Heft 4/2019 - Lektüre



Marcelo D’Salete:

Angola Janga – Eine Geschichte von Freiheit

Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Lea Hübner

Wien (bahoe books) 2019 , S. 72 , EUR 29

Text: Martin Reiterer


In Angola Janga zeigen viele Panels Nahaufnahmen von Beinen und Füßen, oftmals in Bewegung. Abwechselnd dazu sieht man laufende Gestalten, mitunter als Schattenriss, in der Totale. Menschen auf der Flucht werden allzu gern als Projektionsflächen für Angst und Schwäche betrachtet. Marcelo D’Saletes Zeichnungen vermitteln ein differenzierteres Bild der Flüchtenden. Da ist die Angst, doch zugleich wohnt den Körpern etwas ganz Gegensätzliches inne, was mit Stärke und Aufmerksamkeit zu tun hat: Mut, Entscheidung, Glaube, Widerstand. Die Flucht ist eine selbstbewusste Abstimmung mit den Füßen.
Der brasilianische Comiczeichner D’Salete erzählt in Angola Janga eine höchst aufsehenerregende Geschichte aus der Zeit des portugiesischen Kolonialismus in Brasilien. Sie stellt einer herkömmlich kurzgefassten Gräuel-/Opfer-Erzählung der kolonialen Unterwerfung die eines mutigen und unnachgiebigen Widerstands gegenüber. Für seine eingehenden Recherchen hat sich der in São Paulo lebende Autor und Lehrer, Jahrgang 1979, ein ganzes Jahrzehnt Zeit genommen. Das hat sich gelohnt: Der 400 Seiten starke Schwarz-Weiß-Comic ist ein Meisterwerk der Erzählkunst in Bildern, vielschichtig in der Darstellung der Handlungen und anschmiegsam in der Wahrnehmung der historischen Perspektiven.
„Angola Janga“ heißt „Klein-Angola“ und bezeichnet die Palmares, also Palmenhaine, im Hinterland von Pernambuco an der östlichsten Landspitze Südamerikas, in denen sich die geflüchteten Schwarzen ansiedelten und Dörfer, sogenannte Quilombos oder Mocambos, aufbauten. Erst nach einigen Anläufen sind die portugiesischen Kolonialisten im 16. Jahrhundert auf die wirtschaftlich glorreiche Idee des Zuckerrohranbaus gekommen. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts verschleppten sie Arbeitskräfte unter anderem aus Angola und dem Kongo. Wer die Todesschiffe – die aus Afrika kommenden, vollgepferchten Frachtschiffe – überhaupt überlebte, gelangte auf den Sklavenmarkt und weiter auf die Zuckerplantagen. Die Einheit für SklavInnen war die Stückzahl. Die somit zu Arbeitstieren Erniedrigten erwartete ein kurzes, denkbar unbequemes Leben. Neben langen Arbeitszeiten waren sie Demütigungen ausgesetzt, Gewalt, Folter, Vergewaltigung.
Die weniger bekannte Seite ist die der Widersetzung der schwarzen SklavInnen, Männer wie Frauen, die ihrer Gefangenschaft entflohen und in Freiheit eigene Gemeinschaften und ganze Dörfer in der Größenordnung von bis zu 6.000 EinwohnerInnen gründeten. In ihren Zufluchtsorten bauten sie Mais, Maniok, Süßkartoffeln und andere Lebensmittel an, errichteten Häuser und Wehranlagen. Erste Belege eines Quilombos aus Pernambuco stammen aus dem Jahr 1597. Das ganze 17. Jahrhundert hindurch verteidigen die Schwarzen ihre Rückzugsorte und Lebensräume mit erstaunlichem Erfolg. Dabei nutzen sie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts geschickt das Machtvakuum, das durch die Versuche der holländischen Kolonialmacht, die Portugiesen an der brasilianischen Küste zu verdrängen, entsteht. Danach nehmen die als „Expeditionen“ bezeichneten Jagden der portugiesischen Kolonialisten auf die Geflüchteten massiv zu. Schließlich kommt es 1678 zu einem Vertrag zwischen einem der Anführer der Quilombos und dem Vertreter der Kolonialmacht, allerdings mit der hinterlistigen Absicht, die Palmaristas durch eine Divide-et-Impera-Taktik in die Knie zu zwingen. Ende des Jahrhunderts wird das Zentrum der Palmares angegriffen und zerstört. Verstreut über ganz Brasilien gibt es allerdings bis heute Quilombos, in denen Nachkommen der ehemaligen schwarzen SklavInnen leben.
Ganz bewusst zeichnet D’Salete dieses Jahrhundert des schwarzen Widerstands „aus der Perspektive der Palmaristas“ nach. Da die historischen Berichte von Plantagenbesitzern, Gouverneuren, Soldaten, katholischen Priestern etc. stammen, die allesamt auf der kolonialen Seite des Konflikts standen, ist die Fiktion hier auf besondere Weise gefordert. Dabei gelingt es dem Autor auf atemberaubende Weise, seinen ProtagonistInnen Leben einzuhauchen. Zu diesen gehören nicht allein die berühmten Anführer Ganga-Zumba und Zumbi, sondern auch viele andere, denn – so der Autor im Nachwort – „die Erzählung von Palmares in seiner Gesamtheit [ist] bedeutender als dessen berühmtester Anführer“.
Die poetische Kraft ist in der Zeichnung verwurzelt: Die klaren feinen Linien kontrastieren mit einem breiten porösen Pinselstrich, der die weißen Flächen zum Leuchten bringt. In diesem Licht gewinnen die Gesichter ihre Ausdrucksstärke. „Cumbe“, der Begriff für Licht und Stärke in den Sprachen Angolas und des Kongos und Synonym von Quilombo, ist ein wesentliches Element in D’Saletes Ästhetik des (schwarzen) Widerstands. Bereits 2017 ist in dem umtriebigen Wiener Verlag bahoe books ein grafischer Erzählband des Autors mit der Titelgeschichte „Cumbe“ erschienen, in dem D’Saletes grafische Poetik bereits voll entfaltet erscheint. Die geschichtliche Einbettung in Angola Janga trägt allerdings deutlich zu ihrem Verständnis bei. Auch die Zeichen und Symbole, von denen die grafischen Erzählungen wimmeln, erhellen sich im historischen Kontext. Keineswegs sind sie ornamentales Beiwerk. Vielmehr erweisen sie sich als geeignetes Mittel, um sich der Sprache, dem Denken und der Kultur der Palmaristas anzunähern. Angesichts der wüsten Beleidigungen, vor allem aber der unverblümten Absichten des Landraubs an Indigenen und Quilombo-Nachfahren durch den ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro gewinnt ihre Geschichte zusätzlich an Aktualität. D’Salete hat ihnen ein einzigartiges Denkmal gesetzt.