Heft 4/2019 - Artscribe


Hysterical Mining

29. Mai 2019 bis 6. Oktober 2019
Kunsthalle Wien, Museumsquartier/Karlsplatz / Wien

Text: Lisa Moravec


Wien. Alles ist blau. Pitschblau. Die leuchtend blau eingekleideten Wände und der blaue Bodenbelag des ebenerdigen Ausstellungsraums der Kunsthalle erzeugen beim Betreten der Ausstellung Hysterical Mining ein merkwürdiges Gefühl in mir. Die knallige Farbe fühlt sich kalt an, obwohl sie gleichzeitig Wärme absorbiert und Kälte abgibt. Der Ausstellungsraum selbst, eine Art Bluebox, ist mit Videoinstallationen und skulpturalen Objekten von 16 KünstlerInnen, davon zwölf weiblich, gefüllt.
Nach näherer Betrachtung einiger Arbeiten und des Booklets erschließt sich, da es ansonsten kaum textuelle Werkaufschlüsselungen gibt, dass es sich bei dieser blau eingefärbten thematischen Gruppenschau um eine feministische Aufarbeitung eingesessener Genderdualismen handelt. Bei dieser Reinterpretation von Technofeminismus habe ich das Gefühl, dass die blaue Farbe deshalb eingesetzt wird, um üblicherweise farblich pink eingefärbten feministischen Arbeiten ein neues Aussehen zu geben.
Laut Booklet verwendet die Ausstellung den Begriff hysterical als Gegenpol zu Jean-Martin Charcot pathologischem Bild der gereizten Frau und stellt diesem mining, was unter anderem Förderung oder Minenaushebung bezeichnet, zur Seite. Während die feministische Theoretikerin Donna Haraway bereits in den 1980er-Jahren die Figur des Cyborgs für ihr feministisches Anliegen, Genderdualismen aufzubrechen, neu konfigurierte, scheinen einige der ausgestellten Arbeiten jedoch noch immer damit zu hadern, Weiblichkeit und Männlichkeit gemeinsam – also jenseits der Binarität – thematisieren zu können. Vielleicht bekomme ich diesen Eindruck deshalb, weil die Materialien der skulpturalen Objekte und die Videoarbeiten keine klare kritisch affirmative oder negierende ontologisch-verkörperte Position beziehen.
Judith Fegerls entmagnetisierte Edelstahlobjekte, the kitchen was what she had given of herself to the world (2019), haben die Form von Küchenherden. Die Metalloberfläche der Küchenkuben weisen große, runde Brandstellen auf, die durch induktives Erhitzen entstanden sind. Die minimalistisch und üblicherweise mit harter Männlichkeit assoziierte Hardware des Herds, die aus Metall besteht, wird somit ihrer männlichen, materialbasierten Stärke als auch gleichzeitig ihrem redundanten Symbol der (Haus-)Frau entzogen. Sowohl Mann als auch Frau kochen jedoch heute immer noch Essen auf der Herdplatte – in der Küche, die noch immer der Magnetpunkt eines Wohnraums ist.
Die materialbasierenden Arbeiten Hamilton Beach (2016) von Trisha Baga und Étagère (2007) von Delphine Reist greifen die Idee des Handwerks bzw. der Hausarbeit weiter auf und spielen mit der Oberflächenstruktur und den Verwendungsarten von mit der Hand bedienbaren Haushaltsobjekten. Während Hamilton Beach ein elektrischer, handgemachter glasierter Toaster ist – also das Gegenteil eines maschinell erzeugten Herds –, hat Reist elektrisch angeschlossene und selbstgesteuerte Bohrer zu einer Regalinstallation zusammengesetzt. Die Bohrer, im Gegensatz zum stillen Brottoaster, schalten sich von selbst ein, wenn die BesucherInnen dem Ausstellungsregal näherkommen, und haben auch schon einige Kerben in die Glaswand der Montur geschlagen.
Im Gegensatz zu diesen Arbeiten rückt die Videoinstallation Ultra Wet-Recapitulation der aus Französisch-Guayana stammenden Künstlerin Tabita Rezaire die Balance und das Zusammenkommen von männlicher und weiblicher Energie in den Mittelpunkt. In der Videoinstallation, die die Form einer Pyramide hat, zelebrieren vorwiegend Frauen of Color, die Künstlerin selbst miteingeschlossen, ein Image von idealistischer geschlechtlicher Ein- und Gleichheit. Die farbenreichen, projizierten Bewegungsbilder von Rezaires, die sich auf ihrer Website als „mental health professional“ und „technopolitical researcher“ bezeichnet, erinnern allerdings eher an Technoschamanismus und Esoterik, anstatt eine klare Kritik an Genderdualismen zu üben. Unterhaltsam ist die Arbeit allemal.
Unter den 43 ausgestellten Arbeiten befindet sich auch Marlene Maiers Video Unreal Engines (2019). Zwei auf dem Boden montierte mittelgroße Monitore zeigen sich ergänzende, zeitversetzte Bewegungsbilder. Aufgeladen durch philosophische Textpassagen führen eine männliche und eine weibliche Offscreen-Stimme durch das Video. Zu sehen ist eine virtuell erzeugte Montagewelt, die aus Auszügen von Chatrooms und Tutorials aus der Videogaming-Welt zusammengesetzt ist. Gegen Ende der Arbeit heben die Stimmen hervor, „shadows are especially hard to render“, was sich auf die Gamingwelt bezieht. „A world exactly like this one just the sun and some clouds. […] In a virtual environment, you don’t get shadows for free like you would in the real world.“ Die Künstlerin lenkt dabei den Blick auf die Unendlichkeit von Flächen, zum Beispiel auf die von Wasser, des Sternenhimmels und Bodens. Das Herz dieser virtuellen Mediation von Schatten geht auf, da wir in so einem Wasser-Mond-Sterne-Land-Universum, welches das Video virtualisiert zeigt, doch hauptsächlich uns selbst zu finden versuchen. Reale Schatten, unsere eigenen miteinbegriffen, sind hier in einer Raum-Zeit-Konstellation, die sich in einer unendlichen Feedbackschleife zwischen virtuellen, gedanklichen und materialbasierten Realitäten befindet, aufgespannt.
Paradoxerweise, umso virtueller, also umso weniger materialistischer sich der Technofeminismus hier selbst zu reflektieren versucht, desto abstrakter und unnahbarer werden die Bezüge zu Gender und Technologie. Das ist einer der Gründe, warum sich Haraway stets auf ein situationsbezogenes und gesellschaftlich verankertes (weibliches und feministisches) Subjekt bezieht, um ihren politischen Impuls klar in den Vordergrund zu stellen.
Ist man gut eingelesen in feministische Technoscience-Literatur, wird klar, welche Arbeiten in der Ausstellung Fragen aufwerfen, Ideen miteinbringen und welche nicht. Falls das nicht der Fall ist, kann ja noch Zeit im zweiten Ausstellungsort am Karlsplatz verbracht werden, wo sich unter anderem die gut selektierte Bibliothek der Kuratorinnen Anne Faucheret und Vanessa Joan Müller befindet. Dass den BesucherInnen in dem – auch international immer öfter zu beobachtenden – textlosen Ausstellungsdisplay der Genderfokus nicht aufgedrängt wird, ist nicht uninteressant – aber ob allein die optisch durchaus stimulierende Erfahrung Genderdualismen entgegenwirkt, ist wieder eine andere Frage.