Wien. Eine Retrospektive, buchstäblich: Ingeborg Strobl. Sie hat dem Tod ins Auge gesehen. Als etwas Natürlichem, Unvermeidlichem und als etwas nicht zu Beschönigendem. Eine Ausstellung – gültig, endgültig. In ihrem 70. Jahr, fast auf den Tag genau drei Jahre nachdem sie uns verließ, eröffnete das mumok Gelebt – Ingeborg Strobl.
Dass alles ist, wie es ist, verdankt sich Rainer Fuchs, dem Kurator der Schau, dem langjährigen Freund und Verbündeten der Künstlerin. So viel Sorgfalt, so viel Umsicht, so viel Liebe ist selten geworden im Wettbewerb der Megashows. Gemeinsam haben sie die Ausstellung geplant: die unnachgiebige, nicht selten gereizte Künstlerin, deren Urteil vernichtend sein konnte, und ihr Kurator, ganz Old School, jemand, der sich sorgt, um die Kunst und ihre ProduzentInnen. What a match!
Ingeborg Strobl hat ihren Nachlass dem Haus vermacht, dessen maßgeblicher Sammlungsverantwortlichen, Susanne Neuburger, sie voll vertraute. Er kam in einer Kiste, die – nicht ins Depot, nein – die in die Bibliothek geliefert wurde. Ziemlich schlüssig für eine Künstlerin, für die „das Buch ihr liebstes Medium“ war.
Unbestritten, dass Strobl die volle Kontrolle über Konzept und Display forderte. Ebenso unbestritten, dass Ermessen und Gewichtung des Kurators Aspekte einer Arbeit zutage förderten, die überraschen, so außerordentlich, so brillant sind sie: Selbst abgebrühte Sachkundige stehen da staunend vor einem Frühwerk, mit dem sich Strobl als eigenwillige, aberwitzige Surrealistin erweist. Mit Ölkreidezeichnungen, auf denen sich vielschwänzige Ratten und schablonisierte, flache Delfine tummeln, überzeugt sie ihre Professoren am Londoner Royal College of Art und erwirbt 1974 den Master of Arts. Mit veristischen Keramiken, wohlgemerkt. Sie formt Nashörner, Nilpferde und Krokodilschwänze, Schweineschädel mit vergoldeten Zähnen, Vasen und Trinkschalen in Form von Rinderhufen, knallweiße Fische, aus deren blutigen Bäuchen Eingeweide aus Samt und Baumwolle quellen. Seltsam, raffiniert, zwingend: Objekte, die Bekanntes und Vertrautes mit Fantasy, schwarzem Humor und den Optionen der Science-Fiction aufladen.
Famos das Konzept, die weite Ausstellungshalle mit einem Soundtrack zu unterlegen. Das gleichmäßige Klappern von Pferdehufen schlägt den Takt. Es dringt aus einer Blackbox im Zentrum des Raums. Ein sechsminütiger Videoloop zeigt eine Schimmelstute, die vom Stallburschen durchs Areal der ehemaligen Hofstallungen geführt wird, von einem Seiteneingang über den Haupthof, durch die Passagen zu den Nebenhöfen, entlang der versifften Gasse hinter der Winterreitschule. Mensch und Tier vermessen das historische Gelände, das Johann Bernhard Fischer von Erlach als Campagne-Reitschule für die Habsburger angelegt und der Stadt Wien von 1920–70 als Messepalast diente. Das Werk entstand 1996 für die Ausstellung Schauplatz Museumsquartier und belegt, wie kaum ein zweites, Strobls stets kritischen Blick auf Geschichte, Politik und Machtstrukturen, ihre Sensibilität für Klischees und ihre subtilen Verfahren des Widerspruchs.
Die Ausstellung beginnt zunächst biografisch: Eine Serie von 44 Fotografien (1967–2012), zeigt die Künstlerin unterwegs, als Reisende und als Eremitin, die es jeden Sommer als Sennerin auf die Alm zieht, zum geliebten Pinzgauer Fleckvieh. Mit leichtem Gepäck ist Ingeborg Strobl unterwegs in die Länder gesellschaftlichen Umbruchs, nach Polen, Georgien, Rumänien und weiter in die Ferne, Indien. Ein Rucksack muss reichen, Kleidung kauft sie unterwegs: „Röcke aus feinen Baumwollstoffen, Sandalen aus Rindsleder ...“ Jedes Bild versieht sie mit ein paar lapidaren Zeilen: Lyrik, die beschreibt, was bemerkenswert ist, an den bezwingend einfachen Kompositionen, fotografiert mit einer analogen Spiegelreflex Fujica STX1.
Was für Joseph Cornell die Schachtel, ist für Ingeborg Strobl die Vitrine. In eleganten, gläsernen Zeitkapseln verknüpft sie Artefakte, Fundstücke und Alltagsgegenstände mit Aquarellen, Zeichnungen und gefundenen Texten zu poetischen Miniaturen, versammelt alles in fein austapezierten Wunderkammern.
Es sind Dinge, die symbolhaft für persönliche Geschichten stehen, radikal subjektive Weltentwürfe. Harald Szeemann hat das „individuelle Mythologien“ genannt. Das Natürliche und das Künstliche begegnen einander, ergänzen sich, in bisweilen harten Kontrasten. Geplant oder Zufall, dass einige Museumsebenen über Strobls Schau Claes Oldenburgs Mouse Museum (endlich) wieder zu sehen ist, auch so ein Statement gegen Hierarchien und für Demokratie. Der große amerikanische Pop-Art-Künstler und die österreichische Meisterin fürs Periphere, sie machen keinen Unterschied zwischen Sammeln und Produzieren und halten Distanz zu den Konventionen der Gesellschaft und denen des Kunstbetriebs.
Ihre Rolle im prozessorientierten Performancequartett Die Damen hat Strobl immer als die eines Krokodils beschrieben: In der Ausstellung verweisen Sonnenbrillen und ein Paar fellbesetzte Schnürschuhe auf die erste, 1988 gemeinsam inszenierte Aktion mit Ona B., Evelyne Egerer und Birgit Jürgenssen, der zahlreiche Auftritte im Zeichen eines federleichten, spöttischen Feminismus folgen sollten.
Am Ende der Ausstellung schließlich steht eine Pflanze, quasi als Bilanz für ein Lebenswerk: Rumex alpinus, der Alpen-Ampfer. 2017 addierte Strobl Fotografien, eine botanische Illustration, die verrotteten Holzbänke einer Sennhütte, Found Footage von der Alm und ein Video zu einer Rauminstallation. Und ließ uns wissen: Der Alpen-Ampfer überwuchert überdüngte Viehwiesen. Nicht mehr, nicht weniger. Ihre Botschaft: unsentimental und wahrhaftig.