Heft 4/2020 - Artscribe


Edi Hila – Der Klang der Tuba

18. September 2020 bis 8. November 2020
Secession / Wien

Text: Susanne Neuburger


Wien. Mit 22 Werken zeigt die Secession, kuratiert von Bettina Spörr, die erste institutionelle Einzelausstellung von Edi Hila in Österreich, die neben einigen früheren Bildern aus den 1990er-Jahren und von 2008 vor allem aus neueren Arbeiten besteht. Sprechende Bildtitel ermöglichen einen ersten Einstieg in eine Malerei, die von Architektur bzw. architektonisch strukturierten Situationen und Objekten sowie einer gedämpften, bisweilen monochrom wirkenden Farbpalette geprägt sind, die man mit den tiefen Tönen einer Tuba assoziieren könnte. Auf einen Gesamteindruck zielt auch die Ausstellungsarchitektur mit drei ergänzenden, schräg gestellten Wandelementen von Ludloff Ludloff Architekten, die mit einer räumlichen Abfolge auch einen quasi zeitlichen Erzählmodus ermöglicht. Dass dieser bisweilen abrupt erscheint und alle universalistischen Narrationen verweigert, entspricht Hilas Geschichtsbegriff, der sich in diskontinuierlicher Vielfalt am Konkreten, am Objekt festmacht. Vom Gegenstand hat Hila ebenso konkrete Vorstellungen, weiß er doch um die Gefahr einer ideologischen Komplizenschaft mit dem Objekt, wie sie etwa im sozialistischen Realismus gefordert war.
„Relation with Reality“: Zu dieser zentralen Aussage kommt Hila immer wieder zurück.1 Er hat abseits des sozialistischen Realismus und ohne sich Abstraktion und Modernismus zu verschreiben an einem Begriff von Realität festgehalten, der es ihm ermöglichte, seine Erfahrungen in der Diktatur Albaniens und in der darauffolgenden Zeit des Umbruchs nach dem Regimewechsel zu verarbeiten. Hier setzt auch zumeist die Rezeption an, die sich an Lebens- und Werkgeschichte orientiert, zumal Hila als Künstler und auch kulturpolitisch in Albanien eine wichtige Stellung innehat. Dennoch würde man Hila auch gerne international in den seit den 1970er-Jahren geführten Realismusdebatten positioniert sehen. 1972 wollte bekanntlich die d5 in einer Sektion die Realismen in Ost und West einander gegenüberstellen, was leider nicht möglich war und schließlich zu einer dominanten Präsentation der amerikanischen Fotorealisten führte. In diesem Jahr malte Hila mit Planting of Trees ein Bild, das ihm Zensur und Malereiverbot einbrachte. Es hätte die Realismusdiskussion in Ost und West gehörig konterkariert, wie Hila auch in der Folge viel zu diesem Thema hätte beitragen können.
Im Fotorealismus galt gemeinhin, dass die Fotografie eine zweidimensionale Annäherung an die dreidimensionale Realität in einer Weise vermag, wie es der Malerei nicht möglich wäre. Wie auch immer dies für Hila Gültigkeit hat, spielt in seinem Werk die Fotografie als Vorlage und Arbeitsmaterial eine große Rolle. In der zur Ausstellung erschienenen Publikation Edi Hila. Maquettes steht nun die Fotografie im Zentrum und ist nicht nur eine weitere Fährte zu Hilas Verständnis von Realität, Geschichte und Malerei, sondern beleuchtet auch seine Arbeitsweise. Die Gruppe von teils bearbeiteten, teils beschrifteten Fotografien leitet ein Text Hilas ein, den er fotohistorisch auf Henry Fox Talbot und Roland Barthes aufbaut. Er zitiert etwa Barthes, der die Fotografie als vergangenes Wirkliches sah, deren Zeugenschaft mehr der Zeit als dem Objekt geschuldet ist.2 Der Fotograf ist einerseits Zeuge, andererseits Schöpfer, so sah ihn Siegfried Kracauer in einer Parallele mit dem Historiker und nannte den Antagonismus von Realismus und Formgebung „als Grundkonflikt zwischen Konkretion und Abstraktion, der die photographische wie die historische Darstellung entscheidend bestimmt“3.
Eines ist klar: Die Fotografie ist ein Hilfsmittel, sie ist eben Maquette oder Modell. In der Malerei könnte man in Transparenz oder tonigen Passagen ein Relikt an die Fotografie sehen, als handle es sich um große bemalte Negative. Dies ruft auch den Eindruck des „Erscheinens“ hervor, wie etwa Gerhard Richter seine Malerei beschrieben hat. Hila behält zwar das Motiv der Fotografie, oft auch das fotografische Bild im Gesamten, muss das Medium aber wieder verlassen, wenn es an die Malerei geht. Die Fotografie, so wussten es die Fotorealisten um die d5, hat ein Auge und eine Perspektive, während die Malerei deren viele hat. In diese Richtung hat Hila seine Vorlagen auch bereits bearbeitet, wenn er Flächen ausblendet oder Gegenstände hervorhebt. Der Index zu Fotografie und Geschichte bleibt dennoch bestehen, wenn das „punctum“ Roland Barthes‘ mit Stichen, Flecken und Löchern der Malerei weitere Ebenen eröffnet.
Für die Serie A Tent on the Roof of a Car gibt uns Hila4 verschiedene Assoziationen, vom privaten Urlaubsrequisit bis zur Flüchtlingssituation, wie auch die einzelnen Bilder in Farbwahl und Abstraktion deutlich machen. Das in Fotografien festgehaltene Zelt wird zusehends markante Form und Figur, wie Hila selbst sagt: „a shape, a figure, a space.“5 Die Figur hat außer dem Umriss nichts Mimetisches mehr und ist „leibhaftige“ Malerei (Georges Didi-Huberman), ein dichter Mikrokosmos an Farbe und freier Form. Motiv und malerische Erscheinung treten ebenso auseinander wie bei den Otages von Jean Fautrier, den abstrahierten Gesichtern von getöteten Geiseln der Wehrmacht, die den Anspruch der höchsten Gattung der Malerei, der Historienmalerei, in sich tragen, tatsächlich aber ein „metapikturaler Ort“ (Victor Ieronim Stoichita) sind, der historisch gesehen für die niedere Gattung der Malerei, das Stillleben, typisch ist.

 

 

[1] Siehe etwa Edi Hila im Gespräch mit Edi Muka anlässlich der Ausstellung in der Secession; https://www.secession.at/video-edi-hila-edi-muka/.
[2] Roland Barthes, Die helle Kammer, zitiert nach Edi Hila. Maquettes. Berlin 2020, ohne Seite.
[3] Zitiert nach Stephanie Baumann, Im Vorraum der Geschichte. Siegfried Kracauers „History. The Last Things before the Last“. Konstanz 2014, S. 110; https://www.k-up.de/9783835390348-im-vorraum-der-geschichte.html, Zugriff: Oktober 2020.
[4] Gespräch mit Edi Muka, siehe Fußnote 1.
[5] Ebd.