Heft 1/2020 - Intersektionen
Der folgende Text ist ein Ausschnitt aus unserem kürzlich erschienenen Buch Das amerikanische Museum: Sklaverei, Schwarze Geschichte und der Kampf um Gerechtigkeit in Museen der Südstaaten (Mandelbaum Verlag, Wien/Berlin 2019). Vor dem Hintergrund aktueller Debatten über Rassismus und nationale Geschichte untersucht die Studie die Rolle von weißen und Schwarzen Museen in der diskursiven Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit und behandelt die Bedeutung selbstorganisierter Museen für die sozialen Kämpfe lokaler afroamerikanischer Gemeinschaften. Der folgende Ausschnitt bildet den Abschluss des Kapitels „Stereotype ausstellen: Die visuelle Kultur des Rassismus“, in dem wir unterschiedliche Verfahren der kritischen Präsentation von rassistischen Bildern analysieren.
Wir möchten dieses Kapitel mit dem Beispiel einer außergewöhnlichen, lustvollen und kreativen Praxis des Umgangs mit Stereotypen abschließen. Waren die bisher besprochenen Modelle im Rahmen der kuratorischen und museologischen Reflexion von Optionen des kritischen Ausstellens rassistischer Bilder angesiedelt,1 so handelt unser letztes Beispiel von einer kulturellen Praxis des Unterlaufens und Aneignens von stereotypen Darstellungen und ihrer musealen Ausstellung. Zwei Museen in New Orleans behandeln lokale Praktiken des Verkleidens, der Maskerade und der öffentlichen Performance von Differenz, die im Rahmen der Karnevalskultur der Stadt entstanden sind. Wer zum ersten Mal mit den Mardi Gras Indians und den Umzügen der Zulu-Gesellschaft konfrontiert ist, wird die Kostümierung als „Indianer“ und die Paraden in blackface als befremdenden Gebrauch weißer Stereotype durch Schwarze Akteur/innen wahrnehmen. Tatsächlich handelt es sich bei den über hundert Jahre alten Traditionen um Praktiken, die aus der Erfahrung von Unterdrückung und subtilen Formen von Widerstand hervorgegangen sind.
Das 1999 eröffnete Backstreet Cultural Museum in Tremé, einem historischen Schwarzen Viertel von New Orleans, in dem sich afrikanische und karibische Traditionen lange erhalten haben, ist ein privates Museum, das die Kultur der Schwarzen Paraden im Kontext ihrer sozialen Bedeutung dokumentiert. Das kleine Museum unweit des Congo Square, der als Geburtsstätte des Jazz gilt, entstand auf Grundlage der jahrzehntelangen Sammeltätigkeit von Sylvester Francis. Selbst Mitglied einer Parade Group, dokumentierte Francis in Fotos und Videos unzählige Mardi-Gras-Paraden und Jazz Funerals mit ihren charakteristischen Blaskapellen und Second Lines, die hinter den Brass Bands marschieren. Die Sammlung von Relikten und Kostümen verdankt sich neben Francis’ eigener Sammlung auch Beiträgen aus der Community, für die das Haus einen Treffpunkt darstellt, um sich zum Beispiel vor den Begräbnissen und Paraden zu versammeln. Das Museum ist ein gutes Beispiel für die Bedeutung von privaten Initiativen in Bezug auf das Sammeln und Präsentieren von Schwarzer Kultur. Museen wie dieses kompensieren die Defizite offizieller Museen, die häufig das Resultat von Ignoranz oder Geringschätzung Schwarzer kultureller Praktiken sind. Das in einem ehemaligen Bestattungsinstitut untergebrachte Museum präsentiert in einem Raum die Kultur der Second Line und der Social Aid and Pleasure Clubs, die im späten 19. Jahrhundert gegründet wurden, um einen selbstorganisierten Ersatz für die Versicherungen zu schaffen, die Schwarzen nicht zugänglich waren. Dieser Raum dient gleichzeitig auch der Erinnerung an verstorbene Mitglieder. Der andere Raum ist den Black Mardi Gras Indians gewidmet und zeigt extrem aufwändige Kostüme aus den letzten Jahrzehnten, an deren Herstellung oft ein ganzes Jahr lang gearbeitet wird. Die Kostüme sind unterteilt in indianische (Chiefs) und afrikanische (Kings und Worriors). Die in das späte 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition der Black Indians bezieht sich auf historische Verbindungen zwischen Schwarzen und Native Americans, bei denen erstere nach der Flucht aus der Sklaverei häufig aufgenommen wurden. Oft heirateten Schwarze und Natives und zeugten gemeinsame Kinder. Im Louisiana State Museum Cabildo sind auch revolutionäre Allianzen von Versklavten und Natives gegen die weiße Kolonialherrschaft, zum Beispiel in den Natchez-Kriegen (1729–1731) und der Bambara Conspiracy von 1731, Gegenstand der Ausstellung. Im letzten Fall waren es versklavte Angehörige des Bambara-Volkes aus Westafrika, die sich mit Natchez, Chickasaw, Illinois, Arkansas und Miami Indians zum Sturz der französischen Herrschaft in Louisiana verbündeten. Auch wenn alle diese revolutionären Allianzen letztlich scheiterten, blieben familiäre Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen Natives und den Siedlungen entflohener Sklaven (Maroons) noch lange Zeit aufrecht.
