Heft 1/2020 - Lektüre



Martina Griesser-Stermscheg/ Sebastian Hackenschmidt (Hg.):

Bunt, sozial, brutal

Architektur der 1970er Jahre in Österreich. Fotografiert von Stefan Oláh

Salzburg (Verlag Anton Pustet) 2019 , S. 74 , EUR 35

Text: Patricia Grzonka


Waren die 1970er-Jahre in Österreich ein vorwiegend optimistisch geprägtes Jahrzehnt? Jenseits einer nostalgischen Verklärung durch Slogans wie „Wickie, Slime und Paiper“ scheinen sowohl die Nachwirkungen der 68er-Bewegungen – „Arbeite nie!“ – als auch eine dezidierte technologische Unbeschwertheit bis heute spürbar, sodass sie als allgemeines Charakteristikum der Zeit gelten können. Aber vielleicht ist diese Einschätzung doch nur einem kollektiven Sehnsuchtsmoment ebenjener Generation geschuldet, die mit der bisweilen verstörenden Unübersichtlichkeit der jetzigen Epoche schlecht zurande kommt. – Wie auch immer. Das Buch Bunt, sozial, brutal. Architektur der 1970er Jahre in Österreich bietet glücklicherweise keinen sentimentalen Rückblick auf ein verflossenes Jahrzehnt mit infantiler Nabelschau, sondern bildet mit der Baukultur einen wesentlichen Aspekt der gesellschaftlichen Realität jener Jahre ab. Rund 40 Bauwerke präsentiert die Publikation, die, so die HerausgeberInnen Martina Griesser-Stermscheg, Sebastian Hackenschmidt und Stefan Oláh, möglichst nah am Originalzustand geblieben sind, sodass sie sich noch „in ihrer ursprünglichen künstlerischen Intention“ abbilden ließen.
Die schrille Grundfärbung und das Nebeneinander von scheinbar Unverträglichem prägen dabei den Stil des Gebauten – man klotzte gerne, wenn es möglich war (Wohnung Klobučar, Wien/Hermann Loos und Oswald Stimm), versuchte sich aber auch in sozialen Utopien (Botschaft der Republik Kugelmugel, Wien/Edwin Lipburger). Den repräsentativen Traum vom Eigenheim erfüllte man sich mit symmetrischen, plastisch durchgestalteten Baukörpern samt passendem Gartenpavillon (Villa Wittmann, Etsdorf a. Kamp/Johannes Spalt), daneben finden sich aber auch spätfunktionalistische Betonwohnburgen, deren vielleicht etwas trist anmutendes graues Erscheinungsbild vor allem durch das bereits von Anfang an intendierte, wuchernde Grün aufgehoben wird (Terrassenhausiedlung St. Peter, Graz/Werkgruppe Graz). So entsteht retrospektiv der Eindruck einer gewissen Experimentierfreudigkeit, die auch vor einem Bankgebäude nicht haltmachte: Auch heute noch beeindruckt die 2005 unter Denkmalschutz gestellte ehemalige Zentralsparkasse in Wien-Favoriten (Günther Domenig, 1975–79) mit ihrer biomorphen Stahlfassade. Im Erdgeschoss mit seiner größtenteils noch originalen Ausstattung und einer fantastisch ungeordneten offenen Haustechnik befindet sich heute ein Koffergeschäft. Längst hat sich also ein Epochenbruch bemerkbar gemacht, der sich in solchen ökonomisch bedingten Asynchronizitäten auch in der Benutzung der Gebäude ausdrückt.
Die Fotografien des Bildbands stammen ausnahmslos aus der Jetztzeit. Stefan Oláh, der bereits mehrere Bestandsaufnahmen historischer Architekturen in Österreich vorlegte, fotografierte dabei konsequent mit analoger Großformatkamera. Er retuschiert nicht und schneidet die Bilder auch nicht nach. So entstehen ungeschönte, nicht idealisierte Abbildungen der architektonischen Objekte, und gerade dadurch erhalten sie so etwas wie überzeitliche Bedeutung. In ihrer Nüchternheit stellen diese Bilder eine würdige Antithese zu den gängigen hochgepushten Digitalfotos der kommerziellen Architekturfotografie dar. Oláh kann dabei auf keine fixe Auftraggeberschaft zurückgreifen, er lanciert seine Buchprojekte zusammen mit einem Team in Eigeninitiative.
Mit der Beschränkung auf Architekturen, die nicht unter Postmoderneverdacht stehen, vermittelt die Projektauswahl der HerausgeberInnen allerdings auch ein etwas einseitiges Bild der 1970er-Jahre. Namen wie Hans Hollein, Coop Himmelb(l)au oder viele andere, die damals zu entwerfen angefangen haben, sollen in einen Folgeband aufgenommen werden. Es zeigt sich hier, dass die Abbildbarkeit eines Jahrzehnts nicht unbedingt mit einem Epochenschnitt kongruent ist. Oláhs Fotografien korrespondieren in diesem angenehm unaufgeregten Band jedenfalls perfekt mit jener „semantischen Enthaltsamkeit“ der Baukultur, wie es der 2019 verstorbene Architekturpublizist Friedrich Achleitner in seinem Essay, der hier wiederabgedruckt ist, genannt hat.
Eine Besonderheit von Oláhs Fotos ist die fast gänzliche Absenz von Menschen. Das fällt vor allem dort auf, wo sich Innenräume aus ihrer Entstehungszeit – scheinbar konserviert –erhalten haben, wie in der Schaltzentrale (sic!) des nie in Betrieb gegangenen Atomkraftwerks Zwentendorf von 1973, einem tollen Beispiel für eine sich selbst überlebt habende Moderne. Aber auch der spacige Partyraum von Verner Panton (1970–71), der sich irgendwo an der Wiener Peripherie befindet und der letzte original erhaltene Innenraum Pantons ist, strahlt etwas Museales aus. Oláhs Fotos dokumentieren damit auch einen zum Teil prekären Ist-Zustand, denn nicht alle abgebildeten Bauten der 1970er-Jahre werden als erhaltenswürdig eingestuft – vielmehr sind mindestens zwei der gezeigten Beispiele bereits abgerissen worden: das am Stadtrand von Wien gelegene markante Rinterzelt (Lukas Matthias Lang) und Harry Glücks Rechenzentrum in der Nähe des Wiener Rathauses, dessen Nachfolgebau bald fertiggestellt wird.