Heft 4/2019 - Artscribe


Margaret Harrison – Danser sur les missiles

28. Juni 2019 bis 6. Oktober 2019
49 Nord 6 Est Frac Lorraine / Metz

Text: Gislind Nabakowski


Metz. Sie verdreht die Hierarchien zwischen den Genres. Sie holt Popkultur auf die kritische Ebene. Dafür benutzt sie Superheros des nordamerikanischen Comics oder kreiert selbst welche. Sehr bunt treten sie in High Heels an, markant muskulös, umhüllt vom Union Jack. Bilder von Waffen sah ich in Metz: Revolver, Stein, Hammer, Telefon, Raketen. Binnen 15 Sekunden schlagen sie am Ziel ein. Die Britin Margaret Harrison (*1940, Yorkshire) ist eine große Präzisionistin mit genial wachem Humor. Ein Model, das sie amüsiert ,,feminisiert“, ist der Industrielle und Playboy-Chefredakteur Hugh Hefner. Seine Marke, Alpha-Bunny-Clubs, Animierdamen, mit denen er es zum Millionär brachte, sie waren der Renner. Harrisons Satire He‘s only a Bunny Boy, but he‘s quite nice, really (1971) wurde hingegen erst 2011 in einer 100er-Auflage zur Edition. Hefners Penis ist da ein Kopf mit Hasenöhrchen. Weich. Niedlich kindlich, passiv. Gute Bunnys sind Serviererinnen, Rennerinnen. Sein Erfolg war die Durchsetzung des profitablen, rationalen Prinzips an Frauenkörpern. Das ist Gendermarketing. Entsprach eine nicht dem Ideal, wurde sie gefeuert.
Als Harrison das Blatt mit Hefner drauf in ihrer ersten Ausstellung in Londons Motif Editions Gallery 1971 zeigte, wurde es von der Wand geklaut. Im ICA (London 1974) waren Suzanne Santoros selbstbewusste Rivolta Femminile-Klitorismotive Zensuropfer. Auch Kunsthistorikerinnen zensierten bekanntlich Santoros Selbstbestimmung weiblicher Sexualitäten. Harrison geht davon aus, dass ihre Zeichnung im Auftrag gestohlen wurde. Die Polizei in London zensierte sie auch. Ihre Blätter zur Unterwerfung von Frauen blieben 1971 indes unbeanstandet. Sie zog binäre Genderrollen durch den Kakao: Ums Haupt des erfolgreichen Chefs des Männermagazins band sie Löffelohren. Er raucht Pfeife, hat Korsett, Strapse, Wespentaille: Er kniet. Seine Brüste, na ja, sind, was Normalo-Machos ,,scharf gemacht“, nennen. Es gibt auch bei Harrisons Captain America-Satiren, denen sie ,,perfekt“ dicke Fake-Busen gab. Die Chronistin des amerikanischen Women’s Comic und der Zines, Trina Robbins, sagte mir mal, junge männliche Coimiczeichner in den USA wissen nicht, wie Frauen aussähen. Sie wissen nur, wie sie in Comics aussehen.1
Echt hart war die Reagan-Ära. Der Jazzfan, feuchtfröhliche Partynarr, vielfache Vater Hefner sah sich als Rebell, Aufklärer gegen Präsident Reagans Puritanismus. Mag ja was dran sein. Irgendwann (Wiki-Quelle) soll er es geschafft haben, mit sieben Frauen von 18 bis 28 Jahren gleichzeitig zu leben. Von selbst gingen vier. Es blieben drei. Auf dass niemand meint, Gleichzeitigkeit sei Vielweiberei. Für wahr halte ich, dass er eine, fünf Jahre vor seinem Tod, Weihnachten 2012 nach Verlobung, Trennung und erneutem Zusammenkommen öffentlichkeitswirksam zur Gattin kürte: Happy End. Crystall Harris, dies letzte Hasi war 60 Jahre jünger als Papa Hef, mit dem sie bis in den Ehehafen kam. Daten, übertriebene sexuelle Codierungen, Spektakel sind Sichtbarkeitsökonomien.
