Heft 3/2019 - Freedom Africa


Linda Bilda 1963–2019

Ariane Müller


Linda Bilda, geboren 1963 als Linda Czapka war bildende Künstlerin und Gründerin der Zeitschrift Artfan, Die weisse Blatt, der Schaufenstergalerie in der Bäckerstrasse und des Art-Club. Sie war Mitglied der Secession und gründete die Firma Light Glass, basierend auf einem von ihr entwickelten Patent.
Linda Bilda, über die jetzt ein – dieser – Nachruf zu schreiben ist, etwas, das, wie wahrscheinlich jeder
Nachruf, nahezu unmöglich ist, war eine Wiener Künstlerin. Wenn man ihr Atelier in der Wiener Zacherlfabrik nun betreten würde, fände man dort Bilder von ihr und wahrscheinlich auch noch einige, die aus den frühen 1980er-Jahren stammen mögen. Das wäre gut möglich, denn Linda war bereits mit 19 Jahren, als ich sie kennenlernte, Malerin und arbeitete in ihrem Atelier, damals in einem der wenigen jemals in Wien besetzten Häuser. Man könnte diese Bilder nun von dort nehmen, und man könnte daraus eine Überblicksausstellung zusammenstellen, eine Retrospektive. Das wäre eine Ausstellung mit außergewöhnlicher und sehr konzentrierter Malerei, die durch all die Jahre hindurch einen Strich und eine zeichnerische Linie behaupten würde. Man würde, wenn man diese Ausstellung verlassen hätte, Bilder von Linda Bilda wiedererkennen, und wenn man in der Wohnung eines Fremden oder bei FreundInnen auf eines stoßen würde, was in Wien durchaus passieren könnte, würde man innehalten und wissen, dass man eine Arbeit von Linda Bilda vor sich hätte. Und mit jedem weiteren Bild, das man sehen
würde, würde sich etwas zusammensetzen, das man ihr Thema nennen könnte.
Ich schreibe hier über ihre Bilder, weil ich weiß, dass sie für sie eine der absoluten Drehpunkte ihres Lebens waren, sonst hätte sie sich ja damals, mit 20 Jahren, kaum so genannt – Bilda. Dass die Malerei ganz zu Anfang des Texts steht, ist möglicherweise einer wenig eindrucksvollen Nicht-Beschäftigung
von mir, während sie lebte, mit ebenjenem Aspekt in ihrem Leben geschuldet. Sie waren eben als Teil
von ihr immer da, und sie waren auch immer verfügbar, zum Beispiel, wenn wir ein Bild brauchten, um es mir über den Kopf zu ziehen, in einer Performance, in der wir unsere Zusammenarbeit thematisierten, oder wenn wir ad hoc für einen Tag einen Dachboden als Bibliothek der Artfan-Redaktion einrichten mussten, der Zeitschrift, die wir zwischen 1991 und 1995 herausgaben.
Was aber diese geringe Beachtung von meiner Seite möglicherweise erklärt, ist, dass das, was Linda
tat, in einem weit größeren Ausmaß ein künstlerisches Werk darstellte, in dem denn ihre Bilder nur ein Teil waren und möglicherweise der, bei dem es mir, damals, am wenigsten ungewiss erschien, wohin ihre fragende Neugierde sie eben trieb.
Es waren wahrscheinlich zwei grundsätzliche Begegnungen, die etwas, das in ihr bereits existierte, produktiv machten, und das war ihr Leben in Neapel, wohin sie 1985 mit ihrem damals noch sehr kleinen
Sohn Felix zog, und zwei Jahre darauf die Begegnung mit der Situationistischen Internationalen, zunächst in Gestalt eines kleinen zerfledderten Buchs. Den damals völlig vergriffenen Rapport zur Konstruktion von Situationen bekam sie von einem Flüchtling aus Palästina auf seinem Weg nach Berlin in einer Bar. Aus Neapel schrieb sie mir: Die Leute hassen Autorität und sind wirkliche Anarchisten. Aber mehr noch, erscheint mir heute, nahm sie jene spezifische Form auf, sich zu spielen, um zu überleben; das Fare una bella figura und eine im Jetzt gelebte Anwesenheit, in der man aus seiner Tätigkeit mehr Energie bezieht, als sie einem kostet, und die sie in Anlehnung an das Arbeitet nie! des Mai 68 in vielen ihrer Arbeiten thematisierte.
