Wie Dr. Samuel Johnson einst über Geister sagte, „sprechen alle Argumente dagegen, aber jeglicher Glaube dafür“. Falls es universelle Zeichen gibt, dann sind Geister vermutlich mitten unter ihnen. Die genauen Einzelheiten mögen von Kultur zu Kultur unterschiedlich sein, doch die generellen Vorstellungen über Geister sind stets gleich. Wer an sie glaubt, ist überzeugt, dass die Spuren der Toten überall zu finden sind – in Wohnungen, Büros, natürlichen Umgebungen vom Vulkan bis zum Weltall, und, was hier am wichtigsten ist, in Maschinen. Sie können zu jedem Zeitpunkt existieren, zugleich aber auch außerhalb der Zeit. Es sind unausweichliche, flexible Zeichen, die wunderbar funktionieren, um das Unerklärliche zu erklären, ein kontinuierliches Bewusstsein zu schaffen und als Projektionsfläche für Hoffnungen und Ängste zu dienen. Angesichts all dieser Macht, auch als bloße Metapher, helfen sie uns heute, die verstörenden Momente, die von den globalen digitalen Netzwerken ausgehen, zu konkretisieren und zu erklären.
Maschinen zur Geistererzeugung
Die Entstehung moderner Geister ist eng verknüpft mit komplexer Technologie. Die zarten, ätherischen, entmaterialisierten Geister der heutigen westlichen Welt waren jedoch nicht immer so. Im 17. Jahrhundert hatten die Erscheinungen im Allgemeinen eine feste Form. Zwar konnten sie über übermenschliche Kräfte verfügen, doch entsprach das Aussehen des Geists einer Person dem Vernehmen nach dem Erscheinungsbild dieser Person zu Lebzeiten. Dabei konnte der Geist so aussehen wie die Person zum Zeitpunkt ihres Todes oder in Zeiten bester Gesundheit, doch an der Identität des Gespensts gab es keinen Zweifel. Dieses Geisterverständnis sollte sich Ende des 18. Jahrhunderts nach und nach wandeln, zum Teil auch wegen des öffentlichen Interesses an spektakulären optischen Effekten, die der Unterhaltung dienten. Nachdem die Laterna magica seit mehr als 100 Jahren durchscheinende und zuweilen gespenstische Effekte erzeugt hatte, kam jetzt eine neue Generation von Spezialeffekten auf. Beispielhaft für diese erste Welle war die Phantasmagorie (Geisterversammlung) von Paul de Philipsthal. Wann genau diese Vorrichtung zum Einsatz kam, lässt sich schwer feststellen, doch von de Philipsthal ist bekannt, dass er seit 1789 Geisterspektakel präsentierte. Das Fortschrittliche dieser geistererzeugenden Maschine bestand in einer Rückprojektion, die in Dunkelheit erfolgte und die Illusion freischwebender Geister hervorrief. Durch das Bewegen des Projektors und den Einsatz und die Überlagerung bemalter Glastafeln konnte der technische Direktor den Eindruck von Bewegung erzeugen und die Größe der Projektion verändern. Spektakel wie dieses trugen viel dazu bei, dass sich die handfesten Gespenster von einst in der öffentlichen Vorstellung zu im Dunkeln schwebenden Lichtgestalten wandelten.
Die Überlagerung bemalter Glastafeln war ein Vorbote dessen, was als Nächstes kommen sollte: die fotografische Doppelbelichtung. Der Fotografie gelang es, zwei widersprüchliche Eigenschaften in sich zu vereinen, war sie trotz ihrer ästhetischen Dimension doch auch „objektive Beobachterin“. Bereits kurz nach ihrer Erfindung spielte sie eine zentrale Rolle, wenn es darum ging, Beweise für oder gegen die Existenz von Geistern zu erbringen. Dies galt vor allem für die Blütezeit des Spiritualismus zwischen 1860 und 1880. Fotos von Geistererscheinungen wurden als Beweis angeführt, dass es eine Geisterwelt gab und dass Geister unter uns sind. SkeptikerInnen bemühten sich daraufhin geflissentlich, technische Erklärungen zu liefern, wie diese Fotos gefälscht wurden. Selbst de Philipsthal stieg zum Ende seiner Karriere in das Entlarvungsgeschäft ein.
