vielzahl der Menschen nur selten beschritten wird. Douglass musste im 19. Jahrhundert, als entflohener Sklave, noch für die Abschaffung eines der unsäglichsten Gewaltregime der Geschichte, dem der Sklaverei, kämpfen. Heute, fast 200 Jahre später, wird zwar kein offensichtlicher, rassistisch motivierter Menschenhandel mehr betrieben. Die Faktoren, die einer effektiven Befreiung vor allem in nicht privilegierten Weltgegenden Lebender entgegenwirken, scheinen jedoch nicht geringer geworden zu sein. Nicht das eine große Gewaltsyndrom (Kolonialismus) verhindert die globale Demokratisierung, sondern viele verteilte und ineinander verzahnte Systeme (Kapital, Klimaveränderung, Grenzregime, Versuche, die weiße Vormachtstellung auf dem Planeten wiederherzustellen, etc.).
Afrika bietet dafür ein komplexes, spannungsreiches Anschauungsfeld. Wobei, und dies sei einschränkend gleich vorweggeschickt, es klarerweise absurd anmutet, Status und Verfasstheit eines gesamten – immensen, zugleich äußerst heterogenen – Kontinents in Augenschein nehmen zu wollen. Dennoch sei hier der Versuch gewagt, diese Absurdität ansatzweise ins Positive zu wenden: anhand verschiedener Einzelaspekte mosaikhaft zu erschließen, wie weit sich das Denken und die Kunst des Kontinents (ausschnitthaft, versteht sich) die letzten Dekaden über in Richtung der von Douglass beschworenen Freiheit bewegt haben; und gleichzeitig zu fragen, was genau einer profunden Befreiung und globalen Gleichstellung immer noch entgegensteht.
Wenn etwa, um ein Beispiel aus dem Kunstfeld zu nehmen, auf der aktuellen Venedig Biennale von insgesamt 87 nationalen Pavillons gerade einmal sieben (!) auf afrikanische Länder fallen, so drückt dies auf krasse Weise jenes strukturelle Ungleichgewicht aus, das in anderen Bereichen noch viel eklatanter ist. Und wenn es inzwischen Staaten gibt (Nigeria etwa), die unter tatkräftiger Hilfe aus China gerade einen wirtschaftlichen Aufschwung erleben, so sagt dies womöglich mehr über neue geopolitische Einflusssphären aus als über eine tatsächliche ökonomische bzw. globalkulturelle Emanzipation.
„Freedom Africa“ also. Damit wollen wir jenes schlaglichtartige Setting benennen, anhand dessen ausgetestet werden soll, wie weit wir – als global sich verstehende, zugleich von vielerlei Hürden blockierte Multitude – aktuell in Richtung einer nennenswerten Befreiung unterwegs sind. Ein paar Anhaltspunkte sollen helfen, dieses Unterwegssein großflächig abzustecken: So rückt mit dem Entstehen (und der versuchten Unterbindung) neuer Migrationsrouten unweigerlich auch eine stärkere geopolitische – und nicht bloß „developmentale“ –Einbindung des Kontinents in den Blick. Die gegenwärtige Katastrophe in lybischen Auffanglagern bzw. vor der lybischen Küste ist dabei nur ein Symptom von vielen. Wie auf diese Symptome bzw. Ausgangslagen reagieren, wenn die Klimakrise weitere Millionen Menschen in die Flucht treibt?
Achille Mbembe, Autor mehrerer exzellenter Postkolonialismusstudien, stellt eine einfache Frage: Was hindert uns eigentlich daran, uns eine Afrika miteinschließende, weitgehend grenzenlose Welt vorzustellen? Eine Welt, in der Mobilität nicht mehr von der simplen diskriminierenden Unterteilung in privilegiert (Reiche) und nichtprivilegiert (arme „Wirtschaftsflüchtlinge“) geregelt ist. Mbembes Antworten sind vielsagend und führen frappierende Beispiele gegen eine solche Grenzfixierung ins Treffen – entgegen der immer noch weithin vorherrschenden negativen Stereotypisierung des Kontinents als endloses Rohstoffreservoir, billiger Absatzmarkt oder vornehmlicher Produzent von „human waste“.
Diesen langsam seinen Griff lockernden, aber beileibe noch nicht überwundenen „Afropessimismus“ nimmt ein anderer Beitrag scharfsinnig in den Fokus. Okwui Enwezor, im März 2019 verstorbener Ausstellungsmacher und Theoretiker, hat wie kaum ein anderer sein Lebenswerk in den Dienst einer Unschädlichmachung ebendieses Afropessimismus gestellt. Mit dem hier abgedruckten Text (aus dem Kontext einer Ausstellung afrikanischer Fotografie im Jahr 2006) wollen wir nicht nur die eminente Arbeit dieses vielleicht wichtigsten Kurators des frühen 21. Jahrhunderts würdigen, sondern auch aufzeigen, welch unübergehbare, auf lange Zeit gültige Setzungen Enwezor im Feld der Gegenwartskunst vorgenommen hat.
Ganz im Sinne Enwezors (und Mbembes) versuchen Diskurse über Dekolonialität seit Längerem, das Bild des Kontinents (sofern sich hier, noch einmal, überhaupt ein einheitliches Gebilde behaupten lässt) zurechtzurücken und mit einem zeitgemäßen „Afrorealismus“ zu konterkarieren. Elizabeth W. Giorgis, Direktorin des Gebre Kristos Desta Center in Addis Abeba, berichtet im Gespräch mit Anette Baldauf von den speziellen Hindernissen – und positiven Ausblicken – ihrer ausstellerischen Praxis. Und die Philosophin Séverine Kodjo-Grandvaux rekapituliert, nicht wie man neu über Afrika denken kann, sondern wie sich mittels Ansätzen afrikanischer Philosophie ein adäquateres global-ökologisches Verständnis erlangen lässt.
Auch Versuche, die multiplen Kunstpraktiken aus unterschiedlichsten afrikanischen Regionen einem größeren Publikum näherzubringen, spielen in diesem Zusammenhang eine gewichtige Rolle. Die hier enthaltenen Beispiele, etwa der FotografInnen Zanele Muholi (Südafrika) und Ananias Léki Dago (Elfenbeinküste), weisen paradigmatisch darauf hin, wie sich die immer noch vorherrschenden Denkmuster und Bildregime in Sachen „Afrika“ aus ihren traditionellen Verhärtungen herauslösen lassen. Sowohl Ansätze einer „afrotopischen“ Kunst als auch kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichte des kolonialen Blicks (bei Belinda Kazeem-Kamiński) bilden dabei wichtige Eckpfeiler. Gemeinsam stecken sie den Weg eines Befreiungsdiskurses ab, der vielleicht einmal von mehr als nur ein paar wenigen beschritten wird.