Berlin. Schon der allererste Eindruck beim Betreten des Ausstellungsraums, den transversale altrosa Schleier in ungewohnt enge Kammern teilen, lässt ahnen, dass dem visuellen Primat distanzierter Betrachtung eine Absage erteilt werden soll und die Aufmerksamkeit stattdessen einer taktilen, flüssigen und oder sogar subkutan erlittenen Sensibilität zugewendet wird.
Dabei beginnt der historische Bogen bei KünstlerInnen der Siebzigerjahre, als etwa Marianne Wex mit einer Materialsammlung zum Thema Körpersprache gendertypische Muster einem kritischen Vergleich unterzog. Aber auch die Verletzlichkeit des Fleisches und unser gebrochenes Verhältnis zum Begehren waren damals bereits als Gegenströmung präsent und werden hier mit einer Arbeit von Paul Thek zitiert. Und wenn Lee Lonzano ihre Experimente mit Drogen oder Masturbation protokollierte und damit das Publikum mit intimsten Momenten konfrontierte, war das ebenfalls ein massiver Tabubruch mit der Norm glatter Oberflächen und drang in weithin geächtete Dunkelzonen vor.
Von jenen AußenseiterInnen des Kunstsystems schlägt die Arbeit von Jutta Köther eine Brücke zur Gegenwart mit ihrer popfeministischen Adaption eines Gemäldes von Francis Bacon. Indirekt wird damit auch die prominente Analyse aufgerufen, die Gilles Deleuze diesem Anschlag auf die Kohärenz des repräsentativen Bilds gewidmet hat. Eine weitere Spur ließe sich von Alina Szapocznikows Kaugummiskulpturen zu Vika Prokopaviciutes digitaler Kaugummimalerei ziehen oder von Paul Thek zu Henrik Olesen. Während dort das visuelle Material unter der Haut und quasi blind bearbeitet wurde, geht es hier um den offenen Blick auf schmerzhaft freigelegtes Fleisch, das mit der eigenen Verletzbarkeit oder vorgängigen Gewaltverstrickungen konfrontiert, die ins Unbewusste verdrängt und von einer idealen Identität in Schach gehalten werden.
Fließende Formen, viskose Materialien und gewollter Kontrollverlust sind der gemeinsame Nenner einer Reihe weiterer Arbeiten, die sich an Fantasien sinnlicher Überschreitung entlangtasten und die Wiedergewinnung von Souveränität weniger in fetischistischer Macht als in Ritualen der Selbstauflösung suchen. Der Kapitalismus antwortet traditionell auf dergleichen Bestrebungen mit Disziplinierung, klinischer Einschließung – oder aktueller: mit pharmakologischer und digitaler Konditionierung. Die „Sorge um sich“ wird zum einsamen Kampfplatz, wenn sich Freiräume unter Effizienzgesichtspunkten verengen und die Einzelnen isoliert und einer konsumistischen Logik unterworfen werden. Ein Video von Clemens von Wedemeyer geht auf die Rolle von kanalisierenden Massenaffekten und ihren Bezug zum Kino ein. Die StatistInnen, die für Massenszenen benötigt werden, sind inzwischen weitgehend durch virtuelle Akteure ersetzt, Elemente einer Technologie mit Suchtfaktor, die parallel für massenpsychologische Forschungen genutzt wird. Um käufliche Sexavatare kreisen auch Sidsel Meinecke Hansens 3D-Simulationen, in denen sie etwa einen weiblichen Orgasmus hautnah inszeniert.
Um ein derart kontrolliertes Dauerspektakel zu unterbrechen, interveniert Johannes Paul Raether mit bizarren theatralischen Mitteln an neuralgischen Punkten des urbanen Gefüges, wobei diverse Modelle digitaler Gegenbewegungen zum Einsatz kommen. Ganz konkrete Bedürfnisse artikuliert Wu Tsang in einem Video, das am Beispiel eines autonomen Dancefloors mit performativen Praktiken bekannt macht, in denen sich Menschen frei entfalten können, die anderswo aus rassistischen Motiven oder wegen queerer Identitäten ausgeschlossen sind. Deana Lawson findet schließlich mit ihren Fotografien nackter Körper zu einer anrührenden Form der Darstellung, deren zurückhaltender und Leidenserfahrungen zulassender Blick die Raster taxierender Aneignung subtil unterläuft. Im Umgang mit viskosen Materialien, unheimlichen Assoziationen und fragmentierten Objekten demonstrieren die Gruppe KAYA oder Andrea Winkler transgressive bildnerische Konzepte, die die Raumordnung unterminieren und Distinktion sabotieren.
Derart entregelt können Devianz, Angst und Schmerz als Fluchtlinien erscheinen, als letzte Antwort auf die Herrschaft von Selbstoptimierung und permanenter Kontrolle. Dass radikale Passivität in politische Aktivität umschlagen muss, macht allerdings schon die gelungene Kollaboration aller Beteiligten deutlich, ohne die ein so dichtes Netzwerk von Theorien und Manifesten kaum möglich gewesen wäre.