Die ersten Black Mardi Gras Indians, die sich in „tribes“ organisierten und von „chiefs“ angeführt wurden, blieben aufgrund der Segregation auf ihre jeweiligen Nachbarschaften beschränkt. Mit der Kostümierung als Indians erweisen die Angehörigen der afroamerikanischen Arbeiterklasse den Native Americans die Ehre, die ihren Vorfahren geholfen hatten.2 Oft ist die Ikonographie der entsprechenden Kostüme („suits“) von Darstellungen starker, mächtiger Native Americans gekennzeichnet, die über die Weißen siegen. Die realen historischen Macht- und Gewaltverhältnisse werden imaginativ umgekehrt. Vor allem in der Frühzeit zelebrierten die Mardi Gras Indians ihr Native-American-Erbe aber auch, weil es ihnen unter den Bedingungen des Rassismus der Jim-Crow-Ära nicht möglich war, öffentlich ihr afrikanisches Erbe zu feiern, ohne auf die eine oder andere Art attackiert zu werden.3 Es ist insbesondere diese Verschiebung in der Performance von Identität, mit der die Schwarzen Communities der Stadt sowohl auf die Karnevalskultur der weißen Bevölkerung reagierten als auch die Restriktionen des Jim-Crow-Rassismus unterliefen, die den außergewöhnlichen Beitrag der Mardi Gras Indians zur Diskussion über Stereotype ausmacht. Im Backstreet Cultural Museum sieht man neben den „Indian suits“ von „tribes“ wie den Flaming Arrows oder dem Black Feather Indian Tribe und Bildern von historischen Straßenperformances und berühmten „chiefs“ wie Allison „Tootie“ Montana auch eine kleine Gedenkstätte für Cyril „Iron Horse“ Green von den Black Seminoles. Daneben die aus jüngerer Zeit stammenden „afrikanischen“ Kostüme, unter anderem der Mandingo Warriors, die motivische Referenzen auf westafrikanische Kulturen beinhalten.
Auch das Louisiana State Museum Presbytère widmet der Kultur des Mardi Gras einen Abschnitt seiner Ausstellung. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Paradenkultur des Mardi Gras als organisierte Form der Umzüge von verkleideten Karnevalteilnehmern erfunden. Es handelte sich dabei zunächst um eine weiße Veranstaltung mit der Figur des Rex als König der Karnevalszeit im Mittelpunkt. Als erste Schwarze Paradenorganisation tritt im Jahr 1909 erstmals der Zulu Social Aid and Pleasure Club auf den Plan. Von Beginn an betreibt er eine Parodie der weißen „Monarchie“. Im Jahr 1914 und in den Folgejahren machte der Zulu Club diese Parodie explizit, indem er sie unmittelbar nach der weißen Rex-Parade ansetzte. Auf Grundlage einer musikalischen Komödie der Zeit (There Never Was and There Never Will Be A King Like Me) entwickelte der Club eine primitivistische Mimikry der Auftritte der weißen Könige und Königinnen des Mardi Gras. Die Ausstellung im Presbytère zitiert die Schlagzeile der afroamerikanischen Zeitung Louisiana Weekly von 1928: „Zulu Burlesque on Rex to be Most Elaborate Ever.“ Wie Fotografien zeigen, waren die Schwarzen Performer in armselige Grasröcke gekleidet und sie agierten in blackface. Statt der Krone des weißen Rex trugen sie eine Schmalzdose auf dem Kopf und statt dem Zepter einen Bananenstengel. Wie Rex am Vortag des Mardi Gras auf einem Schiff anzukommen pflegte, so wurde auch König Zulu auf einem alten Kahn einfahrend empfangen. Mit all diesen Mitteln machten sich die Zulu-Gesellschaft und ihre Fans weiße Stereotype von Schwarzen zu eigen. Sie performten sie auf der Bühne des Karnevals und spiegelten sie an die weiße Mehrheitsgesellschaft zurück. Bis heute verteilt die Zulu-Gesellschaft von ihren Wagen herab Kokosnüsse (statt der üblichen Perlenketten) an die schaulustige Menge, macht sich über den weißen Prunk lustig und bezieht sich auf weiße Vorstellungen von afrikanischer Wildheit. Zu den prominentesten Zulu Kings zählte Louis Armstrong, der 1949 dieses Amt bekleidete.4