Die Fotografie war äußert geeignet für die neue Art der Geisterbeschwörung, zum einen dank Techniken wie der Doppelbelichtung und durch Licht erzeugte Illusionen, aber auch, weil es eine Möglichkeit geben musste, eine Erscheinung von einem lebenden Menschen zu unterscheiden. In den Tagen, als Geister noch eine feste Form hatten, bestand das überraschende Ende so mancher Geschichte darin, dass Menschen, die mit einem Bekannten, einem Freund/einer Freundin oder einem geliebten Menschen gesprochen hatten, später erfuhren, dass diese Person am Tag zuvor gestorben war. Damit das Foto als Beweis dienen konnte, musste der Geist über Eigenschaften verfügen, die von denen eines Menschen leicht zu unterscheiden waren. Rauchige Nebelschwaden und durchscheinende Gesichtszüge waren genau richtig. Sobald dieses Modell der Geistererscheinung als Norm akzeptiert war, ließen sich mit Kameras effizient Geisterporträts für den öffentlichen Vertrieb herstellen.
Ein weiterer entscheidender Faktor für die Entwicklung des modernen Gespensts waren die Techniken zur Übertragung und Aufzeichnung von Ton wie Phonograph, Schallplatte, Telefon und Radio. Die Vorstellung von der Möglichkeit einer körperlosen Stimme in Verbindung mit Tonaufnahmen begeisterte all jene, die sich für die BewohnerInnen des Jenseits interessierten, und gipfelte in der mythischen Maschine, über die Lebende und Tote miteinander sprechen konnten, wie sie Edison zu bauen versucht haben soll. Weder ist gewiss, ob je ein Prototyp gebaut wurde, noch, ob Edison sich einen Scherz erlaubt hat, wirklich an Geister glaubte oder einfach schwindelte, als er das Gerät zum ersten Mal in einem Interview in der Oktoberausgabe 1920 des American Magazine erwähnte. Wie dem auch sei, wer nach Beweisen für die Geisterwelt sucht, ist von dieser Form der Kontaktaufnahme immer noch begeistert. Zeitgenössische Geisterzirkel und GeisterjägerInnen verwenden konsequent Aufnahmegeräte und weißes Rauschen, um Geräusche und Stimmen von Geistern aufzunehmen, die mit den Lebenden kommunizieren wollen (Elektronisches Stimmen-Phänomen – ESP). Angeblich können Geister das weiße Rauschen manipulieren, um Stimmen zu erzeugen, und das Gerät kann diese Töne, die für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sind, empfangen. Interessant ist dabei, dass das Modell Edisons (ob Scherz oder nicht) nach wie vor Bestand hat – mit den richtigen technologisch fundierten Untersuchungsmethoden können ErforscherInnen des Unbekannten Hypothesen über die Geisterwelt und Geistererscheinungen testen. Hier besteht eine starke Tendenz zum säkularen Okkultismus, und es gibt immer mehr Schnittstellen zwischen Wissenschaft, Technik und der unbekannten Welt der Geister.
Letzter Punkt unserer kleinen Exkursion ist das Fernsehen. CAE muss sofort an die Szene in Steven Spielbergs Poltergeist denken, in der die kleine Carol Anne (gespielt von Heather O’Rourke), vor dem Fernseher sitzend, sich plötzlich umdreht und mit ihrer gespenstischen Kleinmädchenstimme erklärt: „Sie sind hie-ier!“ Ähnlich wie bei Spielbergs Fernsehgeistern nimmt man an, dass Geister (Spirits) durch Portale zwischen verschiedenen Dimensionen und Welten wechseln, und häufig handelt es sich bei diesen Portalen um Spiegel. Im Fernsehen spiegelte sich die Welt in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Damals war das Fernsehen eine grobe, einfache Form nationaler Vernetzung – ein Ort gemeinsamer kultureller Erfahrung in einem nie da gewesenen Ausmaß und ein Ort der Massenmanipulation. Wegen dieser Einfachheit war der Ursprung der Manipulationskräfte auch leicht zu erkennen. Mittel und Methoden ließen sich schnell aufdecken. Doch in dem Maße, in dem sich die Bildschirme in unseren Heimen, Büros und schließlich in unseren Taschen breitmachten, in dem die Vernetzung global wurde und immer mehr Menschen in ihre Matrix zog, tauchten Kräfte aus dem Unbekannten auf. Während wir die Kontaktstellen häufig kennen, bleiben ihr Ursprung oder die Antwort darauf, ob es sich um lebendige oder künstliche Kräfte handelt, ein Rätsel, das für die überwiegende Mehrheit der Menschen ungelöst bleibt. Angesichts dieser Bedingungen erweist sich die Sprache des Okkulten im Alltag als durchaus nützlich.