Als letzte Ruhestätte kaufte er ein Grab neben Marilyn Monroe (1926–62), das erste Covergirl von Playboy (1953). Für 50 Cent das Stück ging der erste Playboy inklusive Klappposter im Inneren fix weg. Kultige Promisemmel. Anhand der Zeichnung ihrer ikonischen Nasenlöcher, nur so zum Beispiel, weiß man: Marilyn. Anonym. Der Mordfall bloß zum Teil aufgeklärt. Wer liest denn ihre Gedichte? Der Kapitalismus feiert seine Unterwerfungen schließlich doch zynisch als sexuelle Freiheiten, idolisiert und idealisiert zum höchsten Sexgenuss. Harrisons Satire rührt an Verdrehtes, an Absurditäten und spiegelt sie auf Hefner. Indem er viele zu Häschen macht, hielt der Captain ihre Sexualität unter Kontrolle.
Die emblematische Retrospektive zu Narrativen der Britin mit den Cruise-Missiles im Titel wird im 49 Nord 6 Est Frac Lorraine von der neuen Direktorin Fanny Gonella gezeigt. Über Jahrzehnte blieb Harrisons Kunst verborgen. Sie genießt erst eine Rezeption, seit sie 72 wurde.
Was haben Feminismen – die wie wir im Plural, nicht männlich-weiß, nicht universell in Diversität dachten – mit heute zu tun? Sehr viel. Der Ton der 1970er-Jahre-Bilderbögen war anders. Was ist mit Widerständen? Auf Cruise-Missiles tanzen – ,,tanzen auf dem, wovor man Angst hat“. In Metz ist dem ein großer Diary-Raum gewidmet: Common Land (1982–2012). Er blättert mit Objekten, Fotos, Malerei, Zeichnungen und Texten auf, wie Aktivistinnen 1989 erfolgreich waren, einen US-Truppenübungsplatz in Großbritannien zu schließen. Existiert hatte er 18 Jahre. Sie tanzten am Ende auf den Missile-Silos. Es geht um Beständigkeit.
Assoziativ gereiht ist Anonymous was a Woman (1977–91), man sieht Monroe und acht andere Frauen. Fast alle starben tragische Tode. Ein Spannungsfeld der Link zwischen Unsichtbarkeit und Berühmtheit: Statistik, die weiter ausgreifen könnte. Ein handschriftliches Blatt zu Dorothy Wordsworth, William Wordsworths unbekannter Schwester, gibt es, malerisch schöne Großaquarelle zum Farnkraut sowie soziologisch Reflektiertes zur Hausfrauenprostitution, zu Heim- (je Stunde bei Erhöhung 5 Cent) und Fabrikarbeit.
Kein Abgrund trennt uns von gestern, sondern die global veränderte Weltlage. Wer Harrisons kluges Tun für Menschenrechte als Altfeminismus diskriminiert, zielt gegen Demokratie. Auch Bürgertum und blasiert ,,gebildete“ SponsorInnen beteiligen sich an Ausgrenzung. Museen geben sie Geld. Beim Wort Feminismus verdrehen sie die Augen.2 Gestrige, die von zeitgenössischer Kunst Erbauung fordern. Durch Jahrhunderte sind Feminismen geprägt. Das Wort existiert seit 1837. Seine Aufnahme ins Oxford English Dictionary geschah 1895. Derweil die Vielzahl von Backlashs fast unaufgeklärt blieb. Zum Thema verschärftes Politklima: Kriege kamen nach 1989 bald in die Milieus zurück. Missile-Standards wurden verschärft.

 

 

1 Vgl. Gislind Nabakowski, Männer haben keine Ahnung, wie Frauen aussehen, Comics für Girls und Grrrlz: Trina Robbins rollt im Künstlerhaus Stuttgart eine Geschichte der Bildgeschichte auf, in: FAZ, 25. Mai 2001.
2 Franziska Leuthäußer im Gespräch mit der ersten Kunstszene der BRD, in: https://cafedeutschland.staedelmuseum.de/gespraeche/ulrike-rosenbach.