Nora Sternfeld ist Mitbegründerin des Vermittlerinnenkollektivs trafo.K und verbindet in ihrem jüngsten Buch politische Theorie mit Ansätzen der New Museology und der Kunstvermittlung. Ihr Ziel ist es dabei, „die musealen Aufgaben radikaldemokratisch zu aktualisieren bzw. neu zu definieren“. Die 13 kurzen Kapitel, die zwischen 2012 und 2018 als Essays entstanden sind, fokussieren vier wesentliche Strategien: alternative Wissensproduktion, Radikalisierung von Bildungs- und Vermittlungskonzepten, Aneignung von Raum und eine Infragestellung des musealen Archivs. Sternfeld präsentiert dabei weniger eine allein theoretische Neudefinition des Museums, sondern schöpft – ausgehend von „Situationen“ – aus der Praxis.
Die Autorin stellt zwei parallel verlaufende Entwicklungen an den Anfang ihres Vorhabens, das als „praxeologischer“ Guide und zugleich als Zukunftsvision der Institution Museum verstanden werden kann. Einerseits steht da dessen zunehmende Neoliberalisierung als partizipativer, diskursiver und möglichst innovativer Begegnungsort, der sich durch Inklusion und Diversität auszuzeichnen hat. Demnach ist das Museum keineswegs außerhalb der Wissens- und Bewertungsgesellschaft angesiedelt, sondern gliedert sich in diese ein. Andererseits diagnostiziert die Autorin unter Zuhilfenahme der Schriften von Colin Crouch und Jacques Rancière, dass sich die liberale Demokratie zu einer Postdemokratie entwickelt hat, die sich durch den kontinuierlichen Rückzug des genuin Politischen und das Erstarken einer Politik der Verwaltung auszeichnet. Diese „polizeiliche“ Logik, wie es bei Rancière heißt, zeige sich in einer „Übereinstimmung zwischen den Formen des Staats und dem Zustand der gesellschaftlichen Verhältnisse“1.
Es wird deutlich, dass es hier nicht nur um das westliche Museum oder die Demokratie geht. Vielmehr fragt die Autorin nach einer Zukunft des Museums, um sich „der Konfliktualität eines solchen Raumes für Versammlung und Auseinandersetzung zu stellen“. In ihrer Rezeption radikaldemokratischer Theorien hebt Sternfeld die Notwendigkeit einer Transformation des Bestehenden und Strategien, die eine Politik der Verwaltung durchkreuzen, hervor. Sie bezieht sich dabei auf Chantal Mouffe und Ernesto Laclau sowie Oliver Marchart, der von einer gegenhegemonialen „Demokratisierung von Demokratie“ spricht. Wie Letzterer argumentiert Sternfeld nicht für die Schaffung neuer Institutionen, sondern fragt, welchen Beitrag die Kunstvermittlung als gegenhegemoniale Praxis innerhalb der bestehenden Institution Museum leisten kann.
Dazu wäre anzumerken, dass das Museum unter den Kunstinstitutionen lange nicht mehr die alleine maßgebliche Instanz von Wissensproduktion ist. Das Feld hat sich etwa hin zu Theater- und Performanceinstitutionen oder autonomen Kunstplattformen (beispielsweise das auch im Buch besprochene SAVVY Contemporary in Berlin) ausgeweitet. Die kuratorischen Konzepte dieser Institutionen sind weitestgehend feministisch, postkolonial und antirassistisch und haben das Potenzial, auf die Institution Museum zurückzuwirken. Sternfelds Verdienst ist es dennoch, die Möglichkeiten des Museums zu befragen und dabei konkrete Bewertungsmaßstäbe und Transformationspotenziale aufzuzeigen.
Vor dem Hintergrund von Dekolonialisierung einerseits und politisch-ökonomischen Bedrängnissen andererseits ist das Museum zwingendermaßen zum Versammlungsraum, zur Kontaktzone und zur Plattform geworden. Diesen Begriffen, die sich eher in Komplizenschaft als in einem Distanzverhältnis zu vorherrschenden Ordnungen befinden, stellt die Autorin die Idee des „Para-Museums“ entgegen. Als verwirklichte radikaldemokratische Museumspraxis ist das „Para-Museum“ innerhalb der Institution angesiedelt. Für Sternfeld ist hier der Bereich der Vermittlung – als potenziell „para-sitäre“ Praxis – ein zentraler Motor in der Transformation und Dekolonialisierung des Museums.
Abseits der im Buch besprochenen kuratorisch-museologischen Diskurse stellt sich die Frage nach dem Einfluss künstlerischer Arbeiten auf Sternfelds „Para-Museum“. Eine ausführlichere Genealogie radikaldemokratischer und transversaler Praktiken wäre stellenweise hilfreich, um ihren Ansatz gegenüber den Vorstößen künstlerisch-aktivistischer Kollektive und institutionskritischen Praktiken seit den 1960er-Jahren klarer abgrenzen zu können. Gerade im Zusammenhang mit dem Begriff „Para-Museum“ und der von der Autorin vertretenen Radikalisierung von Bildungs- und Vermittlungskonzepten müsste auch die wachsende Zahl an künstlerischen Bildungsprojekten in der Gegenwartskunst als Kontrastfolie dienen, um deutlicher die spezifischen Potenziale der Vermittlung in Abgrenzung zu künstlerischer Arbeit darzulegen (beispielsweise im Vergleich zu den Arbeiten Tania Brugueras oder der von Ahmet Öğüt 2012 initiierten Silent University, einer Wissensaustausch-Plattform für Geflüchtete und Asylsuchende). Zu fragen wäre, ob die Notwendigkeit einer Transformation des Museums in der künstlerischen Praxis nicht längst (wieder-)entdeckt wurde und das „Para-Museum“ bereits stellenweise im Zentrum der Institution Museum angelangt ist.
1 Jacques Rancière, Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, 1995. Aus dem Französischen von Richard Steurer. Frankfurt am Main 2002, S. 111.