Heft 4/2019 - Artscribe


Nona Inescu – Corporealle

6. Juli 2019 bis 1. September 2019
Künstlerhaus Bremen / Bremen

Text: Moritz Scheper


Bremen. Mit dem Fortschreiten des Klimawandels über die nächsten Kippunkte hinaus zeichnet sich immer mehr ab, dass die Tragik der Allmende das zentrale Problem der Menschheit ist und aller Voraussicht nach auch ihr Untergang wird. Die Herauslösung des Menschen aus seiner Umgebung, wie ihn die abendländische Philosophie von Beginn an betrieben hat, kehrt sich heute als Vernichtungsmaschine gegen ihn. Dieser (auto-)destruktiven Wirklichkeit stellt die rumänische Künstlerin Nona Inescu ganz allgemein, insbesondere aber auch in ihrer Ausstellung Corporealle, einen empathischen, kosmologischen Ansatz entgegen, der die Versöhnung des Menschen mit der Natur zelebriert. Da ist die Serie von S/W-Fotografien Concretions (Geophilia) (2017), die eine junge Frau beim Umarmen großer Findlinge zeigt. Mal legt sie ihren Körper in einer großen Mulde ab, ein andermal streichelt sie über die bemooste Oberfläche der Steine, einmal versenkt sie sogar beinahe leidenschaftlich ihren Arm in einem dunklen Spalt. Das kontrastarme digitale Schwarz-Weiß lässt die Unterschiede zwischen organischem und anorganischem Körper zusätzlich verschwimmen, was sicherlich kein Zufall ist. Drei dieser Steine, Trovante genannt, aus Sandsteinkonkretionen in der Gegend um Costesti, Rumänien, finden sich auch im Ausstellungsraum, eingespannt in ein Geschirr, das man ob des schwarzen Leders und der eisernen Ketten mit SM-Praktiken in Verbindung bringt. Dadurch geschieht eine Umdeutung der anorganischen Steine zu organischem, vielleicht menschlichem Fleisch. Dass die Steine in diesen Arbeiten, Litho/Swing i + II (2017), allesamt die Form einer einzelnen weiblichen Brust haben, verstärkt diese Verwandtschaft sogar noch. Apropos Schwesternschaft: Gerade Arbeiten wie Concretions beziehen sich stark auf Vorgänger der Land Art, etwa Nancy Holt, vor allem aber Ana Mendieta, bei der die Natur immer eine aggressive feindliche Übermacht einnahm. Inescus Zugang wirkt gerade im Vergleich dazu hippiesk, new-agey, vielleicht sogar naiv, was als Urteil wohl zu harsch wäre. Denn zum einen ist die Verletzlichkeit von Natur heute viel stärker im menschlichen Bewusstsein, zum anderen schließt in Inescus Arbeit genau genommen die Frau eine Allianz mit der Natur, nicht der Mensch. Ausgespart bleibt der Mann, für den die feindliche Umwelt bei Mendieta als Statthalter fungierte. Inescu verbindet das sehr zurückgenommen und dennoch klar in der Sache mit einem Körperbild, das sich ebenfalls von männlicher Normierung freimacht. So nimmt das Video Vestigial Structures (2018) die in den Fotografien eröffnete Verbindung steinerner und fleischlicher Körper auf, thematisiert sie aber zum einen in Farbe, zum anderen im Bezug auf den queeren Körper. Exemplarisch dafür ist eine bildnerische Analogiebildung zwischen Beinbehaarung und dem Moos auf den Steinen. Auch wenn der sprachliche Nachvollzug anderes vermuten lässt, gelingt es der Künstlerin zu jedem Zeitpunkt, solche Beziehungen nicht unterkomplex simpel herzustellen. Jede Geste sitzt und verweist auf mehrere andere Arbeiten im Raum, wodurch in der Ausstellung ein enges Netz aus Interdependenzen entsteht, einem symbolischen Ökosystem nicht unähnlich, was sicherlich kein Zufall ist. Selbst das Motiv der Hand, in der Kunst ja wahrlich inflationär genutzt, kommt hier pointiert zum Einsatz. Etwa in der gemächlich-beruhigenden Animation Ariel’s Song (2018), in welcher die Knochenstruktur einer menschlichen Hand zum Bett für eine Koralle wird. Die Farbfotografie Reef wiederum zeigt eine Formation aus acht oder neun Unteramen und Händen, die sich luftig verschränkt berühren, dabei aber als Ganzes die Form eines Korallenriffs simulieren. Auf einer weiteren Fotografie, Lithosomes (2017), einmal mehr in Schwarz-Weiß, halten zwei Hände einen sonderbaren Stein, der wie ein siamesischer Zwilling der Venus von Willendorf aussieht. In all diesen Arbeiten nivellieren die Grenzen von Berührung, Caring, individuellem und gemeinschaftlichem Körper, wobei gerade der weibliche Körper immer wieder eine Hervorhebung erfährt. Wirklich wundervoll ist, wie Inescu ihr Handmotiv in Fenestration (after Monstera deliciosa) (2019), aus einigen verstreuten Fingerformen, mit Buttermilch auf einer Fensterscheibe aufgebracht, transzendiert. Denn tatsächlich spielt sie hier nur mit der Anmutung einer Hand (inklusive aller motivischen Implikationen), bildet aber eigentlich die „Fenster“ der populären Zimmerpflanze Monstera deliciosa ab. Diese Fenster an den Rändern der Blätter bildet die Pflanze immer in Hinblick auf die anderen Blätter; dort, wo Licht gebraucht wird, formen die Blätter Öffnungen aus. Die grazile Arbeit steht als Allegorie auf fürsorgende Anpassung zentral für die Ausstellung und Inescus Position im Allgemeinen. Ein bisschen Umsicht, etwas mehr Fürsorge, und die globale Katastrophe könnte noch vertagt werden.