Heft 3/2019 - Artscribe


spiritual * digital

22. Februar 2019 bis 5. Mai 2019
Kunstverein Wolfsburg / Wolfsburg

Text: Lisa Krusche


Wolfsburg. „Es war die Zeit, in der zur realen Grausamkeit der Menschen noch die virtuelle hinzugefügt wurde“, schreibt die Autorin Sibylle Berg in ihrem aktuellen Roman GRM über dieses, unser Jahrtausend. Süchtig machende Likes, Falschmeldungen, Gewaltvideos, Massenmanipulation: das Internet ein dunkler Ort. Der Mensch darin zurückgeworfen auf sich und seine Abgründe.
Eine Ausstellung wie spiritual * digital, die sich mit dem Verhältnis von Spiritualität und Digitalität befasst, mit den Möglichkeiten, durch Informationstechnologie transzendente Erfahrungen zu schaffen, mag vor einer solchen Zeitdiagnose im ersten Moment anachronistisch anmuten. Oder aber wie eine notwendige Erinnerung an jene spirituellen Träume und Utopien, die einmal ebenfalls in den 1970er- und 1980er-Jahren im Silicon Valley ihren Anfang nahmen. Wie ist es heute um die Hoffnung bestellt, dass im Digitalen die utopischen Welten und veränderten Bewusstseinszustände einer früheren Hippiegeneration dauerhaft verfügbar gemacht werden? Unter dem Hashtag #Spirituality auf der Plattform Instagram finden sich jedenfalls nahezu eine Milliarde Posts, die alte Sehnsucht, im oder durch das Digitale spirituelle Erfüllung zu finden, scheint fortzuleben.
Die fünf künstlerischen Positionen, die Kurator Justin Hoffmann für die Ausstellung im Kunstverein Wolfsburg ausgewählt hat, setzen sich ganz unterschiedlich mit der Beziehung von Digitalität und Spiritualität auseinander. Die Ausstellung mischt durch die Auswahl der Arbeiten Kommentare und Praktiken miteinander, thematische Bezugnahmen und die Entwicklung eigener spiritueller Rituale. Ruin Zhang verbindet in den ausgestellten Bildern He losts his kryptonite, All slots future und Your insanity from the national box spirituelle Motive mit solchen der Digitalisierung und Technologie. Sie arbeitet mit Siebdruck, Lack, Tusche und Acrylfarbe auf holografischem Papier und erzeugt so eine irisierende Tiefe. Jörg Brinkmann ist mit drei Videoarbeiten vertreten, die sich durch ihren Bezug auf religiöse Themen auszeichnen. In der VR-Experience Place Beneath Past ist ein Wasserfall zu sehen, während eine tiefe Stimme Kundenbewertungen über ein ebensolches realistic Waterfall Particle System vorliest. Tonlage und Intonation erinnern an eine Meditationsanleitung, ein Eindruck, der durch den Inhalt sofort wieder gebrochen wird. Im Video Simulation setzt sich der Künstler selbst als Medium ein und synchronisiert seine Lippenbewegungen zu den Mantras einer YouTube-Schamanin. In Entschleunigter Moses, bei dem der Künstler mit epischer Geste so tut, als würde er eine sich automatische öffnende Tür erst durch diese dazu bringen sich zu öffnen, schafft er eine Analogie zwischen religiösem Motiv und zeitgenössischer Technologie.
Muhannad Shono akzentuiert mit ala:ritual machine zwei Charakteristika von Spiritualität: das Ritual und die Wiederholung. Rituale seien, so schreibt Nadja Miczek, ein zentraler Teil diskursiver Aushandlungen gegenwärtiger Religiosität. In Anlehnung an Foucault könnten sie als Teil der diskursiven Praxis gefasst werden, in denen Diskurse Sichtbarkeit, materielle Präsenz und Handlungsdynamik erhielten, gerade wenn diese Rituale kommuniziert oder im Rahmen eines Akteursnetzwerks praktiziert würden. ala:ritual machine besteht aus vier kleinen Maschinen, die mit filigranen Armen über den Boden streichen und ein stetes Klackern und Surren erzeugen. Werden sie von Menschen berührt, passen sie ihren Rhythmus aneinander an. Eine Videoprojektion ergänzt die Arbeit, inkludiert das alte Gemäuer als kontrastives Mittel. Die Arbeit kann als Kommentar zur Gruppendynamik religiöser Praktiken genauso gelesen werden wie als Möglichkeit, mithilfe von Robotik neue Formen spiritueller Rituale zu erschaffen.
Auch die Sound-Video-Installation ДЕЛО N° – A binaural transit von Polina Lapkovskaja kann als Versuch gelten, Transzendenz durch künstlerische Mittel zu erzeugen. Die Kombination aus binauralen Beats, die laut Theorie direkt die Gehirnwellen beeinflussen sollen, und stroboskopartigem Flackern des Videos, das durch eine silberne Folie am Boden in seiner raumgreifenden Wirkung verstärkt wird, wirkt gleichermaßen leicht strapaziös wie hypnotisierend. Der Inhalt des Videos arbeitet mit der Dekonstruktion und Modifikation menschlicher Körper, die sich schneckenschleimbedeckt und milchbetropft langsam in achsensymmetrischen Spiegelungen auflösen. Einen abgekapselten, atmosphärisch völlig eigenen Raum hat Philipp Geist mit inBetween geschaffen. In der begehbaren Video-Raum-Installation sind viele kleine Schnüre zu einer Netzstruktur durch den Raum gespannt, eine 360-Grad-Projektion zeigt sich ständig verändernde abstrakte Kompositionen, die an alte Windows Media Player Visuals erinnern. Der Fokus auf die ruhige Abfolge der Lichtstrukturen wirkt wie Meditation und man verlässt sie friedlich gestimmt und mit Lichtpunkten wie Abdrücken auf den Augen.