Heft 1/2020 - Artscribe
Budapest. Als Miklós Mécs noch als Kunststudent seine Karriere begann, galt er als einer der hoffnungsvollsten VertreterInnen seiner Generation. Seine brennende Begabung und Produktionskraft machte ihn, gepaart mit einem subversiven und dennoch umgänglichen Charakter, auch über die ungarische Kunstszene hinaus bekannt. Unter anderem stellte er 2010 im Rahmen der Überblicksausstellung Where Do We Go from Here? in der Wiener Secession aus. Sehr bald schon, nämlich 2008, gewann er auch den am höchsten dotierten Kunstpreis Ungarns, den Junior Prima Primissima.
Von Letzterem investierte er jeden Cent in sein großartiges postkonzeptuelles Projekt Zenon Paradox (2008). Von da an wurde der Konflikt zwischen Mécs’ Idealen und den an ihn gestellten Erwartungen immer deutlicher. Statt an institutionellem und finanziellem Erfolg orientiert arbeitete er lieber kollaborativ, noch dazu in verschiedenen Konstellationen. Ein Kollektiv, das er mit der Künstlerin Judit Fischer gründete, nennt sich zum Beispiel AMBPA – Association of Mouth and Brain Painting Artists (Vereinigung der mund- und gehirnmalenden KünstlerInnen). Mit seinen Gruppen machte Mécs unangekündigte Straßenaktionen und Interventionen. Einmal provozierte er dadurch, dass er sämtliche Kleidungsstücke in einen Sammelcontainer spendete und danach nackt davonspazierte. In zahllosen Notizbüchern sammelt er obsessiv in knappen Sentenzen seine Ideen zu Kunst und Leben, er teilt seine Arbeiten auf Blogs und Videochannels im Internet und tritt für das Kochen als Kunstform ein. Aus der Kunstszene hat sich Mécs indessen zurückgezogen. Er weigert sich, seine Kunst zu verkaufen, und lebt vom Mindesteinkommen, das er entweder als Kunsttherapeut für schwierige Jugendliche oder auch als Aufseher ausgerechnet in der Trafó Gallery verdient.
Kurz gesagt zeichnet sich Mécs also durch eine generell kritische spirituelle und moralische Haltung aus, die in ihrer asketischen Nachhaltigkeit und Transparenz Kunst und Leben praktisch ununterscheidbar macht. Obwohl er bewusst im Schatten des Kunstbetriebs bleibt, hat er viele AnhängerInnen, die ihn zu einer Schlüsselfigur im Verdrängten der ungarischen Kunstszene machen.
Doch dann lädt ihn die Kuratorin Borbála Szalai zu einer Einzelausstellung in die Trafó Gallery ein, die seit Ende der Neunzigerjahre für bereits etablierte KünstlerInnen der mittleren Generation als Sprungbrett in die Oberliga gilt. Mécs steht also eindeutig vor einer Herausforderung. Wie macht man eine Einzelausstellung ohne Einzelausstellung? Es ist beachtlich, wie er das Problem bewältigte.
Unser Weg zur Ausstellung im Keller des Trafó Cultural Centre führt über eine Badezimmerwaage, die offenbar wiegt, ob wir „zu leicht befunden“ werden (Buch Daniel 5:27). Kaum drinnen stolpert man über einen losen Teppich aus Tausenden Pflastersteinen, die die Hälfte des Bodens bedecken. Sie sind nicht fixiert, sondern liegen nur „bereit“, jedoch nicht im Sinn von, „unter dem Pflaster liegt der Strand“, sondern aufgrund der Merksprüche, die manche von ihnen tragen. Am Ende des Teppichs weitere Sprüche: Ironische, absurde, geheimnisvolle Sentenzen, Aufrufe, Andeutungen und Warnungen laufen über ein LED-Band oder werden auf einer großformatigen Videoprojektion an der Hinterwand bewusst redundant in Alufolie geritzt.
