Heft 1/2020 - Artscribe


Never Again. Art against War and Fascism in the 20th and 21st Centuries

30. August 2019 bis 17. November 2019
Museum für Moderne Kunst Warschau / Warschau

Text: Aleksei Borisionok


Warschau. Soll man den aktuellen Aufstieg faschistischer und rechtsextremer Ideologien und PolitikerInnen schon mit dem Präfix „post“ dekorieren, wie es Enzo Traverso für die neuen Faschismen vorschlägt? „Post“ bedeutet natürlich etwas anderes als das „neo“ im Neofaschismus oder in der Neoreaktion, die sich in der gegenwärtigen Kultur einzumauern und zu heilen und deren historischen Widersprüche zu ignorieren versuchen. Traverso argumentiert, dass die meisten der heutigen Rechtsbewegungen gar nicht neofaschistisch sind, sondern postfaschistisch.1 Es handle sich um diverse mutierende Ideologien, die sich von ihren Vorläufern unterscheiden, indem sie Rassismus, Misogynie und Islamfeindlichkeit in ganz neue toxische Populismusformen gießen.
In seinem temporären Pavillon am Weichselufer zeigte das Museum für Moderne Kunst, eine der größten polnischen Institutionen für moderne und zeitgenössische Kunst, die Ausstellung Niemals wieder! Kunst gegen Krieg und Faschismus. Sie präsentierte Arbeiten von rund 20 verstorbenen und lebenden KünstlerInnen, die sich aktiv antifaschistisch und antimilitaristisch engagierten. Im Kern versucht die Ausstellung damit, die Geschichte des Antifaschismus wieder enger an die Kunst heranzuführen, stellt sie doch die Autonomie der Kunst infrage und zeigt stattdessen die Zusammenhänge zwischen politischen Bewegungen, Aktivismus und künstlerischem Ausdruck auf. Die Präsentation der Arbeiten trägt diesem Leitbild Folge. Nur wenige Kunstwerke wurden klassisch gehängt, die anderen – Gemälde, Grafiken, Fotografien und Plakate – in im Raum verteilten Holzvitrinen auf jeweils anderen Beinen untergebracht, die an Größe und Gewicht der Arbeiten angepasst wurden. So konnten sie aus der Neutralität der historischen Distanz geholt werden, und es entstand eine Situation, in der das Publikum mit dem Kunstwerk wie mit einem Banner konfrontiert wird.
Dabei ist die Ausstellung materiell betrachtet relativ klein. Im historischen und konzeptuellen Sinn ist sie dafür sehr schlüssig. Die Auswahl an Gemälden und zeichnerischen Arbeiten aus den polnischen 1920er- und 1930er-Jahren stammt in der Mehrzahl von der avantgardistischen Krakauer Gruppe. Gezeigt werden die Kämpfe der politischen Linken, und zwar in Form von Demos, Arbeiteraktionen, Streiks, aber auch die Gewalt von Polizei und das Gefängnis. Auf Bronisław Wojciech Linkes Zeichnung Two Camps (Today) aus 1932 werden die ProletarierInnen zu einem amorphen biopolitischen Körper aus Mündern, Augen, Beinen und Spruchbändern. Aus den Körperöffnungen fließen Ströme von Schleim direkt in den Straßenkampf. Der verletzte Kollektivleib symbolisiert nicht nur Gewalt und Leid, sondern auch die emotional körperliche Vereinigung zu Solidarität und Freundschaft.
Der vom alten oder neuen Faschismus verletzte Körper sucht nach Möglichkeiten, sich zu heilen, zu erholen und gegen die extreme Gewalt zu wenden. Er ist das zweite Leitbild der Ausstellung. Maja Berezowska, eine Malerin, die in den 1930er-Jahren für die französische Zeitschrift ICI Paris Karikaturen über das Sexualleben Adolf Hitlers veröffentlichte und im grausamen Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingesperrt wurde, ist mit einer Zeichnungsserie vertreten, die den Alltag im KZ darstellen. Das Gemälde Branded (1955) von Marek Oberländer wiederum zeigt drei Männer mit roten Sternen auf der Stirn, die sie mit ihrer jüdischen Herkunft und ihrer kommunistischen Haltung brandmarken. Entgegen der offiziellen Doktrin des sozialistischen Realismus gemahnte dieses Bild bereits in den ersten Nachkriegsjahren an den Holocaust.
Alina Szapocznikow verdichtete das Grauen von Gewalt und Leid zu ihrer abstrakt minimalistischen Skulptur Exhumed (1955). Der Körper wird hier metaphorisch aus den verkrusteten Schichten der Gewaltgeschichte exhumiert. Die Standarddarstellung des Sieges über den Faschismus, die laut stalinistischem Soz-Realismus widerspruchslos optimistisch zu sein hatte, wird hier nicht nur qua künstlerischem Stil, sondern auch durch das Zeigen nicht heldenhafter, alltäglicher, geheimer Geschichten, Figuren und Personen infrage gestellt.
Im Rahmen von Never Again wird auch das berühmteste Kunstwerk für den Widerstand gegen Krieg und Faschismus mehrmals zitiert. Das ist natürlich Guernica von Pablo Picasso, dessen Entstehung Dora Maar zum Beispiel mit einer Fotoserie nachzeichnet. Wojciech Fangor indes kopierte das Werk für die Fünften Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1955 in Warschau. Auch für Goshka Macugas großen Gobelin On the Nature of the Beast (2009) war Guernica ein wichtiger Bezug. Sie kritisiert die berühmte Rede, in der Colin Powell die amerikanische Invasion im Irak ausgerechnet vor diesem berühmten, hier mit blauem Tuch bedeckten Antikriegssymbol für unumgänglich erklärte.
Die ausgewählten zeitgenössischen polnischen und internationalen KünstlerInnen stellen sich auch gegen die heutige faschistische Politik. So kritisieren sie die Beihilfe der Medienmaschinerie zum Rassismus (Martha Rosler, Alice Creischer), recherchieren Zusammenhänge (Forensic Architecture, The Society of Friends of Maxwell Itoya) oder versuchen sich in Gegenpropaganda (Raymond Pettibon, Wolfgang Tillmans).
Der terminologische Streit um die Präfixe „post“ oder „neo“ hat nichts zu schaffen mit einem ganz anderen Präfix, nämlich dem „anti“ vom Antifaschismus. Er ist heute genauso aktuell wie im 20. Jahrhundert. Und verlangt dringend nach solchen neuen politischen und ästhetischen Ausdrucksformen.

 

Übersetzt von Thomas Raab

 

[1] Enzo Traverso, The New Faces of Fascism: Populism and the Far Right. London/New York: Verso 2019.