Heft 3/2019 - Artscribe


Dance of Urgency

25. April 2019 bis 1. September 2019
frei_raum Q21 / Wien

Text: Bettina Brunner


Wien. „If I can’t dance, I don’t want to be part of your revolution“, zitiert der in Israel lebende, palästinensische DJ Ayed Fadel in Jan Beddegenoodts’ Porträtfilm Ayed (2018) jene berühmte, wenn auch unbestätigte Aussage der 1940 verstorbenen Anarchistin Emma Goldman. Die Ausstellung Dance of Urgency, die auf mehrjährige Recherchen des Künstlers und Kurators Bogomir Doringer über aktuelle Tanzkulturen zurückgreift, rückte jenen politischen Aspekt des Tanzens in den Vordergrund, der bei Goldman anklingt. Dance of Urgency positionierte Tanz an der Schnittstelle zwischen individueller Ausdrucksform und Massenphänomen und verortete diesen historisch im Kontext alternativer Formen von Gemeinschaftlichkeit. Das Interesse des Kurators lag vor allem auf der elektronischen Musik- und Clubszene und daran geknüpften Subkulturen, die bis in die 1990er-Jahre zurückgeführt wurden.
So befasste sich Ari Versluis in seiner Videoarbeit Dark Corners (2018) mit den Gabbers, einer musikalischen Undergroundszene mit Ursprung im Rotterdam der 1990er-Jahre, die nicht nur eine spezifische Form des Hardcore-Technos verfolgte, sondern auch einen entsprechenden Look entwickelte. Dark Corners zeigte zumeist junge Männer mit bloßem Oberkörper und kahlgeschorenem Kopf, deren sich in Trance tanzende Körper – akustisch untermalt von aggressiven Technobeats – zugleich faszinierend wie verstörend wirkten. Ging es in Versluis’ Arbeit um Tanzen als singuläre Befreiung aus den Zwängen des Alltags, so rückte Beddegenoodts Reihe von Filmporträts das politisch-emanzipatorische Potenzial einer als Kollektiv tanzenden Masse in den Vordergrund. Neben Ayed war auch die Dokumentation Naja (2018) zu sehen, die die georgische DJ Naja Orashvili zu Wort kommen ließ. Als Mitbegründerin des Clubs BASSIANI in Tbilisi beschreibt sie die im Mai 2018 stattfindende, politisch motivierte Polizeirazzia des Clubs sowie den darauffolgenden Protest-Rave im öffentlichen Raum. Der Videoessay The Politics of Ecstasy (2019) von Chiara Baldini und Rafael Kozdron, eine der herausragendsten Arbeiten der Ausstellung, verschränkte gekonnt eine Erzählung über die Unterdrückung dionysischer Praktiken in der römischen Antike mit der erotischen Subversivität aktueller Ravekulturen. „Bacchus or the Raver, a newly born, extremely attractive god“, verkündete das Voiceover.
Die Ausstellung zeichnete sich durch ihre globale Perspektive aus und machte in ihrem Fokus auf Tanzen als Protestkultur ein soziales Moment sichtbar, das zweifellos aktuelle Relevanz besitzt – man denke etwa hierzulande an jüngste politische Demonstrationen, die den 1990er-Jahre Eurodance-Track We’re going to Ibiza! wiederaufleben ließen. Die Stärke von Dance of Urgency lag in diesem Sinne auch im soziologischen und kulturhistorischen Aspekt. Unklar war die Ausstellung jedoch darin, wie genau das Verhältnis zwischen politisierten Tanzkulturen und deren Präsenz in künstlerischen Praktiken zu verstehen wäre. Die gezeigten Arbeiten waren zumeist dokumentarisch ausgerichtet, so etwa die Filmporträts Beddegenoodts’ oder auch Yarema Malashchuks und Roman Himeys Videoarbeit Documenting Cxema (2019) über die ukrainische Cxema-Raveparty und deren jugendliche TeilnehmerInnen. Found-Footage-Material stand im Zentrum von Dan Halters Untitled (Zimbabwean Queen of the Rave) (2005), der Archivfunde zum afrikanischen Protesttanz Toyi-Toyi mit dem 1990er-Jahre Hit Everybody’s Free (To Feel Good), dessen Sängerin Rozalla aus Simbabwe stammt, zusammenführte. Auch die Videoarbeit Underground Resistance (2019) von Mitgliedern des gleichnamigen Musikkollektivs aus Detroit bestand aus einer Found-Footage-Montage. Handelte es sich dabei um Bildmaterial zur politisierten Geschichte afroamerikanischer Musikkulturen in den USA, so vermittelte die mit Musik hinterlegte digitale Slideshow eine kulturhistorische Perspektive und konnte kaum als künstlerische Arbeit verstanden werden. Zeigte Dance of Urgency dann auch Derek Sivers YouTube-Video First Follower: Leadership Lessons from a Dancing Guy (2010), warf dies die Frage auf, ob es vielleicht gerade darum gehen sollte, über die Grenzen künstlerischer Praktiken hinaus, zeitgenössische Tanzkulturen im Hinblick auf deren Öffentlichkeit und mediale Präsenz per se mit in den Blick zu nehmen. Dies stand jedoch im Widerspruch zu jenen Werken, die am Ende der Ausstellung zu sehen waren und in völlig verschiedene Richtungen wiesen. So war neben den konzeptuell anmutenden Tanznotionen in Damien Jalets Les Médusées/Volk Score and Pattern (2013–18) auch Shohei Fujimotos Laserinstallation Power of One #Surface (2016) zu sehen, die auf synchronisierte Bewegungen ähnlich jener von tanzenden Körpern verweisen sollte. The Natural Evolution of the Dance Temple (2019) zeigte hingegen Miniaturmodelle des Architekten Francesco Pusterlas, der die ephemere Zeltstruktur des Musikfestivals BOOM in Portugal aus der Vogelperspektive festhielt.
Auch wenn es Dance of Urgency an konzeptueller Schärfe mangelte und der angestrebte interdisziplinäre Ansatz einer stärkeren Reflexion unterzogen werden sollte, so gelang es dem Kurator zweifellos, eine politische Geste zu setzen, indem seine Ausstellung jene „Urgency“, sprich Dringlichkeit, die der Titel ankündigte, durch die Auswahl zumeist höchst aktueller Beispiele nachdrücklich vermittelte. Dance of Urgency machte die möglichen subversiven Energien temporärer Gemeinschaftlichkeit eindrucksvoll sichtbar – durchaus mit dem Potenzial, ansteckend zu wirken.