Heft 1/2020 - Netzteil
Noch fliegen sie uns nicht um die Ohren. Zumindest nicht in den westlichen Metropolen. Auch wenn Drohnen als fliegende Transportmittel und ferngesteuerte Waffen unaufhaltsam an Bedeutung gewinnen. Allein für Deutschland wird für 2020 prognostiziert, dass 1,2 Millionen solcher Fluggeräte durch die Lüfte schwirren. In Österreich stehen Industriebetriebe wie der Airbus- und Boeing-Zulieferer FACC in den Startlöchern, um gemeinsam mit dem chinesischen Start-up und nunmehrigen Topproduzenten Ehang mit Sitz in Guangzhou und Peking die Produktion automatischer Flugtaxis aufzunehmen.
Dass sich dieser Boom im Bereich der Kunst bisher hauptsächlich in Einzelprojekten spiegelte, die oft genug Eventcharakter haben, wie etwa das Drone 100-Himmelsballett mit Quadcoptern aus der digitalen Werkstatt des Ars Electronica Futurelab, liegt in einem inhaltlichen Moment begründet. Zwar greift die Kunst neue technisch-wissenschaftliche Entwicklungen stets im Nu auf, doch nicht immer steht dies in Korrelation mit einem neuen Stil, einem Genre oder zumindest einer übergreifenden kritischen Praxis der Visualisierung.
Auch handelt es sich auf der Ebene digitaler Steuerungssysteme, was Funkübertragung und Flugtechnologie betrifft, eher um eine graduelle Veränderung und nicht um eine grundsätzliche, wie dies beispielsweise bei der Einführung des Internets der Fall war.
Dennoch lässt sich eine Beschleunigung jener Prozesse registrieren, die unterschiedliche Methoden der mathematischen Mustererkennung einsetzen, um autonome Bewegungsabläufe mobiler Maschinen zu ermöglichen. Dies bedeutet, Maschinen jene Steuerungswerkzeuge zu implementieren, welche sie dereinst zu selbstständigen Entscheidungen befähigen könnten. Drohnen könnten in naher Zukunft befähigt sein, Strukturen des ehemals Realen effizient abzuspeichern und in die Logik ihres eigenen Handelns einzubauen.
Warum die Flugkörper unsere urbanen Räume immer noch nicht überschatten, liegt wohl daran, dass die Garantien zur Aufrechterhaltung der notwendigen Sicherheitsstandards im aktuellen Stadium aus legistischen, aber auch technischen Gründen noch nicht gegeben sind. Allerdings bahnt sich eine Entwicklung an, in der 5G- oder später sogar 6G-Standards der digitalen Kommunikation in Kombination mit Prozessen autonomer Orientierung unser bisheriges Verständnis von Mobilität, aber auch jenes der Wahrnehmung von Raum komplett aus den Angeln heben könnten.
Einstweilen überschlagen sich Berichte über die neuen Einsatzgebiete unbemannten Fluggeräts, etwa wenn Huthi-Rebellen mit einer Drohnenarmada die Ölfelder im Osten Saudi-Arabiens verwunden. Oder wenn Drohnen des amerikanischen Flugunternehmens Zipline Versorgungsflüge in schwer zugängliche Gebiete von Ruanda und Ghana durchführen. Gefördert werden solche Projekte – dort, wo der Luftverkehr noch wenig frequentiert und die Zulieferung von Medikamenten und Nahrungsmitteln unter prekären Bedingungen leidet – von der Bill & Melinda Gates-Stiftung und der WHO.
In Bezug auf aktuelle Kunstprojekte vergrößert das Einsickern der zunehmend optimierten Flugapparate vor allem das Repertoire möglicher Blickbeziehungen per mobil dahinsausender Bordkamera. Bezogen auf den militärischen Kontext hat der französische Philosoph Grégoire Chamayou die aus der Konstituierung eines erweiterten Sichtfelds resultierenden Folgeerscheinungen herausgearbeitet.1
Diese beinhalten den Aufbau eines technisch basierten Verhältnisses zwischen dem Operateur der Drohne im abgesicherten Schaltraum und einem geografisch weit entfernt liegenden Zielgebiet. Durch die Verschiebung von Entfernung und Reichweite konstituiert sich eine neue Hegemonie über Orte und Menschen per Fernsteuerung. In ihrem ergreifenden Dokumentarfilm National Bird beleuchtete die Regisseurin Sonia Kennebeck schon 2016 die psychischen Katastrophen auf beiden Seiten – jene im Leben einer jungen Täterin aus der US-Army und die Verletzungen innerhalb einer meistenteils familiär verbundenen Gruppe von Opfern in Afghanistan, die noch dazu wegen eines grauenhaften Versehens beschossen worden ist.
