Wien. Sanft gleiten ein paar Menschen, andere an der Wasseroberfläche wiegend, durchs Wasser eines Swimmingpools. Sie führen einander zärtlich durchs hellblau schimmernde Unterwasserlicht. Ein paar von ihnen sind nackt, andere tragen so etwas wie Schwimmanzüge, die aber nicht einheitlich oder gar militärisch wirken. Fürsorglich achten sie auf die wogenden Bewegungen und das fast gewichtslose Gleichgewicht der anderen. Kaum kann man unterscheiden, wer hier auf wen achtet. Sie wechseln sich ab. Zusammen bilden sie die Army of Love, eine halbfiktive Organisation im gleichnamigen Film von Ingo Niermann und Alexa Karolinski. Die Hauptziele der beiden bestehen darin, vor Augen zu führen, wie wenig wir uns umeinander kümmern, um die so ungleich verteilte Attraktivität und Intimität auszugleichen. Wie kann man Fürsorge als politisch brisante, kritische Kraft denken?
Maria Puig de la Bellacasa definiert in ihrem Buch über Fürsorge in einer posthumanen Welt diese als konkrete „Pflegearbeit mit ethischen und affektiven Implikationen, aber auch als unerlässliche Politik in voneinander abhängigen Lebenswelten“.1 Angelehnt an diese Definition werden in der Gruppenausstellung TechnoCare im Kunstraum Niederösterreich die komplizierten Beziehungen zwischen Fürsorge und Technik ausgebreitet. Es handelt sich um die erste Schau der neuen Leiterin Katharina Brandl, die sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Friederike Zenker kuratiert hat. Wie dringend notwendig es gerade in Zeiten der Erschöpfung von Umwelt und Körpern ist, den Begriff der Fürsorge neu zu diskutieren, zeigte sich daran, dass dieses Frühjahr in Wien gleich mehrere Projekte zu diesem Thema stattfanden. Die Ausstellung Critical Care. Architecture for a Broken Planet im Architekturzentrum Wien richtete ihren Fokus auf Ökologie und Stadtplanung und Scan the Difference: Gender, Surveillance, Bodies, eine Veranstaltungsreihe der VBKÖ, thematisierte die Beziehungen zwischen Pflege, Medikalisierung, ethnischer Herkunft und Scantechnologien. TechnoCare wiederum legt besonderes Augenmerk auf den digitalen Bereich und Feminismus. Sie beleuchtet die komplexen Beziehungen zwischen Fürsorge, Handlungsmacht und Technik im Hinblick auf die Problematik, dass solche Techniken zwar notwendig, jedoch in der Gesellschaft noch kaum wahrgenommen werden. Roboter und andere Technologien sollte man indes als fürsorgliche Agenten, als Katalysatoren von Intimität, ja sogar als Liebes- und Sexmaschinen begreifen.
So ist The Optimization of Parenthood von Addie Wagenknecht aus dem Jahr 2012 eine riesige kinetische Skulptur, bei der ein Roboterarm eine leere Wiege hin und her schaukelt. Seine sanften Bewegungen werden von einem Computerprogramm gesteuert. Dieses starke Bild eines Roboters, der die emotionale Wärme und die Körperlichkeit von Eltern ergänzt, wenn nicht gar ersetzt, könnte als Sinnbild für die ganze Ausstellung stehen. Es geht um die Umverteilung und Automatisierung von Pflege und Fürsorge. Ein ganzer Chor von Stimmen ertönt in der Installation der italienischen Künstlerin Elisa Giardina Papa. Ihre Technologies of Care (2016) übersetzen sieben Monologe anonymer Online-ArbeiterInnen in intime Videos, bei denen schnell klar wird, wie speziell ihre Arbeit auf dem Markt ausgelagerter Fürsorgedienste ist, die von der Herstellung von ASMR-Videos über Online-Dating-Beratung bis hin zur Profilerstellung in sozialen Netzwerken reicht. Die Installation untersucht mithin das, was die Soziologin Arlie Hochschild als globale Fürsorgekette bezeichnet hat.2 Dieser Begriff verweist insbesondere darauf, dass die Pflegearbeit mit ethnischer Herkunft, Geschlecht, Klasse und Migration zusammenhängt. Im Zuge der Erzählungen wird demgemäß deutlich, dass die Pflegeberufe rassisiert und prekär sind und damit einer ähnlichen Dynamik unterworfen sind wie die digitale Arbeit. Die Kunst des Kollektivs NEOZOON in Zusammenarbeit mit Ines Lechleitner und Alice Chauchat widmet sich weiteren wichtigen Aspekten des Themas, nämlich den Beziehungen zwischen Mensch und Tier, der Achtung der Arten füreinander sowie der Mediatisierung von Fürsorge in sozialen Netzwerken.
Gerade in jüngster Zeit haben zahlreiche KünstlerInnen subversiv die Pflege- und Dienstleistungsökonomie mit Internetplattformen und deren neoliberaler Rhetorik thematisiert – mit New Eelam zum Beispiel, ein vom Künstler Christopher Kulendram Thomas entwickeltes Subskriptionsmodell für Luxushäuser. Bei ihrer ironischen Affirmation bleibt jedoch immer der bittere Nachgeschmack von Erschöpfung, Machtlosigkeit und Kapitulation. Ganz anders bei TechnoCare. Die ausgewählten Arbeiten öffnen einen Raum für Fantasien, technisch realisierbare Intimität und Verspieltheit. Gleichzeitig weist die Ausstellung aber auch kritisch auf die Fürsorgehierarchien zwischen Menschen, Tieren und unbelebten Gegenständen hin.
Übersetzt von Thomas Raab
[1] Maria Puig de la Bellacasa, Matters of Care. Speculative Ethics in More than Human Worlds, Minneapolis. London: University of Minnesota Press 2017, S. 6.
[2] Arlie Hochschild, „Global Care Chains and Emotional Surplus Value“, in: W. Hutton/A. Giddens (Hg.),On The Edge: Living with Global Capitalism. London: Jonathan Cape 2005, S. 131.