„Jahrtausende hindurch ist der Mensch das geblieben, was er für Aristoteles war: ein lebendes Tier, das auch einer politischen Existenz fähig ist. Der moderne Mensch ist ein Tier, in dessen Politik sein Leben als Lebewesen auf dem Spiel steht.“ Mit diesen durchaus dramatisch gesetzten Worten versuchte Michel Foucault einst, es war in Der Wille zum Wissen, etwas historisch Unerhörtes zu fassen, nämlich die Tatsache des Eintritts des Lebens in die Geschichte, des Eintritts der Phänomene, die dem Leben der menschlichen Gattung eigen sind, in die Ordnungen des Wissens und der Macht, in das Feld der politischen Techniken. Anders geredet: Der Mensch weckt, spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts, vorrangig als biologisches Wesen, d.h. als modulier- und manipulierbarer Organismus, das Interesse der Macht; mit der Folge, dass er im Einzelnen in den Dressuranstalten der Schule, Armee, Fabrik etc. diszipliniert und, sobald ins Kollektiv der Bevölkerung – auch das eine zu der Zeit neu entdeckte Kategorie – transponiert, zum Zwecke der Vervollkommnung und Kontrolle reguliert wird. Der moderne Souverän, wir könnten ihn auch „Biomacht“ heißen, zeichnet sich also, pointiert formuliert, dadurch aus, die Menschen leben zu machen und sie nicht, so wie der vormoderne, einfach nur leben zu lassen.
Ein ähnlicher Impetus, das Leben (wieder) zu ergreifen bzw. modellierend darin einzugreifen, kann nun aber auch der modernen Kunst, jedenfalls in ihren avancierten Ausprägungen, nachgesagt werden. Zeigten sich doch bekanntlich Avantgarden aller Couleurs enorm von dem Wunsch befeuert, der Kunst ihren Autonomiestatus zu nehmen und sie erneut im Leben aufgehen zu lassen, sie mithin in die von Zweckrationalität beherrschte Lebenspraxis zu überführen, die dadurch ästhetisch tingiert wäre und den Menschen gestatten würde, sich – gemäß der Idee Friedrich Schillers – in ihrer ganzen Wesensfülle zu erfahren. Bei solch allseitiger Lebensgier nimmt es dann eigentlich kaum wunder, dass Josephine Berry, die am Goldsmiths in London unterrichtet, auf die Idee verfiel, die Bereiche der Biopolitik und der Kunst auch theoretisch zu fusionieren und mit Art and (Bare) Life eine Geschichte der modernen und zeitgenössischen Kunst vor biopolitischem Hintergrund vorzulegen; wobei dieses Bild einer Schichtung leicht irreleiten mag, da die Elemente der Untersuchung hier nicht parallelisiert, sondern durchaus eng geführt, ja geradezu ineinander geblendet werden. Mit dem Ergebnis, dass die Kunst auf dem von beiden bestellten Feld (des Lebens) oftmals als Widerpart der Biomacht auftritt, da sie die Erfahrung dessen, was es bedeutet, ein lebendiges Wesen in einer ebensolchen Umwelt zu sein, unausgesetzt hinterfragt und der Biomacht, die für ihre Interventionen und Machinationen auf stabile, normative Entitäten angewiesen ist, damit Einhalt gebietet: so gesehen bei den RomantikerInnen, die ihr überbordendes Innenleben externalisieren, über die ImpressionistInnen, die ephemere Effekte des Lichts und der Bewegung einfangen, bis zu den VertreterInnen der Minimal Art, die die physische Präsenz der BetrachterInnen in ihre Inszenierungen miteinbeziehen. Dem Bedürfnis der Biomacht nach eindeutig bestimmbaren biologischen Einheiten oder Normen begegnet die Kunst aber auch mit der Taktik, das integrale, harmonische Werk fahren und von der Kontingenz fluten zu lassen, also mit anderen Worten den Zufall ins Spiel zu bringen, der das befördert, was Theodor W. Adorno das Amorphe genannt hat: Zu denken wäre hier etwa an die SurrealistInnen mit ihren automatischen Verfahren, an Jackson Pollocks drip paintings oder an die kollektiven Improvisationen des Fluxus, des Situationismus oder des Happenings. Dieses Amorphe stellt sich freilich auch dann ein, wenn die Grenzen des integralen Kunstwerks fallen und in den neutralen Betrachterraum plötzlich ungehindert jene Affekte einbrechen, die vormals im Rahmen des Werks gebunden oder recht eigentlich sublimiert waren: Zuvorderst dürfte hier wohl der Wiener Aktionismus zu nennen sein oder Arbeiten, in denen nun die eigentlich noch immer tabuisierte Sexualität zum Thema wird, wie beispielsweise Fuses (1967) von Carolee Schneemann oder einige der berüchtigten Performances des Kollektivs Coum Transmissions.
Die Tatsache, dass die Kunst immer weiter ins Leben ausgreift und sich in dieser Bewegung immer mehr Bereiche davon erschließt (um dadurch paradoxerweise ihre Autonomie aber nur noch weiter zu festigen), lässt sie gleichwohl aber auch, und das sollte keinesfalls verschwiegen werden, dafür disponiert erscheinen, für die Umsetzung einer neoliberalen Agenda eingespannt zu werden, und das besonders im Zusammenhang der Revitalisierung ganzer Städte oder auch nur einzelner Areale oder Quartiere darin. Ihr werden nämlich auch heilende Effekte zugeschrieben, die Kraft, Menschen wieder zueinanderfinden zu lassen, und damit eine Remedur, welcher von Spaltungen (hinsichtlich von Rasse, Klasse, Geschlecht etc.) durchzogene Gesellschaften, die ihnen der Kapitalismus ja erst einkerbt, dringend bedürfen. Allerdings handelt es sich dabei in Wirklichkeit nur um einen Placeboeffekt, denn die Kunst schafft zwar ein Publikum, schafft auch Nähe zwischen den Menschen, aber doch bleibt dabei jede/r nur für sich.