Heft 3/2019 - Lektüre
„Wie viele Denkmäler braucht ein Land?“, fragt der Historiker Robert Streibel in seinem Beitrag zur Publikation ERINNERN. Immerhin sind es bereits rund 40 Projekte, Denkmäler, Installationen etc., die die beiden Herausgeberinnen, Katharina Blaas-Pratscher und Cornelia Offergeld, in der Rückschau auf 30 Jahre Erinnerungsarbeit dokumentieren.
Streibel, der selbst Gedenkaktionen realisierte und Herausgeber zahlreicher Publikationen zu Widerstand und Exil in der NS-Zeit ist, hat sich in einer Typologie der Auseinandersetzungen versucht: „Fast ein Viertel der Projekte (23%) ist der jüdischen Geschichte und den Opfern der Schoah zuzuordnen [...] Rund 20% setzen ein Zeichen der Erinnerung an die Gräuel des Nationalsozialismus, den entfesselten Krieg und seine Folgen sowie an einzelne Opfergruppen. [...] Die Auseinandersetzung mit der Geschichte für aktuelle Themen nutzbar zu machen bzw. auch die Frage des Falls des Eisernen Vorhangs zu thematisieren, kann für 17% der Projekte in Anspruch genommen werden.“
Mit seinem Schluss, dass wesentliche Opfergruppen („wie die Roma und Sinti, die Schwulen und Lesben sowie die Opfer der Euthanasie und auch die sogenannten ‚fremdvölkischen Arbeitskräfte‘, die praktisch in jedem Ort eingesetzt wurden“) noch fehlen, eröffnet er am Ende der Publikation einen Ausblick auf die Fortsetzung des Projekts, das 1995 in Erlauf den Anfang nahm: 1945 haben sich dort in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai ein sowjetischer und ein US-amerikanischer General getroffen und das Ende des Zweiten Weltkriegs gefeiert. Ernst Brod, ein ehemaliger jüdischer Bürger von Erlauf, erfuhr davon und gab den Anstoß für ein Ost-West-Friedensdenkmal, mit dem man die US-amerikanische Künstlerin Jenny Holzer und den russischen Künstler Oleg Komov beauftragte: Während Holzers Lichtkegel dem westlichen Kunstkontext entsprechend eher minimalistisch ausfiel, stellte Komov das Zusammentreffen der Generäle im Stil des sozialistischen Realismus dar.
Im Rahmen des zweiteiligen, von Hedwig Saxenhuber kuratierten Projekts Erlauf erinnert sich ... (2000/02) haben sowohl Roman Ondák als auch Milica Tomić auf die idealisierte Skulpturengruppe reagiert: Tomić hat BürgerInnen der Stadt eingeladen, sich an der Stelle des Kindes zu platzieren, das bei Komov die Generäle verband, und Roman Ondak konterkarierte mit dem einfachen Schriftzug „Das dritte Denkmal“ die pathosbeladene Formensprache.
Um die Macht totalitärer Ästhetiken wissend wurde von den KünstlerInnen nach 1995 verstärkt auf Partizipation und eine das Fragmentarische unseres Blicks auf die Geschichte betonende Formensprache gesetzt: Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit von Peter Kozek, der sein Mahnmal Widerstäbe/Counterpoles allen Opfern des Nationalsozialismus in Baden gewidmet hat. Auf einer Fläche von 1.300 Quadratmetern hat er 36 schwarz-weiß lackierte Stäbe schräg im Boden verankert, die wahllos verteilt wirken – könnte man sie jedoch in ihrer Gesamtheit sehen, würde ihre fiktive Verlängerung die Eckpunkte eines in zwölf Dreiecke unterteilten Davidsterns ergeben, der zur Synagoge in Baden hin ausgerichtet ist.
Ricarda Denzer hat den Totalitätsanspruch des Panoramablicks ebenfalls thematisiert: In Allentsteig, wo die Bevölkerung 1938 einem Truppenübungsplatz weichen musste, hat sie ein über 18 Meter hohes Periskop installiert. Durch eine spezielle Konstruktion wird der Rundumblick auf die Landschaft jedoch durch Wörter wie „Weltanschauung“ oder „Luftraum“ irritiert.
In der Aneinanderreihung machen die versammelten Projekte eindrücklich sichtbar, wie stark sich die nationalsozialistische Herrschaft in die niederösterreichische Landschaft eingeschrieben hat: Anna Artaker hat etwa mit Glaspanelen das Areal in St. Pölten markiert, das einst ein jüdischer Friedhof war. Auf den Scheiben stehen in ihrem Entwurf die Namen der dort vor 1938 Bestatteten, und auch Hans Kupelwieser hat die Namen der in Krems vertriebenen, deportierten und ermordeten Juden aus einem Stahlband herausgeschnitten. Sein 48 Meter langes Band liegt auf dem jüdischen Friedhof in Krems, während Norbert Maringer mit zwölf schlichten Glaselementen im Schulpark von Amstetten der dort ermordeten Juden gedenkt.
„Die neuen Mahnmale“, schreibt Cornelia Offergeld, „sind keine ausgelagerten kollektiven Speicher mehr, die den Menschen das Trauern und Gedenken abnehmen, sondern fordern Denkprozesse heraus.“ Beispielhaft dafür nennt sie die Arbeiten von Catrin Bolt oder Tatiana Lecomte, die durch „kommunikatives Handeln aktiv in die Erinnerungslandschaften“ eingreifen: Im Falle von Catrin Bolt sind es fünf Orientierungstafeln, die SpaziergängerInnen wissen lassen, dass sie sich gerade auf dem ehemaligen Gelände von zwei Zwangsarbeitslagern in St. Pölten-Viehhofen bewegen. Tatiana Lecomte hat über 20.000 BewohnerInnen von St. Pölten eine Postkarte geschickt: „Ich bin gesund, es geht mir gut“, stand auf der Rückseite in Anlehnung an den Satz, der Lagerinsassen vorgeschrieben war. Die Vorderseite zeigt eine idyllische Landschaft, die Schauplatz von nationalsozialistischen Verbrechen war.
Dass man die gegenwärtigen Probleme nicht vergisst, wird von allen drei AutorInnen (Robert Streibel, Aleida Assmann und Cornelia Offergeld) eingefordert, die dem offiziellen Erinnern in Österreich kein gutes Zeugnis ausstellen. Erst zuletzt kam – damit durchaus zusammenhängend – ans Licht, dass Burschenschaftler in Niederösterreich noch immer die antisemitischen Lieder der Nazis singen. Es ist bekanntlich nur einer von vielen Fällen, der die künstlerischen Korrekturen und Ergänzungen des österreichischen Geschichtsbilds so unfassbar wichtig macht.