Klagenfurt. „PIONEERTOWN“ steht in großen Lettern auf der Innenseite der Fensterscheibe des Kunstraums und übertitelt so den Ausblick auf die gleichförmig holzverschalten Gebäude des Kärntner Science und Technology Park, auch „Silicon Valley Klagenfurts“ genannt. Von außen ist eine Adresse auf der Scheibe angebracht, die den Kunstraum neu verortet: „Los Angeles Office, 8511 Sunset Blvd.“
Damit spannt Kathi Hofer in der Ausstellung Cabin Essence ein Koordinatensystem auf, das die/den BesucherIn sowohl nach Kalifornien und an die Pazifikküste führt als auch nach Pioneertown, einen Ort in der kalifornischen Hochwüste mit einer Adresse am Sunset Boulevard, der an den gleichnamigen Billy-Wilder-Film denken lässt. Pioneertown wurde 1946 unter anderem von den Hollywoodschauspielern Dick Curtis, Roy Rogers und Russell Hayden als Kulissenstadt für Westernfilme, aber auch als bewohnbare Get-away-Residenz in der kalifornischen Hochwüste errichtet.
Auf Fotografien, die die Künstlerin auf mobilen Stellwänden in einer Linie organisierte, sind Häuserfassaden in der stiltypischen Architektur der False Front zu sehen, die von den Notwendigkeiten des Gold Rushs und der amerikanischen Frontier-Bewegung im 19. Jahrhundert geprägt wurde. Für die AusstellungsbesucherInnen ergibt sich damit eine Perspektive gleichsam wie von der breiten und einzigen Hauptstraße aus, die in der Westernstadt der Ort des Geschehens ist. Auf den hochgezogenen Fassaden der Häuser befinden sich die jeweiligen (kommerziellen) Funktionsbezeichnungen: „Saloon“, „Bank“. Letztere transferiert die Künstlerin in Klebebuchstaben aus dem ursprünglichen Setting in den Ausstellungsraum. Das A4-Format der Fotografien als Format des alltäglichen Arbeitsmaterials betont ein Moment der Skizzenhaftigkeit: Wir befinden uns in einem begehbaren Modell, einer offenen Form, die Erzählungen, auf denen die Vorstellungen vom amerikanischen Westen gründen, mit Hollywood als demjenigen Ort verbindet, der diese seit seinen Anfängen in idealisierter Form immer wieder hervorgebracht hat. Den nachgebesserten und amnesiebehafteten Fiktionen der Eroberungsgeschichte des Westens, die das Genre erzählt, mit seinen männlichen weißen Helden, den Goldgräbern, Pionieren und Cowboys begegnet Kathi Hofer mit ihrer Wahl einer verkleinerten Form, einer slapstickhaften und trashigen Ästhetik, die sich in ihrem Bezug auf Architektur – die nun zur Requisite herabgesetzt wird oder einen bloß nomadischen Übergangsraum darstellt wie die Cabin, die im Titel anklingt –, aber auch in dem Goldfund offenbart, der in der Ausstellung zu sehen ist: Er besteht aus einer Schachtel mit Bleistiften, die vergoldet wurden.
Mit Cabin Essence, einem Songtitel der Beach Boys, fügt die Künstlerin weiteres Material hinzu, das sich sowohl mit dem Mythos des amerikanischen Westens beschäftigt, aber auch selbst zum Anlass für Spekulationen wurde. In dem Song geht es um Gleisbauarbeiten, die an die transkontinentale Bahnstrecke denken lassen, die über die Verbindung der Atlantikküste mit der Pazifikküste ein Näherrücken von großen Distanzen und damit einen Zugewinn von Zeit bewirkte. Das Album Smile, auf dem sich der Song befindet, galt jedoch lange als verschollen. Darauf schlägt Brian Wilson gemeinsam mit Van Dyke Parks unerwartet experimentelle Töne an, hielt jedoch aus Sorge um Ähnlichkeiten mit dem Sgt. Pepper’s-Album der Beatles die Veröffentlichung zurück. Wie ein Plattencover weist die Einladungskarte zur Ausstellung Vorder- und Rückseite auf. Als ineinander verschachteltes Motiv ist eine Frau über eine Zeichnung gebeugt zu sehen, während sie an einem Bild arbeitet, das einen Ausblick aus einem Innenraum auf die kalifornische Wüstensonne zeigt. Dieses befindet sich auf der Rückseite der Karte. Die beiden Bilder stammen von dem Berliner Illustrator und Künstler Daavid Mörtl, den Kathi Hofer als kuratorische Setzung einlud. Die Künstlerin, die selbst auch schreibt, stellt über das Pressematerial einzelne Überlegungen ihrer künstlerischen Forschung zur Verfügung, die die Ideen und Erzählstränge der Ausstellung verbinden. So bezieht sie sich auf einen Gedanken aus River of Shadows: Eadweard Muybridge and the Technological Wild West1 von Rebecca Solnit, die von „fluiden Landschaften und Identitäten“ spricht: So wie die Suche und die Wünsche der europäischen Siedler die Vorstellungen von dem zu erobernden geografischen Raum formten, versprach das Gebiet im Westen gleichzeitig auch die Möglichkeit, sich dort selbst neu zu erfinden oder Identitäten zu erproben – worauf später auch Hollywood mit technologischen Mitteln setzte. Und wo einst nach Gold geschürft wurde, ging es zu einem späteren Zeitpunkt, in Silicon Valley, um „Data Mining“.
Die kalifornische Wüste wurde auch für die Counterculture zum Testgelände, die nun Transformation und Entgrenzung in einer Wendung nach innen sucht, in Bewusstseinsreisen und holistischen Lebensentwürfen, in nach Buckminster Fullers Prinzipien entworfenen geodätischen Kuppel-Cabins, auf Festivals oder in den neuen Gemeinschaften der Kommunen2. Auf die Nachfrage nach neuen Tools, um sich zu vernetzen, und Kommunikationstechnologien für neue Lebensformen reagierte nun ein neuer Ort erfindungsreicher Unternehmungen: Silicon Valley.
Eine größere Fotografie an der Wand zeigt das Umland von Pioneertown: gestochen scharf, im Rosa des Abendhimmels. In der umliegenden Landschaft wurden Filme gedreht, die entweder in Mexico spielten, oder, auf der gegenüberliegenden Seite, in den USA. Obwohl hier der Himmel wie bei einem Sonnenuntergang gefärbt ist, renavigiert der Titel der Arbeit die Betrachterin in die andere Richtung „Terrain (East)“.
[1] Rebecca Solnit, River of Shadows: Eadweard Muybridge and the Technological Wild West. Penguin Books 2004.
[2] Vgl. Fred Turner, Die Politik der Ganzheit um 1968 – und heute, in: The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen, hg. v. Diedrich Diederichsen und Anselm Franke. Berlin: Sternberg Press 2013.