Ganz im Gegensatz zur chaotischen Atmosphäre in dieser Raumhälfte gemahnt die andere an eine Krankenstation im Spital. Vier durch Paravents getrennte Betten wurden parallel aufgestellt, dazu Bettvorleger, verstreut ein paar Kissen und Sessel, ein ziemlich großer Tisch voll Bücher, Notrationen, Vitamine, Kaffee- und Teepäckchen, aber auch seltsamere Dinge, die sich bei genauer Betrachtung als Kunstobjekte alter Projekte der AMBPA und anderer entpuppen. Auf einem zentral vor den Betten positionierten Großmonitor läuft eine Auswahl von Videos, die kleine Ideenskizzen und Konzepte von Mécs und KonsortInnen darstellen. Vor dem Monitor liegt im zweiten Bett der Künstler selbst im Pyjama und redet mit dem Publikum. Er heilt eine Lungenentzündung aus, die er sich in den Wochen vor der Ausstellung zugezogen hat.
Neben dem interessanten ästhetischen Kontrast zwischen dem aufgeräumt klaren Krankenzimmer und dem chaotischen Teil („innen“ im Gegensatz zu „außen“) sind es die zeitlichen und gesellschaftlichen Aspekte, die Mécs’ Schau so radikal von der sonstig so arg stromlinienförmigen Kunst unterscheidet. Die Ausstellung ist 24 Stunden am Tag geöffnet, und die BesucherInnen dürfen in einem der Spitalsbetten übernachten, was auch viele machen und damit den kontemplativen Charakter der Kunst aufbrechen. In der Ausstellung ist nämlich dauernd was los, sie ist chaotisch und verändert sich permanent durch die Eingriffe derjenigen, die länger da bleiben, mit dem Künstler und seinen KollegInnen sprechen, essen, trinken, lesen, schlafen – einfach am Flow teilhaben.
Auf der grünen Maske, die Mécs meistens aufhat, steht etwas beleidigend: „Ich bin nicht krank, ich schütze mich nur“. Überhaupt werden hier Rollen und Positionen interessant vermischt. Die Ausstellung bietet zahlreiche Lesarten an, von der angeblichen Heilkraft einer neuen Kunst im öffentlichen Raum à la Suzanne Lacy, über die Relationalität als sozialer Kitt, die Krankenstation als Heterotopie in der Heterotopie der Galerie, die die nötige Abschottung für eine so „gefährlich“ radikale Kunst bietet, und den Karotten, die sie vor den Nasen der postkonzeptuellen IntellektualistInnen hängt, bis zu Denkanstößen für apokalyptische Szenarios und neoliberale Verhältnisse. Gleichzeitig unterläuft ihr Realismus aber auch alle diese Deutungen.
Vor dem Hintergrund dieser vielen Interpretationsmöglichkeiten lese ich den spielerischen Titel Postapocapitalist am liebsten im Zusammenhang mit der kreativen Ökonomie der Ausstellung. Der Künstler haderte ja zuerst mit der Vorstellung einer Einzelausstellung, verweigerte sie dann (man beachte seine provokative Danksagung), kam ins Krankenhaus und delegierte zuletzt das meiste. Die Pflastersteininstallation stammt namentlich von der Kuratorin, die Videos und Objekte von KollegInnen, FreundInnen und Familie. Mécs lieferte nur das Rohmaterial in Form zahlloser Ideen, sonst nichts – als beschränke sich seine Kunst darauf, schwer krank zu „werden“ und dann die Ausstellung um seine Krankheit (oder die der BesucherInnen) herum zu gestalten, um Körper und Geist heilen zu können. Was dies von den berühmten VorgängerInnen der kasteienden und selbstverstümmelnden Kunst unterscheidet, ist die gleichsam spontane Natürlichkeit. Es ist, als würde der Künstler seine Gesundheit mit der der Kunst abgleichen.
Übersetzt von Thomas Raab