Wien. Gletscherschmelze, steigender Wasserspiegel, Überschwemmungen und Dürre als Folgen von Raubbau an der Natur sind der Fokus der Ausstellung Nach uns die Sintflut. Gezeigt werden Foto- und Videoarbeiten, entsprechend des Schwerpunkts des KunstHaus Wien auf künstlerische Fotografie. Untersucht werden „systemische Zusammenhänge im globalen Ökosystem“, zwischen Abbau von Ressourcen, CO2-Freisetzung und steigendem Wasserspiegel.
Am Beginn der Ausstellung ist Ursula Biemanns Arbeit Deep Weather von 2013 zu sehen, die ebendiesen Zusammenhang nachzeichnet. Die Gewinnung von Rohstoffen in Kanada wird in diesem Video einer überschwemmten Gegend in Bangladesch gegenübergestellt, wo in selbstorganisierter Weise Dämme gebaut werden. Das Motiv von Raubbau als Ursache und Klimakatastrophen als Folge zieht sich als Leitmotiv durch die Ausstellung. Werke, die Orte zeigen, an denen natürliche Ressourcen abgebaut werden, wechseln sich ab mit Fotografien und Videos von Orten der Dürre oder der Überschwemmung, von Gletschern und Permafrost. So etwa zeigt die Arbeit Tuvalu von 2016 von Angela Tiatia den Inselstaat Tuvalu, auf dem durch seine Höhenlage von fünf Metern über dem Meeresniveau der Klimawandel im Alltag spürbar ist. Tiatias Kamera beobachtet still und meditativ einen langsamen Alltag, in dem Wasser auf den Straßen ein Teil ist.
Aktuell stehen künstlerische und auch kuratorische Annäherungen an ökologische Themen häufig unter dem Vorzeichen einer dringend benötigten nicht westlichen, animistischen Sicht der Natur und von Kulturen, die in einem bewussten und engen Kontakt mit einer durch verwobene Kräfte belebten Natur sind. Nach uns die Sintflut geht nicht auf eine von geistigen Kräften belebte Natur ein, doch transportiert die Vorstellung von Ganzheitlichkeit, Ursache und Wirkung von auch kleinen Ungleichgewichten. Terra Systema, Tempo (2017) von Christina Seely zeigt in einer raumgreifenden Installation mit zwei Screens in ruhigen Bildern Gletscher und Regenwald. Es geht ihr in dieser Arbeit um ein Verständnis der Erde als lebendem Organismus, in dem unterschiedliche Teile funktional zu einem Ganzen verbunden sind. In Ursula Biemanns oben genanntem Film wird die Einheit dieses systemischen Ganzen als tiefgehend spürbar, wenn in poetischer Sprache eine Ästhetik von Zyklonen oder „carbon geologies“ gezeichnet wird. Mit dem Satz „Mutate, evolution isn‘t fast enough“ lokalisiert sie den Menschen innerhalb dieses symbiotischen Ganzen und bringt eine apokalyptische Dringlichkeit zum Ausdruck.
Die Relativität menschlicher Bedeutung in der Natur wird in Fotografien vom Perito Moreno, (2012–13) spürbar. Das ist einer der wenigen Gletscher, die noch nicht vom Abschmelzen betroffen sind. Auf der Bildfläche sind nur die Strukturen des Gletschers zu sehen und füllen sie in einem All-over aus. Ohne einen Horizont, eine Pflanze, Menschen oder Tiere im Bild ist man desorientiert, es fehlt den Aufnahmen irgendeine Referenz, an der man ein Größenverhältnis festmachen könnte. Die selektierten Werke lassen nie unmittelbar an die biblische Sintflut denken. Eine mögliche Auslöschung des Lebens oder menschlichen Lebens als Folge von Klimakatastrophen klingt dennoch in The End (2019) von Justin Brice Guariglia an, jener Arbeit, die den Auftakt in die Ausstellung gibt. Dieses ist kein ästhetisiertes „Ende“, sondern ein visuell nicht ansprechendes, aus Industriematerial: Die Fotografie einer arktischen Eisfläche ist auf Styropor gedruckt und aus deren All-over der Schriftzug „The End“ herausgeschnitzt.
Das fokussierte Ausstellungskonzept hat den Vorteil, dass es die Thematik von Extraktion von Ressourcen hin zu Klimaerwärmung in vielen Facetten aufzeigen kann. Die Überlegung, was es außen vor lässt, was unthematisiert bleibt, ist dennoch interessant. Sichtbar werden in den Fotografien und Videoarbeiten hauptsächlich die Folgen bzw. Symptome des menschlichen Eingreifens in die Natur. Ökonomische Bedingungen, die Umweltproblemen vorausgehen, Abhängigkeiten und Zwänge, unter denen Ausbeutung ökologischer Ressourcen passiert, stehen nicht im Mittelpunkt, auch wenn im einleitenden Text zur Ausstellung der Titel Nach uns die Sintflut als Marx‘sche Beschreibung des kapitalistischen Handelns identifiziert wird. Eine Ausnahme macht Justin Brice Guariglias Werk, Agricultural Landscapes von 2011–18, zu industrialisierter Landwirtschaft, die mit Materialien wie Gold, Silber oder Zinn Luftaufnahmen von Agrarflächen abstrahiert. Die Landwirtschaftsflächen auf den Bildern sind für die BetrachterIn nicht als solche zu erkennen, analog zu bis zur Unkenntlichkeit entfremdeten Produktionsweisen.
Industrialisierte Landwirtschaft als Form von Raubbau würde ebenso ein weites Themenfeld eröffnen – von den Umweltfolgen von Plantagenbau bis hin zu Verdrängung von naturnahen Lebensweisen und Kulturen –, das hier nicht untersucht wird. Auch die Fragen von Ressourcen menschlicher Arbeitskraft, Boden als Produktionsmittel oder Landflucht werden nicht in aktuellen Ausformungen, sondern nur als weiterer geschichtlicher Kontext in einer den Abschluss des Rundgangs bildenden Zeittafel mit „Ereignissen der Kapitalismus- und Ökologiegeschichte“ angeschnitten.
Ein verwandter, hier nicht erfasster Themenbereich aus diesem Kontext ist darüber hinaus, dass nicht nur ein Zusammenbrechen des Ökosystems aktuell ein Problem darstellt, sondern auch das Limit an fossilen Rohstoffen erreicht ist. Zumindest so weit, dass sie schwieriger und aufwendiger zu extrahieren sind als bisher. Wirtschaft, die auf unbegrenztem Wachstum beruht, trifft auf begrenzte Ressourcen, die die Basis für dieses Wachstum bilden, und kommt so an ein Limit, das sich nicht nur in Klimakatastrophen zeigt, sondern auch in Finanzkrisen.1
[1] Clayton Crockett, Earth: What Can a Planet Do?, S. 21–61, in: Ward Blanton/Clayton Crockett/Jeffrey W. Robbins/Noëlle Vahanian, An insurrectionist manifesto: four new gospels for a radical politics. New York: Columbia University Press 2016 (Series: Insurrections: critical studies in religion, politics, and culture).