Heft 1/2020 - Artscribe


United by AIDS. An Exhibition about Loss, Remembrance, Activism and Art in Response to HIV/AIDS

31. August 2019 bis 10. November 2019
Migros Museum für Gegenwartskunst / Zürich

Text: Sønke Gau


Zürich. Die 1980er-Jahre waren der Höhepunkt der Postmodernismus-Diskussion, es war das Jahrzehnt, in dem Ronald Reagan Präsident der USA war, und der Beginn der HIV/AIDS-Pandemie, in deren Verlauf sich Schätzungen zufolge mehr als 76 Millionen Menschen mit dem Virus infizierten sowie rund 35 Millionen Menschen an den Folgen der Krankheit starben. Anfang der 1980er-Jahre mehrten sich in den USA Fälle dieser Erkrankung, die anfangs keinen Namen hatte, und seit 1982 als AIDS bezeichnet wird. Reagan benötigte drei weitere Jahre, bis er die Krankheit erstmals öffentlich erwähnte. Das Schweigen, die Ignoranz und die Ausgrenzung hatten damit zu tun, dass von konservativen Kreisen die Verantwortung für die Krankheit lange Zeit erfolgreich gesellschaftlich marginalisierten Gruppen zugeschrieben werden konnte, wie vor allem männlichen Homosexuellen, SexarbeiterInnen und KonsumentInnen intravenös verabreichter Drogen. Tatsächlich wurden durch mehrheitsgesellschaftliche Passivität und Stigmatisierung ganze Communitys ausgelöscht. Durch subkulturelle Netzwerke waren darüber hinaus auch viele KünstlerInnen direkt betroffen. Aus diesen Verbindungen formierten sich politisch-künstlerische Gruppierungen, die der Ausgrenzung entgegentraten, Repräsentationskritik übten, eigene Bilder produzierten und für Selbstermächtigung eintraten. So prangerte Donald Moffett 1987 Reagans Schweigen an, indem er ein Plakat mit seinem Konterfei und der Anklage HE KILLS ME versah und es auf zahlreiche Gebäude Manhattans kleisterte. Das Plakat, das zu Moffetts bekanntestem „Werk“ werden sollte, befindet sich mittlerweile unter anderem in der Sammlung des MoMAs. Dieser Tage ist es in der Ausstellung United by AIDS im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich zu sehen. Die Gruppenausstellung unterteilt sich in vier Kapitel: „Erasure, Void, Remembrance“ widmet sich dem Verschwinden und Auslöschung der Betroffenen, „New York – The AIDS Crisis“ fokussiert die New Yorker Kunstszene als ein prominentes Zentrum der Krise, „Stand Up, Fight Back – AIDS, Activism an Art“ untersucht künstlerisch-aktivistische Interventionen der 1980er- und 90er-Jahre, und „Recently“ versammelt Positionen, die sich mit der heutigen Situation auseinandersetzen. Besonders diese letzte Sektion verdeutlicht das Anliegen der Ausstellung: Seit Mitte der 1990er-Jahre mit der Hochaktiven Antiretroviralen Therapie (HAART) ein relativ erfolgreiches Mittel gegen den Ausbruch der Krankheit entwickelt wurde, scheint diese ihren Schrecken verloren zu haben und ein zweites Mal ausgeblendet zu werden. Aber nach wie vor sterben jährlich noch nahezu eine Million Menschen an den Folgen der Krankheit. Eine der zentralen Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, wer Zugang zu teuren Therapien hat und wer nicht? Und hier hat die an sich verdienstvolle Ausstellung einen eigenen blinden Fleck: Zwar thematisiert sie die Situation der ärmeren afroamerikanischen Communitys in den Südstaaten der USA, ignoriert aber, dass zwei Drittel aller mit HIV infizierten Menschen in Subsahara-Afrika leben. Nicht die globale Dimension von AIDS steht im Fokus der Ausstellung, sondern größtenteils die (lokale) Perspektive vom politischen Kampf westlicher AktivistInnen. Gleichzeitig wird damit eine bestimmte Geschichte der Epidemie und der künstlerischen und aktivistischen Auseinandersetzung historisiert und kanonisiert. So gehören Arbeiten, wie Felix Gonzalez-Torres Untitled (Go-Go Dancing Platform) (1991), Nan Goldins The Cookie Mueller-Portfolio (1976–89), Keith Harings Painting Myself into a Corner (1979) und General Ideas White AIDS (Wallpaper) (1991), schon lange zu den Ikonen der westlichen Kunstgeschichte. Problematischer aber ist vor allem die Musealisierung von künstlerisch-aktivistischen Artikulationsformen, die primär als politische Interventionen und nicht als Kunstwerke an sich gedacht waren. Gruppierungen, die bewusst künstlerische und nicht künstlerische Kompetenzen vereinigten, sich als Kollektive verstanden und damit auch vom künstlerischen Individualismus abgrenzten wie Gran Fury oder besonders auch ACT UP (AIDS Coalition to Unleash Power) werden hier zumindest teilweise entkontextualisiert und ästhetisiert. Das Dilemma (nicht nur dieser Ausstellung), künstlerisch-aktivistische Artikulationen ernst zu nehmen und zeigen zu wollen, sie dabei aber gleichzeitig gewissermaßen stillzustellen, führt uns zurück zur Postmodernismus-Diskussion: Während in deren Verlauf unter anderem Peter Bürger in seiner Theorie der Avantgarde (1974) die These aufstellte, dass die Bemühungen der Avantgarden, Kunst in Lebenspraxis zu überführen, endgültig gescheitert seien, Kunst also funktionslos bleibe, widerspricht zum Beispiel Douglas Crimp dieser Annahme. Denn das zentrale Beispiel von dessen Gegenargumentation in On the Museum‘s Ruins (1993) war gerade das politische und soziale Engagement von KünstlerInnen gegen AIDS: Ihnen gehe es hier nicht um Kunst, sondern um eine direkte politische Intervention – in den Massenmedien, im Gesundheitsdiskurs, in der Sozialpolitik, Öffentlichkeitsbildung sowie in Bezug auf Fragen sexueller Identität. Um diese Praktiken zu diskutieren, sei der Diskursbereich des Ästhetischen viel zu eng. Vielmehr handele es sich um eine konkrete Veränderung der Funktion von Kunst in der Gesellschaft. Hatte Crimp mit dieser Einschätzung sicherlich recht, so schrieb er allerdings auch von der Unbrauchbarkeit des AIDS-Aktivismus zu Zwecken der Konservierung für die Nachwelt. Dass er in diesem Punkt unrecht behalten sollte, zeigt die Ausstellung im Migros Museum.