Als eine der ersten Bestandsaufnahmen der Übersetzung des Blicks von oben per Drohne oder Quadcopter, wie die auf mehreren Rotorsystemen aufgehängte Version der Minifluggeräte häufig genannt wird, in das Format der Ausstellung überzeugte zuletzt Game of Drones im Zeppelin Museum Friedrichshafen – nicht allein durch den konsequent durchgehaltenen kritischen Ansatz, sondern auch wegen der inhaltlichen und ästhetischen Vielfalt der gezeigten Werke.
Nicht alle davon transportieren den von Kriegseinsätzen herrührenden Mythos des Gefährlichen. So betreibt etwa der häufig mit dem Dubstep-DJ und Soundproduzenten Kode9 kollaborierende Künstler Lawrence Lek in seiner computeranimierten Videoinstallation Geomancer eine spekulative Archäologie der Zukunft. An der Schnittstelle zwischen sich verselbstständigender Drohnentechnologie und Mensch gewinnt darin ein Satellit Konturen als Künstler, dessen kreativen Energien sich algorithmisch aus Artificial Intelligence nähren.
Welche Handlungsräume sich durch die neue Flugtechnologie für aktivistisch angelegte Projekte eröffnen können, bildete ebenfalls einen wichtigen Themenbereich. Im Feld der Realpolitik hatten bereits die Straßenproteste in Moskau 2017 gezeigt, welchen Aufruhr Bilder von sonst unter Verschluss gehaltenen Wirklichkeiten auslösen können. In diesem Fall war es das Publikmachen der per Drohnenspionage entstandenen Dokumentation über die milliardenschweren Villen des russischen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew durch Alexei Nawalny.
In der Ausstellung Game of Drones agiert die kanadische Künstlerin Frédérick A. Belzile ebenfalls auf dem Terrain der Intervention. Ihre Videoarbeit Eyes in the Sky (2017) basiert zwar auf Rechercheaufnahmen per Drohnenflug, bezieht aber zugleich die Dimension des Poetischen und Mystischen ein. Schauplatz ist der Bau der Dakota Access Pipeline in den USA. Im Zuge der Protestaktionen gegen die Gefährdung von Trinkwasserreserven und die Verletzung indigener Landrechte werden Drohnen zu Dokumentationszwecken vor Ort eingesetzt. Aus dem resultierenden Online-Livestream bezieht die Künstlerin ihr Videomaterial. Dieses aber ist mit Sound des Drohnenpiloten „Drone2Bwild“ unterlegt, der Drohnen als spirituelle Erweiterung seines Geists versteht – sie erleichtern ihm die Imagination des Fliegens. Von diesen Narrativen ausgehend verschränkt Belzile verschiedene Ebenen, etwa die spirituelle Aneignung von Drohnentechnologien mit deren gleichzeitiger Verwendung als Widerstandsinstrument.
Eingebettet in eine Szenografie, deren Unterteilungen hauptsächlich auf den Farbflächen einer imaginierten Wärmebildkamera basieren, entfaltet sich im Zeppelin Museum ein konzentriertes Projekt mit Laborcharakter. Themen wie Überwachung und ferngesteuerte Tötung von oben, aber auch die Auseinandersetzung mit wirtschaftlich motivierten Engriffen in die Naturlandschaft und das Ökosystem finden sich in nicht viel mehr als zehn Positionen verdichtet. Dass gerade hier, an einem der hochfrequentierten Brennpunkte des Bodensee-Tourismus, das vermehrte Einsickern von Drohnen in die Gegenwartskunst reflektiert wird, könnte überraschen. Selbst in der lokalen Fußgängerzone wirkten die Ankündigungen mit ihrer Anspielung auf die US-Fantasy-Serie ähnlichen Titels etwas exotisch und stellenweise verloren. Doch allein schon aus der programmatischen Logik einer Institution, die sich in einem dualen Rahmen von Technik und Kunst sieht, drängt sich eine solche Bestandsaufnahme geradezu auf. Mit Fokus auf die historische Entwicklung der Luftschifffahrt als international einzigartigem Kerngebiet und einer Kunstsammlung der Moderne des 20. Jahrhunderts versucht das Zeppelin Museum nämlich einen teils abenteuerlichen Spagat zwischen Momenten technischer Neuerung und ästhetischer Avantgarde. Aus der Zusammenführung der beiden Stränge ergeben sich Medienausstellungen – etwa zum Thema Virtual Reality –, die angelegt sind wie Konzentrate, in der jede einzelne künstlerische Arbeit exemplarisch für einen ganzen Themenkomplex steht.
