Heft 4/2020 - Netzteil


Emotionen und Technologie

Die Ausstellung Real Feelings verhandelte das Spannungsfeld von menschlichen und maschinellen Affekten

Sabine Maria Schmidt


Gefühle, Erregungen, Affekte. Nichts scheint so sehr zum Schmierstoff gesellschaftlicher Begegnungen und zur ökonomisch ausschöpfbaren Ware geworden zu sein wie die Welt der menschlichen Emotionen und vor allem ihre Manipulierbarkeit. Gefühle zu Tatsachen zu erklären, ist ein neuer Trend geworden. Unterstützt wird dieser durch digitale Technologien, die sehr vielfältig bzw. mehr oder weniger subtil eingesetzt werden. Besonders erstaunlich ist dabei, dass auch wenig subtile Strategien äußerst wirksam sein können. So wie die, die auf der zigfachen Reproduktion von Falschinformationen beruhen und zu aktuellen Expressradikalisierungen führen, wie man sie etwa bei Corona-LeugnerInnen erlebt.
Der Ausdruck von Emotionen ist immer auch ein Kernthema der darstellenden und bildenden Kunst gewesen. Im 21. Jahrhundert treten Gefühle zunehmend als etwas in den Vordergrund, das primär durch datenerfassende Technologie gesteuert oder nachgeformt werden kann. Dabei erhält eine ästhetisch modellierte Erfahrbarkeit, das „Design des Manipuliertwerdens“, zunehmende Bedeutung. Es soll Lust machen, manipuliert zu werden. Das ist im Alltag vielfach erlebbar. Ob bewusst oder unbewusst, wissen wir, dass wir in der onlinepräsenten Allgegenwärtigkeit smarter Technologien in allen Bereichen des Alltags (ver-)messbar und kontrollierbar geworden sind. Doch können all die smarten Maschinen und Roboter wirklich so viel, wie es ihnen ständig zugebilligt und in zahlreichen Science-Fiction-Visionen vorhergesagt wird? Die KI-Branche befeuert solche Vorstellungen, und am Ende kommt es darauf an, ob die Maschinen es später einmal gut oder schlecht mit uns meinen werden.
Die Ausstellung Real Feelings hat sich all das zum Thema gemacht und befragt auf facettenreiche Weise, wie sich die emotionale Intelligenz von Mensch und Maschine aufeinander zu bewegt hat. Die Kuratorinnen Sabine Himmelsbach, Ariane Koek und Angelique Spaninks haben dazu eine beachtliche Auswahl von 23 Arbeiten aus den letzten vier Jahren zusammengetragen.
Wer in einen der zentralen Videoräume der Ausstellung vordringt, kann beobachten, dass eine solche Annäherung durchaus poetisches Potenzial für die Zukunft bergen könnte und nicht nur dystopische Aspekte anreißt. Berückend ist das Ballett zwischen Roboter und Tänzer, das die französische Künstlerin Justine Emard mit ihrer Installation Co(AI)xistence (2017) ins Bild setzt. Der vom Ishiguro Lab in Japan entwickelte androide Roboter „Alter“ reagiert mit seinen Sensoren auch auf unerwartete Bewegungen des Tänzers Mirai Moriyama. Es ist die alte, immer wieder neu erzählte „Schöpfungsgeschichte“, in der totes Material zu menschenähnlichem Leben erweckt werden kann. Die Maschine lernt aus der Begegnung mit dem Tänzer, wird zum Spiegel seiner selbst.
Gefühle rauschen auch durch die Soundlandschaften des Kollektivs Shinseungback Kimyonghun. In einem dunklen Raum erzeugen sieben Meerestrommeln ein magisches Meeresrauschen, dessen Intensität von den durchschnittlichen Emotionen der letzten 100 Gesichter abhängt, die den Raum betreten haben. Hier nutzen die Künstler ein einfaches Gesichtserkennungsprogramm als Movens.
Unheimlicher wird es, wenn es Überwachungssensoren sind, die das Gesicht und den Körper des Menschen spiegelbildlich scannen, um ihn unbarmherzig zu erfassen. „Action Units“ heißen die einzelnen Elemente, die auf 44 Muskeln basieren, die unsere Gesichtsausdrücke gestalten. Psychologen wie der Amerikaner Paul Ekman haben diese eingehend untersucht und das „Facial Action Coding System“ in unterschiedliche Gefühlskategorien eingeteilt. Die niederländische Medienkünstlerin Coralie Vogelaar bat eine Schauspielerin, sich die derart fein differenzierten Gesichtsbewegungen genau anzutrainieren, um jede erdenkliche Emotion auf Abruf ausdrücken zu können. Es scheint zukünftig ein Hase-und-Igel-Wettlauf zu werden, wer wen wie wo beherrschen wird oder dies auch wieder überwinden kann.
