Wien. Lag dem Projekt Collective Exhibition for a Single Body. The Private Score – Vienna 2019 des Kurators Pierre Bal-Blanc die Überlegung zugrunde, das Verhältnis zwischen Kuratieren und Choreografieren auszuloten, so erinnerte dies zweifellos an kuratorische Strategien der späten 1990er- und frühen 2000er-Jahre, die die Arbeit des Kurators als kreativ-experimentelle und/oder politische Praxis zu formulieren versuchten. Bal-Blanc ist ebenjener Generation zuzurechnen und Collective Exhibition for a Single Body. The Private Score – Vienna 2019 überzeugte durch die innovative Verknüpfung von Ausstellung und Performance, um den individuellen Körper im geografisch und historisch geprägten Spannungsfeld von Privatheit und Öffentlichkeit zu positionieren.
Das zweiteilige Projekt umfasste eine Gruppenausstellung im Haus Wittgenstein und von Manuel Pelmus choreografierte Performances in jener Filiale der Diskont-Supermarktkette Lidl, in der sich bis 2014 die Ausstellungsräume der Generali Foundation befanden. Im Zentrum stand eine Auswahl von Arbeiten aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa der Kontakt Sammlung der Erste Bank, die das Projekt gemeinsam mit dem Tanzquartier Wien initiiert hatte. Bei Collective Exhibition for a Single Body. The Private Score – Vienna 2019 handelte es sich um die Neuformulierung und Erweiterung eines Konzepts, das Bal-Blanc 2017 bei der documenta 14 realisiert hatte. Die Wiener Edition mit dem Zusatztitel The Private Score – Vienna 2019 rückte vor allem Privatsammlungen ins Zentrum. Neben den Arbeiten der Kontakt Sammlung waren unter anderem vereinzelte Werke aus den Ausstellungen der Generali Foundation sowie von TBA21 zu sehen.
Das Display im Haus Wittgenstein verwies auf den archivarischen Aspekt des Sammelns, indem Bal-Blanc dort eine Art Studienraum einrichtete und ausgewählte Arbeiten auf einem Konferenztisch zeigte. Auch der private Charakter des Präsentationsorts, der von Ludwig Wittgenstein und Paul Engelmann zwischen 1926 und 28 realisierten ehemaligen Residenz der Schwester des Philosophen, wurde mitreflektiert. So hatte der Kurator für die restlichen Räume der Ausstellung Jakob Lena Knebl zur Gestaltung des Displays eingeladen, das die Ästhetik kleinbürgerlicher Interieurs der 1970er-Jahre mit farbig gemusterten Sofas und Teppichen aufgriff.
In den von Knebl ausgestatteten einstigen Wohnräumen sowie dem Treppen- und Eingangsbereich des Hauses versammelte Bal-Blanc eine eklektische Auswahl künstlerischer Arbeiten von den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart. Unter der Bezeichnung „Etüde“ kuratierte er dort quasi eine Ausstellung in der Ausstellung und ließ einerseits den Fokus auf körperbezogene konzeptuelle Arbeiten osteuropäischer KünstlerInnen anklingen. So waren Mladen Stilinovićs Fotografien Tijelo (Body) (1977) – zwischen Artaud’scher Provokation und politischem Kommentar angesiedelt – gleich beim Eingang zu sehen. Sie zeigten im Grid angeordnete fragmentarische Aufnahmen des eigenen Körpers, über den der Künstler eine schwarze Augenmaske platziert hatte. War andererseits auch Sarah Lucas’ mit Dacre (2013) betitelter Bronzeabguss eines überdimensionalen Puppenkörpers zu sehen, ebenso wie André Caderes Barre de bois rond (B16 / B14200003) (1974), verlor die „Etüde“ als „Studie“ bzw. „Vorstudie“ der Ausstellung ein wenig den kuratorischen Fokus, indem Bal Blanc versuchte, allumfassend jene Überlegungen, die er bei der Planung des Projekts angestellt hatte, in der Schau selbst zu visualisieren.
Collective Exhibition for a Single Body. The Private Score – Vienna 2019 beeindruckte hingegen in der Zusammenführung der im Studienraum gezeigten Arbeiten und der daran geknüpften Performances in der Lidl-Filiale. Aus den im Haus Wittgenstein gezeigten Werken ging hervor, dass der Kurator eher überblicksartig aus der Kontakt Sammlung ausgewählt hatte. Auf dem Tisch im Studienraum lag etwa eine Auswahl von Jiří Kovandas konzeptuellen Fotoarbeiten, die seine Prager Performances der 1970er-Jahre dokumentierten. Dicht daneben lief VALIE EXPORTs Videoarbeit Hauchtext: Liebesgedicht (1970/73) auf einem Computermonitor. Neben Kovanda und EXPORT waren auch andere vertrautere Namen der 1960er- und 1970er-Jahre vertreten, wie etwa Július Koller mit Textobjekten, Fotos sowie Dias seiner Antihappenings und seiner mit U.F.O. betitelten Interventionen.
Insgesamt hatte Bal-Blanc rund 20 künstlerische Positionen versammelt, deren Arbeiten – laut Formulierung des Kurators – alle in der Lidl-Filiale „aktiviert“ wurden. Dort führte ein/e PerformerIn auf den künstlerischen Werken basierende Handlungsanweisungen aus, die sowohl Bewegungsabfolgen als auch Sprache integrierten und individuell variiert werden konnten. Wurde etwa Kovandas Aktion im öffentlichen Raum 28. Oktober 1977, Prag – Ich gehe vorsichtig, sehr vorsichtig wie auf dünnem Eis, das jederzeit einbrechen könnte (1977) gezeigt, indem der Performer im Lidl zur Verwirrung zufällig anwesender Einkaufender langsam seine Füße über den Boden des Supermarkts schleifen ließ, so gelang gekonnt die Aneignung und Aktualisierung einer historisch-subversiven Geste. Die vom Kurator angestellten Überlegungen zur Korrelation zwischen der hyperkontrollierten Öffentlichkeit des ehemaligen Osteuropas und aktuellen omnipräsenten Überwachungsstrategien klangen in den Performances ebenso an, wie diese mittels der Verkörperlichung (kunst-)historischer Wissensdiskurse in den Raum alltäglicher Handlungen intervenierten.