Dem Vorhaben, einen kritischen Diskurs über eine technische Entwicklung zu initiieren, welche im Begriff ist, das Antlitz des 21. Jahrhunderts nachhaltig zu verändern, kommt die inhaltliche Diversität des Hauses durchaus entgegen. Eröffnet wird so ein Spannungsfeld zwischen realen Objekten aus dem militärischen Bereich mit Schaustücken, die sonst kaum Einzug in ein Kunstmuseum halten würden, und Werken der bildenden Kunst. Gleich zum Auftakt wird das Publikum beispielsweise wie in einem Heeresmuseum mit der weitverbreiteten Flugzieldarstellungsdrohne DO-DT25 konfrontiert, die von Airbus Defense and Space entwickelt worden ist. Der autonome Flugkörper dient in erster Linie zur Simulation von bedrohlichen Objekten, die von radar- und infrarotgelenkten Systemen angegriffen werden sollen.
In unmittelbaren Dialog mit einer Installation Martha Roslers gesetzt, bleibt hier die Frage nach dem Unterschied zwischen dokumentarischem Objekt und künstlerischer Arbeit im Hintergrund, verschmelzen doch beide Momente zu einer einzigen signifikanten Szene. Im Cinemascope-Format breit entrollt, reflektieren Texte, Grafiken und Bildmaterial in Roslers Wandinstallation Theater of Drones den Einfluss von Drohnen als Instrumenten der Überwachung bzw. die Frage, welche Auswirkungen dies auf unser Verständnis von Privatsphäre und den Status von Menschenrechten mit sich zieht. Ursprünglich entstand die Arbeit für das Fotografiefestival LOOK3 2013 in Charlottesville, Virginia. Die Stadt ist ein Zentrum des Anti-Drohnen-Aktivismus in den USA.
Nicht fehlen durfte natürlich auch die international häufig gezeigte Videoarbeit 5000 Feet Is the Best von Omer Fast, die in einer Abfolge mehrerer variierter Szenen das vielfach thematisierte Töten vom Schreibtisch aus (mit einer Predator-Drohne) durch einen Soldaten der US Air Force in Form eines Reenactments aufgreift. Grundlage dafür sind Interviews des Künstlers mit einem ehemaligen Drohnenpiloten, der unter posttraumatischen Stressattacken leidet. Wer anschließend in das Video mit dem traurigen Song von Anohni, Lead-Sänger(in) der Band Anthony and the Johnsons, stolpert, in dem der Verlust der Eltern durch einen Drohnenangriff aus Sicht eines afghanischen Mädchens betrauert wird, dem/der vermittelt sich eine ergreifende Dramatik, in der jene politischen Werke, die Drohnen als Mittel zur Recherche und Aufklärung einsetzen, geradezu verblassen.
Litte ja Goabddá (Drones and Drums) von Ignacio Acosta wäre eine solche Arbeit. Darin untersucht der Künstler die Verwendung von Drohnen durch das nordskandinavische indigene Volk der Sami als Instrument des Protests gegen ein Bergbauprojekt im schwedischen Gállak. Zunächst überraschend nutzen die Sami Drohnen als Navigationsinstrumente; eine Funktion, die vormals die Trommel hatte und nun von einem technischen Gerät zur (Gegen-)Überwachung der Zerstörungen am Ökosystem übernommen wurde.
Gerade ein Museum mit signifikantem Technikhintergrund setzt damit einen kritischen Kontrapunkt zu einem Programm, das bisher nur allzu oft die Geschichte von „Pionieren“ und „Innovationen“ erzählte und die fatale dystopische Dimension technischer Weiterentwicklungen weitgehend ausblendete; auch wenn die Geschichte des Zeppelinflugs selbst mit einer Katastrophe ihren Abschluss fand. Nur teilweise stimmt es in diesem Bereich, dass das Militär – wie so oft – Brennpunkt der Neuerung ist. Wenige Hundert Meter entfernt vom Zeppelin Museum experimentiert der deutsche Autozulieferer ZF Friedrichshafen seit November 2018 auf seinem Werksgelände mit automatisierten Transportdrohnen. Insgesamt jedoch zeichnet sich mit der Ausstellung Game of Drones eine Richtung ab, wie ähnlich gelagerte Projekte die technologisch bedingte Verschiebung von Nähe und Entfernung und den daraus resultierenden Wandel von Kontrolle und Gewalt auf der Ebene zunehmend automatisierter Prozesse im Diskussionsfeld der Gegenwartskunst weiterentwickeln könnten.
Game of Drones, 7. Juni bis 3. November 2019, Zeppelin Museum Friedrichshafen. Vertretene KünstlerInnen: Ignacio Acosta, Korakrit Arunanondchai, Frédérick A. Belzile, James Bridle, Gonçalo F. Cardoso & Ruben Pater, Omer Fast, Agi Haines, Adam Harvey, Lawrence Lek, Martha Rosler, Raphaela Vogel.
[1] Vgl. Grégoire Chamayou, Ferngesteuerte Gewalt. Eine Theorie der Drohne. Übersetzt von Christian Leitner. Wien 2014.