Mehrere Kameras in der Ausstellung erfassen Besucherporträts, die hinsichtlich ihrer Mimik und Gestik analysiert werden. Vibe Check heißt diese Anordnung von Lauren Lee McCarthy und Kyle McDonald, die auf ironische Weise auch eine Art sich selbst entblößende Besucherkritik zu den einzelnen Kunstwerken darstellt. Die Besucherporträts werden auf verschiedenen Monitoren mit Textkommentaren ausgewertet: „macht mich nervös“, „langweilt mich“ oder „stimmt mich traurig“. Mithilfe von Gesichtserkennung werden die Bilder ständig aktualisiert. Dass KI grundsätzlich nicht überbewertet werden sollte, konstatiert hingegen Clément Lambelet. Mit zahlreichen Porträtfotos aus Datenbanken testete er die Effizienz heutiger Algorithmen und kam zu dem Schluss: Freude ist das einzige Gefühl, die das System (in diesem Fall Microsofts Face API) mit hundertprozentiger Sicherheit erkennt. Da, wo gar keine Emotionen im Spiel sind, ist schwer zu erkennen, wer überhaupt ein Mensch und wer ein Android ist, wie vier konzeptuelle Fotografien von Maija Tammi provozierend befragen.
Dani Ploegers Arbeiten sind weitaus verstörender. Texte aus Foren wie Quora und Reddit, die grenzüberschreitende Erfahrungen beschreiben, sind Ausgangspunkt seiner Installation. Darin hängt eine VR-Brille über einem künstlichen Grasstück. The Grass Smells So Sweet simuliert das, was Menschen nach Scheinhinrichtungen beschrieben haben. Wie fühlt sich ein Kopfschuss an? Das Gefühl, das sich nach dem Erlebnis dieser VR-Simulation einstellt, hat wohl wenig mit dem grausigen Moment gemein, der suggeriert wird. Dennoch entsteht körperlicher Stress. Den hatten offensichtlich auch Jugendliche, die in einem Rollenspiel existenzielle Erfahrungen schildern sollten, die sie bei virtuellen postapokalyptischen Simulationen gemacht haben. Test Studies heißt die Arbeit des britischen Künstlers Ed Fornieles. Offensichtlich fühlen sich dabei gespielte Erfahrungen realer an als die aus dem wirklichen Leben.
Mit Renderlands (2017) erzählt der Künstler Liam Young die Geschichte eines indischen Angestellten einer Renderfarm, der sich nachts in den urbanen Großstadtkulissen aus digitalen VFX-Filmmodellen und den Überresten von 3D-Spielen verläuft. Dort trifft er sich mit einer virtuellen Schönheit, in die er sich verliebt. Er flieht in eine kitschige Megacity-Traumwelt aus Holly-/Bollywood-Fragmenten, die er tagsüber selbst konstruieren hilft. Der australische Filmemacher Young bezeichnet sich selbst als spekulativen Architekten. Ziemlich gnadenlos geht auch ein pelziger KUKA-Roboterarm gegen den vielleicht letzten Baum der Erde zu Werk. Die Computeranimation Terminal Beach der Künstlergruppe Troika ließ sich hier von J. G. Ballard inspirieren, um eine klartextsprechende Metapher des Spätkapitalismus ins Bild zu setzen. Inmitten globaler ökonomischer Krisen scheint hemmungslose Automatisierung unkontrollierbar geworden.
Roboter haben eben keine Moral, denkt man immer wieder. Die Ausstellung setzt hier keine explizite kritische Position, sondern sammelt erst einmal. Man kann also nur hoffen, dass die Roboter persönlicher und emotionaler werden, wenn sie uns zukünftig über Online-Bewerbungsgespräche rekrutieren, in Krankenhäusern pflegen und trösten, Sexbedürfnisse kompensieren oder unser Nutzerverhalten auswerten. Das wird zunächst wohl schwierig bleiben. Die beiden dänischen Künstlerinnen Stine Deja und Marie Munk lassen einen neugeborenen Androiden im Operationssaal den Popsong „I Want To Know What Love Is“ singen. Wer sich überwindet, setzt sich dafür in ein merkwürdig ekeliges Silikonsofa, das wie ein Riesenorgan aussieht, sich aber der eigenen Körpersilhouette anpasst. Im eigenen Körper ist es am Ende dann doch am schönsten. Große Geborgenheit schafft schließlich Luca McRaes Solitary Survival Raft, das den Körper sanft umfasst und dem Berührungsdefizit entgegenarbeitet, das uns in Zeiten der globalen Pandemie so schwer zu schaffen macht.

Real Feelings, HeK Haus der elektronischen Künste, Basel, 27. August bis 15. November 2020.