Digitale Gespenster und säkularer Okkultismus
Im übertragenen Sinne sind globale digitale Netzwerke der neueste Stand der Geistererscheinung. Sie befeuern die Maschinen, die die Geister hervorbringen, die manchmal geschickt werden und manchmal ungeplant auftauchen, um uns zu quälen, zu terrorisieren, zu drängen und zu schubsen. (CAE behauptet nicht, dass es sich dabei um die einzige Funktion globaler digitaler Netzwerke handelt, nur, dass dies eine ihrer grundlegenden Funktionen ist.) Was sind das für Kräfte, woher kommen sie und was wollen sie? Eine beträchtliche Mehrheit der Menschen, die sich im Bildschirmreich verlieren, hat keine Ahnung und kann bestenfalls das magische Zeichen des Algorithmus anrufen (das hier ebenfalls nicht konkret zu verstehen ist). Um Wissen über das Verborgene (Okkultismus) zu erlangen, kann man sich vielleicht an „Technomancer“ oder Medien wenden, welche die Geheimcodes und -quellen kennen und die Symbole auf eine Weise manipulieren, wodurch eine kryptische Macht heraufbeschworen und diese vielleicht sogar gezwungen wird, sich ihren Befehlen zu unterwerfen – aber selbst sie können den Spuk nicht stoppen. Die einzige wirkliche Möglichkeit bestünde darin, die Nutzung des Portals einzustellen, aber diese Option ist in keiner Weise praktikabel. Bildschirme, Tastaturen und Netzwerke strukturieren unsere wichtigsten Aktivitäten, und so werden Gespenster zu einem grundlegenden Bestandteil unseres Lebens, dem wir uns widerwillig und im Falle von CAE grollend unterwerfen.
Die Spukerfahrung ist für alle, die ihr ausgesetzt sind, unbestritten. Wie bei übernatürlichen Erscheinungen heften sich die Geister manchmal an einen (virtuellen) Ort und manchmal an Menschen, sodass die Erfahrung immer sehr persönlich ist. Wir wissen, dass sie uns beobachten und basierend auf jedem Klick und Tastendruck Profile erstellen, in dem Bemühen, uns zunächst zu unterdrücken und bei Gelegenheit Besitz von uns zu ergreifen. Manchmal dient dies zur Einschüchterung. Wir wissen, dass sich die dunklen Kräfte in verschiedenen Daten-Dumps aus versteckten Ritualen und Zaubersprüchen äußern, meist aber durch Folter, die einer Person oder Personen, die wir kennen, zugefügt wird. Die im Verborgenen kündigen sich normalerweise nicht an und kommunizieren auch nicht auf direkte Weise und falls doch, dann zum Zwecke der Inbesitznahme. Doch selbst in ihrer Abwesenheit verfolgen uns diese Gespenster ständig, indem sie Angst und ein anhaltendes Gefühl der Bedrohung hervorrufen. Sie müssen nicht direkt Besitz ergreifen; sie können uns auch unterdrücken, indem sie Ausdruck und Handeln im sozialen Bereich einschränken, real und virtuell.
Manchmal erstellen die Geister des virtuellen Jenseits Profile zur Wertschöpfung. Diese Geister sind dazu da, uns zu nerven und/oder zu quälen. Sie hören nie auf zu beobachten; sie hören nie auf zu kommunizieren. Sie zwingen uns zu einem ständigen, absolut sinnfreien Dialog. Wir schreiben in einer E-Mail an einen Freund, dass wir über einen Umzug nachdenken, und in den nächsten Wochen erhalten wir unzählige Werbebanner von Immobilienagenturen, Neubaugebieten, Haushaltsgegenständen, Umzugsfirmen, InnenarchitektInnen und Gebäudeversicherungen neben gesponserten Nachrichten über die besten und schlechtesten Wohnorte, Immobilienpreise, Immobilienkrisen und so weiter. Und was noch schlimmer ist, sie wissen, wie sie in das Gehirn eindringen können, um dessen Verdrahtung zu zerstören. Sie wissen besser denn je, was Ernest Dichter schon in den 1950er-Jahren wusste: dass Menschen keine vernunftbegabten Geschöpfe sind, wenn sie darüber entscheiden müssen, was in ihrem besten Interesse ist. Das eben ist die Lüge über den Homo oeconomicus, die der Mensch schon lange über sich selbst erzählt und weiter über sich erzählen wird. Wir sind bereit, uns zu etwas drängen und schubsen zu lassen, was eine vernünftige Person nie tun würde, also werden wir mit Nachrichten bombardiert, die unsere Motivation verändern und uns ein neues Verhalten diktieren.
Und doch haben wir diese Qualen zum großen Teil uns selbst zu verdanken, da wir den dunklen Mächten immer mehr Daten zur Verfügung stellen, die von diesen aufgesaugt werden, um die repressiven digitalen DoppelgängerInnen zu schaffen, um Datenkörper zu produzieren, die dann kommen, um uns heimzusuchen. Fragmentierte Repräsentationen von uns selbst tauchen auf, um eine maximale, auf unser jeweiliges soziales Umfeld und unsere Lebensumstände zugeschnittene Demütigung zu bewirken. Egal, wie viel wir in die realen und künstlichen Wesen im digitalen Spiegel investieren, sie wollen immer mehr, bis unsere Identität dem entspricht, was sie vorgeben. Die DoppelgängerInnen werden zur Realität, das Fleisch zur Imitation. Und zum Leidwesen aller lassen sich diese Wesen nicht besänftigen.