Der Rapport wiederum war das theoretische Konzept von etwas, das ihr irgendwie wesentlich war: die Aufhebung der Kunst in das tägliche Leben. Die Aufhebung, nicht die Abschaffung, aber dafür musste zunächst im täglichen Leben ein experimenteller Ausgangspunkt geschaffen werden, und es gab
wahrscheinlich in der Geschichte der SI niemanden neben Linda, der die Aufforderung zur Konstruktion
von Situationen so wörtlich nahm.
Die Herstellung von poetischen Situationen, auf die von außen situativ reagiert werden musste, bestand
unter anderem in der nächtlichen Ausgestaltung ganzer Straßen in einer Farbe, dem Entzünden von Feuer in Öltonnen, die über die ganze Stadt verteilt wurden, dem Deponieren von Schweinsbraten mit Knödel auf Tellern mit Goldrand, Besteck und Serviette in der Wiener Innenstadt, dem Auskippen eines Bergs von kleinen Münzen auf der Mariahilfer Straße und dem Verschütten von literweise Parfum in der Wiener Oper. Für die so gegründete neue Situationistische Internationale wurde mit der Zentrale des Roten Kreuzes in der Wiedner Hauptstraße ein Ort gefunden und ein Vertrag ausgehandelt, der uns das Haus für einige Monate überließ. Wir zeigten dort Filme von Ernst Schmidt Jr., dem Wiener Filmschaffenden, mit dem sie sehr befreundet war und für den sie 2001 in der Wiener Secession eine Retrospektive zusammenstellte.
Zu Beginn der 1990er-Jahre verschob sich das Kunstfeld durch den Zusammenbruch des Markts so
schnell, dass plötzlich in der Kunst marginale Themen wie Homosexualität, Feminismus, Arbeitsverhältnisse, Stadt und Ökonomie eine Oberfläche bekamen und zu künstlerischen Diskursen wurden. Aus der Aufmerksamkeit für diese Themen entstand ein internationales Netzwerk, in der die von Linda und mir gegründete Zeitschrift Artfan einen Platz hatte.
Und diese Arbeit wurde wahrscheinlich in Köln und Berlin mehr wahrgenommen als in Wien, wo wir noch
1993 auf das Ansuchen um Förderung eines von Linda konzipierten Hefts zum Krieg in Jugoslawien die
Antwort erhielten: Der Krieg in Jugoslawien ist kein Thema in der bildenden Kunst. Diese Verschiebung
resultierte aber auch darin, dass das, was vorher außerhalb der Kunst gedacht werden musste, all die situativen, öffentlichen und performativen Ansätze, plötzlich auch im Kunstfeld eine Relevanz bekam und
dass eine Verbindung von künstlerischer Praxis und politischen Themen, so selbstverständlich das heute klingt, plötzlich auch in einem Kunstbegriff denkbar war.
Linda Bilda entdeckte, aus der Tradition der Situationistischen Internationale und zugleich auch aus der südeuropäischen Bildtradition, den Comic für sich und gab ihre Analysen, die sich um feministische
Themen und Auseinandersetzungen mit dem Arbeits- und Leistungsbegriff drehten und die Utopien der
Leidenschaftlichkeit darstellten, in einfach vervielfältigten Heften meist selbst heraus. Mit der Ausnahme
ihrer Zusammenarbeit mit Silvia Eiblmayr gab es dafür in Österreich im institutionellen Bereich keine
Einladungen, aber anderswo wurden ihre Arbeiten gezeigt, zum Beispiel von Ute Meta Bauer, Alice Creischer und Veronique Bourgoin.
Dann starb sie plötzlich und viel zu früh mit 56 Jahren. Jene Retrospektive, die in diesem Text mit ihren
Bildern beginnt, wird eine*n aufmerksame*n Ausstellungsmacher*in benötigen, um all die Facetten, die Linda Bildas künstlerisches Werk ausmachen, abzubilden. Darin sind sicherlich einige, für die sie bereits die Fäden gelegt hat und die wir erst in einiger Zeit als Leitfäden werden erkennen können. So jedenfalls kannte ich sie.