Wien. Really! Der affirmative Ausstellungstitel in Form einer Interjektion lässt Tatsächlichkeit oder gar Wahrhaftigkeit erwarten – das Gegenteil ist in Dorit Margreiters Personale, die sich über zwei Ebenen des mumok erstreckt, der Fall. Auf verbaler Ebene wird hier bereits jener Prozess geschickt unterlaufener Erwartungen vollzogen, der bestimmend für die Arbeitsweise der Künstlerin ist: Kontinuierlich werden darin Bedingungen visueller Wahrnehmung, Repräsentation und Rezeption sowie die Verortung des betrachtenden Subjekts (selbst-)reflexiv befragt.
In diesem Sinne programmatisch für die von Matthias Michalka in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin kuratierte Ausstellung ist die eigens für das mumok entstandene Videoinstallation Mirror Maze (2019), die als Doppelprojektion das Zentrum des ersten Ausstellungsraums einnimmt. Mit einer Standkamera im Spiegelkabinett Calypso – errichtet in den 1950er-Jahren im Wiener Prater – gefilmt, adressiert Dorit Margreiter hier Funktionsweisen visueller Wahrnehmung beziehungsweise deren absichtliches Außerkraftsetzen durch eine labyrinthische Architektur aus Glas und Spiegeln, die, gleich einer zum Spektakel transformierten Lacan’schen Versuchsanordnung, zusätzlich von außen einsehbar ist. Zwei rätselhaft entkörperlichte Protagonistinnen tauchen im Film auf und verschwinden wieder, gleichzeitig wird die Materialität des Kabinetts aus Glas, Spiegeln und Sperrholz in Primärfarben offengelegt. Den Betrachtenden verwehrt Mirror Maze somit jegliche Verortung und Orientierung. Dieses Moment überträgt die Künstlerin auf den installativ angelegten Ausstellungsraum, in dem sie einen durch Stellwände verrätselten, gleichsam zum Labyrinth verkomplizierten Parcours ohne Richtung und Wegführung entwirft. In ständiger Bewegung begriffene, präzise platzierte und mit boulevard (2019) betitelte Mobiles aus transparenten und spiegelnden Oberflächen werfen das Tageslicht in den Raum zurück, Projektionen von Margreiters Filmarbeiten reflektieren sich in Fotografien wie Mountain View, Menlo Park oder Cupertino aus der Serie „Silicon Valley“ (2019), die an die Grenzen des Konkreten fragmentierte Glasoberflächen ins Bild setzen. Diese maximale Dekontextualisierung setzt sich fort, wenn von Frank Lloyd Wright entworfene Textile Blocks (2019) vom modularen architektonischen Versatzstück zum singulären skulpturalen Subjekt erhoben werden oder in Bearing Masonry. Concrete Block (1923) die Materialität von Beton durch die mediale Transformation in Fotografie (2014–19) oder Bronze (2015) analysiert wird. Ein ähnlicher Prozess vollzieht sich auch in den Filmen Margreiters: Im Fokus von Pavilion – für die Biennale di Venezia 2009 entstanden – steht der 1934 nach Plänen von Josef Hoffmann und Robert Kramreiter in den Giardini errichtete Österreichische Pavillon, den Margreiter als Ausstellungsort zwischen Kulissenhaftigkeit und architektonischer Autonomie untersucht.
Als Coda der Ausstellung kann der Raum auf der dritten Ebene des mumok aufgefasst werden, der sich der Dialektik von Licht und Opazität sowie der Vergänglichkeit modernistischer Architektur widmet. Die im Zuge einer Residency in Leipzig entstandenen Arbeiten mit dem Titel zentrum nehmen ihren Ausgangspunkt im 1963 errichteten spätmodernistischen Brühlzentrum, insbesondere in der auf der Fassade angebrachten Leuchtschrift. Aus der Typografie dieses Schriftzugs, der im Schwarz-Weiß-Film zentrum zu sehen ist, entwickelt Dorit Margreiter das Alphabet der Type in zentrum (typography) (beide 2006) und aus deren opaken Einzelteilen schließlich das Mobile zentrum (lynne) (2011), in dem sich durch Bewegung wieder die Buchstaben des Brühlzentrum-Schriftzugs ergeben können und im nächsten Moment sogleich in die Abstraktion auflösen. Margreiter, die selbst auch im Feld des Grafikdesigns tätig ist, setzt ihre Beschäftigung mit Leuchtschriften und ihrem spezifischen Verhältnis zur Architektur in dem eigens für die Ausstellung entstandenen Film Boulevard (2019) fort. Zu sehen sind hier die im Neon Museum in Las Vegas aufgenommenen Überreste demontierter Leuchtschriften. Wiederholt nimmt die Künstlerin in ihren Arbeiten Bezug auf Denise Scott Browns, Steven Izenours und Robert Venturis Workshop und anschließende Publikation Learning from Las Vegas (1972). Die darin untersuchte „Non-City“ Las Vegas steht prototypisch für eine längst von Zeichen und Symbolen dominierte und kommerzialisierte Architektur des Vernakulären.
Eine Besonderheit stellt der von Dorit Margreiter konzipierte und von Nina Ober gestaltete Katalog zur Ausstellung dar: Als bibliophile Metaebene in zehn Bänden wäre die Publikation als autonomes Werk am besten in der Ausstellung selbst verortet gewesen – oder auch als Leitsystem durch die Ausstellung, da die hervorragenden Essays mögliche Wege durch das komplexe Geflecht an Relationen und Bezügen, das Margreiter in ihren Arbeiten entwirft, eröffnen.
Really! vermag man nach Besuch der Ausstellung nicht mehr mit Sicherheit zu behaupten – und ist geneigt, das Exklamationszeichen im Titel durch ein Fragezeichen zu ersetzen. Dann hätten Dorit Margreiters Arbeiten die in ihnen angelegte, höchst produktive Verunsicherung der Betrachtenden schließlich erreicht.