Mehr Geister als je zuvor
Mit dem Fortschritt der neoliberalen Ökonomie hat sich auch das Monströse weiterentwickelt. Horror ist schon immer profitabel gewesen, doch die Mode hat sich im Laufe der Jahrzehnte gewandelt. In den 1980er-Jahren waren es Vampire, die das Heraussaugen der Vermögenswerte (des Lebens) aus den einfachen BürgerInnen und deren Zentralisierung unter einer Elite aus Übermenschen begleiteten. Es folgte die Dominanz des zweitliebsten Monsters der 1980er-Jahre, der Zombies. Zuerst als verlorene Generation, die ziellos durch die Einkaufszentren wanderte, dann aber als Metapher für den Neoliberalismus selbst – eine Ökonomie, die alles, was dem Profit im Wege steht, blindlings mit Chaos und Tod überzieht. Jetzt scheinen Geister der letzte Schrei zu sein, und eine neue Darstellungsform hat sich entwickelt: die nonfiction, in der die Geister gar nicht mehr erscheinen müssen. An ihre Stelle treten elektromagnetische bzw. Temperaturmessungen, in Verbindung mit Aufnahmen körperloser Stimmen. Neben fiktiven Erzählungen, in denen die Geister noch immer erscheinen, gibt es jetzt Fernsehsendungen, die „auf realen Ereignissen basieren“. Nach Zählungen von CAE liegt die Anzahl der Ghost-Reality-Shows im US-amerikanischen Kabelfernsehen bei 32. Diese Sendungen werden in den USA, Kanada und Großbritannien produziert. Und bei Bezahldiensten wie Netflix und Amazon Prime gibt es noch viele weitere aus diversen nicht englischsprachigen Ländern. Auch wenn die relativ niedrigen Produktionskosten ausschlaggebend sein mögen für diese Art der Darstellung, muss es ein Publikum geben, das sie sehen will – und das gibt es. CAE vermutet, dass ein Grund für die Popularität dieser Sendungen die Sehnsucht nach dem Übernatürlichen ist – die Hoffnung und das Verlangen nach „echten“ Geistern. Neben der täglichen Tracht Prügel, die die Menschen von den digitalen Geistern erhalten, ermöglicht der traditionelle Geist trotz der Angst (Wut auf die Lebenden), die beschworen wird, ein Gefühl der Hoffnung (der Fortbestand des Empfindungsvermögens). Im Gegensatz zum weltlichen Spuk genießt der übernatürliche Spuk den Vorteil der Bestätigung eines Lebens nach dem Tod und bietet die Möglichkeit, das Unerklärliche einfach zu erklären.
Ein gängiges Motiv dieser Reality-Shows besteht darin, dass das Opfer einer Geistererscheinung durch das ihn heimsuchende Wesen krank gemacht wird. Die meisten der Erkrankten würden auch ohne Spuk krank aussehen, und es ist wahrscheinlich, dass sie in einem vergifteten Umfeld leben. Eine viel wahrscheinlicher Spuk wäre die Vergiftung von Mensch und Erde, die wiederum für zwei wichtige Umweltprobleme verantwortlich ist: Klimawandel und Massensterben. Solche Probleme sind für die meisten schwer zu verstehen, und noch schwerer ist zu verstehen, wie sich diese verheerenden Trends umkehren lassen, um einer Lösung auf struktureller Ebene den Vorrang zu geben. Ein Spuk ist so viel einfacher zu verstehen – ein Geist macht mich krank – als eine giftige Umgebung oder eine korrumpierte Nahrungsmittelversorgung (in der bestimmte Verhaltensweisen routinemäßig stimuliert werden, um ungesunde Lebensmittel unwiderstehlich zu machen) oder jede andere Ursache, die kritisches Nachdenken und neugierige Untersuchungen erfordert. Wo immer es Hyperobjekte gibt, die so komplex sind, dass sie sich im Alltag nicht mehr entschlüsseln lassen, ist die Situation reif für Geister. Und genau diese Situation liegt jetzt vor: Nicht nur die Umweltkatastrophe zeichnet sich durch Komplexität aus, auch die endlosen Kriege, die globale wirtschaftliche Ungleichheit und die Entwicklung zu einer robotergestützten Arbeitsteilung. Buh!
Übersetzt von Anja Schulte