Ohne das entsprechende Hintergrundwissen ist man als Besucher/in angesichts der ersten Konfrontation mit Zulus und Black Indians einigermaßen befremdet, besonders was die Auftritte in blackface aus der jüngeren Vergangenheit betrifft, die man auf Videos sehen kann. Tatsächlich waren diese parodistischen Aneignungen rassistischer Stereotypen auch innerhalb der afroamerikanischen Gemeinde umstritten. Der Zulu Social Aid and Pleasure Club war nicht die einzige Gesellschaft, die in blackface auftrat. Auch die Jefferson City Buzzards verwendeten dieses Stilmittel, stellten die Praxis aber in den Jahren des frühen Civil Rights Movement wieder ein. Allgemein geriet die Karnevalspraxis des blackface in den 1960er Jahren in die Kritik politisch engagierter Gruppen, worauf sie stark schrumpfte. Zu einer Erholung dieser speziellen Form des signifying kam es dann erst wieder in den 1970er Jahren. Nach der aus New Orleans stammenden Filmemacherin Shantrelle P. Lewis war die Entscheidung für blackface eine ironische Antwort auf die stereotypen Bilder von Schwarzen Menschen und die Minstrel-Kultur, aber zugleich auch ein Tribut an die afrikanische Herkunft.5
Die Praktiken der Mardi Gras Indians wie auch des Zulu Clubs sind bemerkenswerte populärkulturelle Ausdrucksformen von Parodie, Mimikry und signifying, die den rassistischen Gewaltverhältnissen des Jim-Crow-Südens entstammen. Sie verweisen auf die komplexen Wege bestimmter Formen, Motive und Gesten, die je nach Situation und Akteur/in unterschiedliche Bedeutung annehmen. Das blackfacing der weißen Minstrel-Kultur – inklusive seiner europäischen Manifestationen, zum Beispiel in der Figur des niederländischen Zwarte Piet – sind rassistische Praktiken aus dem Bildrepertoire von Sklaverei, Kolonialismus und white supremacy. Während diese Traditionen reduktive Konzepte von Schwarz und Weiß im Rahmen eindeutiger Hierarchien produzierten, verkörpern die Verkleidungen und Performances der Mardi Gras Indians und der Zulu-Krewe komplexe Auffassungen von Schwarzer Identität in ihren Bezügen zu Weißen, Native Americans und Afrikaner/innen. Sie demonstrieren die Fähigkeit, die rassistischen Restriktionen des Ausdrucks von Identität und des Zelebrierens von kulturellem Erbe durch Verschiebungen zu unterlaufen, also ihr „indianisches“ anstelle ihres afrikanischen Erbes zu feiern, und sich durch Verfahren der Parodie und der Mimikry sowohl über die weiße Selbstinszenierung im Karneval lustig zu machen als auch die Stereotype der rassistischen Kultur zu entlehnen, um sie spielerisch für eigene Zwecke einzusetzen.
[1] Das Kapitel behandelt die entsprechenden Lösungen folgender Museen: Wells‘ Built Museum of African American History and Culture, Orlando, Florida; Slave Haven Underground Railroad Museum, Memphis, Tennessee; Hunter Museum of American Art, Chattanooga, Tennessee; Birmingham Civil Rights Institute, Birmingham, Alabama; National Museum of African American History and Culture, Washington, D.C.
[2] Cynthia Becker, „New Orleans Mardi Gras Indians: Mediating Racial Politics from the Backstreets to Mainstreet“, African Arts, 46 (2), 2013, S. 36–49.
[3] Ebd., S. 46.
[4] Website der Zulu-Gesellschaft: http://www.kreweofzulu.com/history.
[5] Shantrelle P. Lewis, „The Curious Case of the New Orleans Zulu Club: Black People in Blackface“, Afropunk, 5.3.2015; http://afropunk.com/2014/03/feature-the-curious-case-of-the-new-orleans-zulu-club-black-people-in-blackface/. Gegen die Interpretation der Parodie des weißen Rex und für eine Deutung der Performance als Parodie von Afrikaner/innen argumentiert Kevin McQueeney. Vgl. „Zulu: a transnational history of a New Orleans Mardi Gras krewe“, Safundi: The Journal of South African and American Studies, 19 (2), 2018, S. 139–163.